Nasenspray-Impfstoffe mit abgeschwächten Coronaviren |
Ob Nasenspray-Impfstoffe in der EU zur Zulassung kommen halten einzelne Experten für unwahrscheinlich. / Foto: Adobe Stock/SkyLine
Nasal oder oral zu applizierende Impfstoffe gelten als zweite Generation der Coronimpfstoffe. Anders als intramuskulär zu applizierende Vakzinen sollen Schleimhautimpfstoffe eine Immunität direkt am Eintrittsort von SARS-CoV-2, den Atemwegen, aufbauen, wo die Erreger dann zügig bekämpft werden sollen. Anfang September wurden zwei Präparate in Indien und China zugelassen. Dutzende weitere Kandidaten befinden sich in Entwicklung, einige werden bereits in klinischen Studien getestet.
Der Impfstoff des chinesischen Herstellers Cansino BIO wird inhaliert und ist als Booster zugelassen. Das indische Präparat, entwickelt vom Unternehmen Bharat Biotech, ist auch für die Grundimmunisierung zugelassen und wird in die Nase getropft. Beide Vakzinen beruhen auf abgeschwächten Adenoviren als Vektoren. Ihnen liegt daher eine ähnliche Technologie zugrunde wie die bereits zugelassenen intramuskulären Covid-19-Impfstoffe Jcovden® von Janssen und Vaxzevria® von Astra-Zeneca.
Die Hoffnung ist, dass die in den Schleimhäuten aufgebaute Immunität auch für längere Zeit vor Ansteckung schützt und die Weitergabe des Virus bremst. «Wie gut das funktioniert, wissen wir momentan allerdings nicht, weil bisher nur wenige Daten von zugrundeliegenden Studien veröffentlicht wurden», sagt Professor Dr. Leif Erik Sander, Immunologe und Impfstoffforscher von der Berliner Charité.
Einige Studien zu Schleimhaut-Impfstoffen laufen aber auch außerhalb Asiens. In den USA ist etwa das Pharmaunternehmen Codagenix weit vorangeschritten. Eigenen Angaben zufolge testet es sein Präparat in einer klinischen Studie der Phase II/III in Zusammenarbeit mit dem Serum Institut of India im Rahmen eines WHO-Projekts.
In Deutschland arbeitet Dr. Emanuel Wyler, Molekularbiologe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, zusammen mit Forschenden der Charité unter Federführung der FU Berlin an einem Nasenspray-Impfstoff, der wie der Impfstoff von Codagenix auf abgeschwächten Coronaviren basiert. Der Vorteil hierbei ist, dass dem Immunsystem ein vollständiges Virus präsentiert wird - und nicht nur einzelne Eiweiße wie in den meisten anderen der derzeit verfügbaren Corona-Impfstoffe. Man erhofft sich davon einen besseren Schutz auch vor neu auftauchenden Varianten. Dass das Impfvirus selbst wieder die Fähigkeit erlangt, sich massiv zu vermehren und krank zu machen, hält Wyler für extrem unwahrscheinlich. «Wir haben für die Abschwächung 200 von 30.000 Bausteinen des Virus verändert -das ist eine große Hürde.»
Ergebnisse aus Tierversuchen verliefen demnach erfolgreich: Der Impfstoff rief bei Hamstern eine effektive Immunantwort hervor, nach zwei Dosen hätten die Tiere nach einer gezielten Infektion mit dem Coronavirus fast keine Anzeichen einer Erkrankung und sehr geringe Entzündungswerte gezeigt. Als Booster nach einer vorangegangenen mRNA-Impfung schützte der Nasen-Impfstoff besser als zwei mRNA-Impfstoff-Dosen allein. «In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Rocket Vax geht das Projekt nun in Richtung klinische Studie», erläutert Wyler. «Zunächst soll in einer Phase-I-Studie an ungefähr 100 Probanden die Verträglichkeit des Präparats belegt und etwa die Dosierung geprüft werden.»
Ein speziell bei einem intranasal verabreichten Impfstoff zu berücksichtigender Sicherheitsaspekt betrifft die Nähe zu den Gesichtsnerven. Der nasale Grippeimpfstoff eines Schweizer Pharmaunternehmens wurde 2001 vom Markt genommen, nachdem sich Fälle von Gesichtslähmung bei Geimpften häuften. «Das ist eine mögliche Nebenwirkung solcher Produkte, die wir uns genau anschauen müssen», sagt Wyler. Momentan ist nur ein nasal verabreichter Schleimhaut-Impfstoff in Europa zugelassen, für Kinder und Jugendliche gegen die Grippe.
Aber braucht man solche Impfstoffe in der Coronapandemie überhaupt noch? Schließlich ist in vielen Ländern die Immunität in der Bevölkerung dank der Impfungen und als Folge der Infektionen mittlerweile deutlich angestiegen. Professor Dr. Klaus Stöhr, Epidemiologe und unter anderem Mitglied des Corona-Sachverständigenausschusses, der die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung unabhängig bewertet hatte, ist skeptisch. «Nasale Impfstoffe haben nichts mit dem Ausgang der Pandemie zu tun und falls sie in einigen Jahren bestenfalls in Industrieländern zugelassen wären, keinen signifikanten Einfluss auf die Entstehung von Escape-Varianten oder die Viruszirkulation», schrieb Stöhr kürzlich auf Twitter. Stöhr zufolge ist eine Zulassung in allen Altersgruppen »extrem unwahrscheinlich«.
Mediziner Sander kann sich eine gezielte Anwendung der Impfstoffe in besonderen Personengruppen oder besonderen Situationen hingegen gut vorstellen. «Ich halte ein Szenario für denkbar, dass hochgefährdete Gruppen, etwa Bewohner von Pflegeheimen, vielleicht alle drei Monate mit so einem Nasenspray ihre Immunität auffrischen.» In so einer Situation zahle sich die vergleichsweise einfache Verabreichung als Nasenspray aus. Intranasale Impfstoffe seien auch für die gar nicht so kleine Gruppe von Menschen interessant, die unter einer starken Angst vor Spritzen leiden, ergänzt Biologe Wyler.
Er weist allerdings auch auf die hohen Hürden hin, den ein Schleimhautimpfstoff mit Blick auf die Zulassung nehmen muss. «Wir sind nicht mehr in der gleichen Situation wie 2020», sagt Wyler. «Ein möglicher neuer Impfstoff muss sich gegen alle Impfstoffe durchsetzen, die momentan auf dem Markt sind - er muss einfach besser sein.» Allerdings sei alles, was jetzt erforscht werde, auch hilfreich für die Entwicklung anderer Schleimhaut-Impfstoffe - «gegen Grippe, virale Atemwegserkrankungen oder alles andere, was noch kommen mag.»
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.