Medikationsplan für alle Frauen im gebärfähigen Alter |
Daniela Hüttemann |
12.08.2021 14:18 Uhr |
Wenn Fach- oder Hausärzte Frauen im gebärfähigen Alter potenziell teratogene Arzneimittel verordnen, sollten sie sie umfassend aufklären und die Medikation dokumentieren, sodass auch der Gynäkologe Bescheid weiß. / Foto: Getty Images/Westend61/Mareen Fischinger
In ihrem heute vorgestellten Arzneimittelreport nimmt die Barmer die Verordnung potenziell teratogener Medikamente bei Schwangeren in den Fokus – und sieht hier großen Handlungsbedarf. Der neuen Auswertung zufolge haben allein bei der Barmer im Jahr 2018 fast 154.000 Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter, also zwischen 13 und 49 Jahren, ein potenziell embryo- oder fetusschädigendes Medikament verordnet bekommen.
Problematisch für das Kind ist die Anwendung solcher teratogener Arzneistoffe vor allem im ersten Schwangerschaftsdrittel, der besonders empfindlichen Phase der Organentwicklung. Von den 66.500 Barmer-Versicherten, die im Jahr 2018 ein Kind entband, hatten 663, also knapp 1 Prozent, ein potenzielles Teratogen im ersten Trimenon verordnet bekommen – hochgerechnet auf Deutschland wären dies pro Jahr Tausende von Frauen. »Das ist aus unserer Sicht viel zu viel und inakzeptabel«, so der Barmer-Vorstandsvorsitzende und Mediziner Professor Dr. Christoph Straub.
In der Regel werden diese Medikamente nicht neu angesetzt, sondern sind Weiterverordnungen. »Ungeborene Kinder werden aufgrund einer unzureichend sicheren Organisation der Arzneimitteltherapie der werdenden Mutter einem vermeidbaren Missbildungsrisiko ausgesetzt«, sagte Professor Dr. Daniel Grandt, Facharzt für Innere Medizin und Autor des Arzneimittelreports. Jeder vermeidbare Missbildungsfall sei einer zu viel. Er forderte: »Arzneimitteltherapiesicherheit, auch die des ungeborenen Kindes, muss Priorität bei der Organisation und Digitalisierung von Behandlungsprozessen erhalten.«
Das Risiko ließe sich deutlich minimieren, würden die Frauen besser aufgeklärt und die Anwendung eines potenziell teratogenen Arzneimittels systematisch dokumentiert und zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtungen kommuniziert. Denn in der Regel verordneten der Hausarzt oder Fachärzte solche Medikamente, doch sobald die Frau von ihrer Schwangerschaft wisse, werde ihr Gynäkologe zum ersten Ansprechpartner, so Grandt. Dieser müsse dann über die gesamte Medikation Bescheid wissen. »Wir brauchen eine lückenlose Dokumentation.«
Allerdings erfolge hier das erste Gespräch im Schnitt in der siebten Schwangerschaftswoche. Dann kann es bereits zu spät sein, um Schäden am Embryo zu vermeiden. Zu bedenken sei auch, dass etwa jede dritte Schwangerschaft ungeplant sei. »Die Gesamtmedikation junger Frauen sollte daher grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken geprüft werden«, forderte Grandt. »In der Schwangerschaft kommt ein Medikamentencheck zu spät, um das ungeborene Kind vor Schäden zu schützen.«
Eine aktuelle Befragung der Barmer von knapp 400 Frauen mit Verordnung von Arzneimitteln vor einer Schwangerschaft ergab, dass nur 14 Prozent einen Medikationsplan hatten. Bei zwei Dritteln der Befragten, bei denen die Schwangerschaft ungeplant war, sei die Gesamtmedikation nicht vor Eintritt der Schwangerschaft auf Unbedenklichkeit geprüft worden. Und selbst bei den Frauen mit Kinderwunsch sei dies nur bei jeder dritten erfolgt. 22 Prozent setzten die Medikamente aus Angst vor einer Schädigung des Kindes ab. »Für das Kind unbedenkliche Arzneimittel müssen aber weiter eingenommen werden«, betonte Grandt.