Neuartiges Grippemittel kurz vor der EU-Zulassung |
Daniela Hüttemann |
16.11.2020 10:00 Uhr |
Eine Influenza verläuft mitunter heftig. Der Wirkstoff Baloxavir mit neuartigem Wirkmechanismus konnte die Krankheitsdauer in Studien verkürzen. / Foto: Getty Images/Andrii Starunskyi
Anders als die bei uns bislang verfügbaren Influenza-Wirkstoffe Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) hemmt Baloxavir nicht die Neuraminidase von Grippeviren, sondern deren Cap-abhängige Endonuklease. Sie ist Teil des für die Virusreplikation notwendigen Polymerase-Komplexes, den sowohl Influenza-A- als auch Influenza-B-Viren benötigen. Im Präparat Xofluza von Roche ist die virostatische Substanz als Prodrug Baloxavirmarboxil als Tablette formuliert. Aktiver Metabolit ist Baloxavirsäure.
Eine weitere Besonderheit des Präparats ist, dass es nur ein einziges Mal eingenommen werden muss. Die Einmaldosis beträgt 40 oder 80 mg Baloxavirmarboxil. Die Zulassungsempfehlung umfasst zum einen die Behandlung unkomplizierter Influenza-Infektionen und zum anderen die Postexpositions-Prophylaxe (PEP), jeweils bei Erwachsenen und Kindern ab zwölf Jahren. Basis des positiven Votums des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) waren die drei Phase-III-Studien CAPSTONE-1, CAPSTONE-2 und BLOCKSTONE.
In CAPSTONE-1 mit 1436 Teilnehmern ab zwölf Jahren konnte die einmalige Einnahme von Baloxavirmarboxil die Symptomdauer um mehr als einen Tag verkürzen (im Median 53,7 versus 80,2 Stunden unter Placebo). Dabei schlug die Wirkung genauso schnell an wie bei Oseltamivir. An CAPSTONE-2 nahmen 2184 Patienten ab zwölf Jahren teil, die ein hohes Risiko für Komplikationen infolge einer Influenza hatten, zum Beispiel aufgrund höheren Alters oder chronischer Erkrankungen wie Asthma, COPD, Adipositas oder Herzerkrankungen. Hier verkürzte sich die Zeit bis zur klinischen Verbesserung im Schnitt von 102,3 Stunden unter Placebo auf 73,2 Stunden.
In der BLOCKSTONE-Studie schließlich wurde die präventive Gabe der Einmaldosis bei bislang nicht infizierten Haushaltsmitgliedern von Influenza-Patienten getestet. Hier nahmen auch jüngere Kinder teil und die Dosis wurde an das Körpergewicht angepasst. In der Gruppe der Kinder ab zwölf plus Erwachsenen erkrankten nach der Einmaldosis nur 1,3 Prozent gegenüber 13,2 Prozent unter Placebo, wenn sie Baloxavir innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten erster Symptome bei den Indexpatienten eingenommen hatten.
Als unerwünschte Ereignisse traten in CAPSTONE-1 am häufigsten Durchfall (3,0 Prozent), Bronchitis (2,6 Prozent), Übelkeit (1,3 Prozent) und Sinusitis (1,1 Prozent) auf, jeweils auf niedrigerem Niveau als unter Placebo, berichtet Roche.
Das Phase-III-Programm läuft noch weiter, unter anderem bei jüngeren Kindern und Säuglingen. Zudem wird untersucht, ob die Einnahme durch einen Infizierten die Übertragungsraten senken kann. Leider gibt es allerdings auch schon erste Berichte über Resistenzen.
Baloxavirmarboxil wurde genau wie Favipiravir bereits versuchsweise in vitro gegen SARS-CoV-2 und bei Covid-19-Patienten eingesetzt. Eine Studie aus China, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden, konnte keinen klinischen Benefit finden (DOI: 10.1016/j.ejps.2020.105631).
Als erstes kam der Wirkstoff, der von der Firma Shionogi entwickelt wurde, 2018 in Japan auf den Markt, die Zulassung in den USA folgte noch im selben Jahr. Nun muss die EU-Kommission darüber entscheiden, ob das Influenzamittel in Kürze auch in Europa zur Verfügung steht. Das könnte theoretisch noch in dieser Grippesaison klappen.