Lebenswichtiges Mundwasser |
Beim Anblick einer leckeren Speise oder von Genussmitteln oder angeregt vom Duft von Gewürzen läuft einem das Wasser im Mund zusammen: Das ist normal.
Von Hypersalivation spricht man, wenn entweder zu viel Speichel gebildet wird (Tabelle 1) oder dieser bedingt durch eine Schluckstörung nicht ausreichend abfließen kann. Dann läuft er aus dem Mund nach außen oder staut sich im Rachen mit der Gefahr einer Aspiration und lebensgefährlichen Lungenentzündung.
Was kann die Ursache sein? Anatomische Probleme im Mund-Kiefer-Bereich oder der Verlust von mehreren Zähnen führen zu einer Bissfehlstellung: Zähne und Lippen schließen nicht richtig. Dies kann den Schluckvorgang stören, der Speichel tropft aus dem Mund. Intoxikationen (Quecksilber, Pestizide), Infektionen (Tollwut) oder Entzündungen im Mund-Rachen-Raum (Epiglottitis, Stomatitis) oder der Speicheldrüsen triggern die vermehrte Speichelproduktion.
Für Medikamente wie Antipsychotika, Parasympathomimetika, herzwirksame Glykoside, Koffein und Nikotin, Chinin, Theophyllin, Clonazepam, Morphin und Apomorphin ist die Nebenwirkung Hypersalivation beschrieben. Als weitere Ursache erwähnt die S2k-Leitlinie »Hypersalivation« der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde (gültig bis 2023) neurologische Erkrankungen, Morbus Parkinson (Kasten), amyotrophe Lateralsklerose, Epilepsie oder Schlaganfall.
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Parkinson-Patienten haben neben den Bewegungseinschränkungen ein weiteres schwerwiegendes Problem: Die Speichelproduktion ist erhöht und die Schluckfunktion bedingt durch Fehlsteuerung von Nerven und Muskeln gestört.
80 Prozent aller Erkrankten, so die S2k-Leitlinie Parkinson vom Herbst 2023 (siehe auch Titelbeitrag in PZ 2/2024), entwickeln eine Dysphagie, die alle Phasen des Schluckvorgangs betreffen kann. Dies kann schwere Komplikationen nach sich ziehen: unzureichende Wirkung von Arzneimitteln, schlechterer Ernährungszustand oder Aspirationspneumonien.
Speichel sammelt sich und läuft unkontrolliert aus dem Mund, die Patienten sabbern. Nachts wachen sie auf dem durchnässten Kopfkissen auf, die ständig feuchten Mundwinkel sind gereizt und im Mund bilden sich schmerzhafte Entzündungen. Kleidung und Wangen werden benetzt, das Sprechen mit oft feuchter Aussprache fällt schwer. Dies wirkt auf andere Menschen abstoßend. Die Lebensqualität der Betroffenen ist deutlich eingeschränkt. Sie ekeln sich vor sich selbst und ziehen sich zurück.
Frühwarnzeichen einer Sialorrhö sind Hustenanfälle beim Essen oder zwanghaftes Räuspern. Die sorgfältige Anamnese umfasst auch den gastroenterologischen Bereich. Die Effektivität und Sicherheit des Schluckvorgangs werden mit standardisierten Fragebögen evaluiert; ein modifizierter Wassertest misst das maximale Schluckvolumen. Mit einer Videofluoroskopie des Schluckens (VFSS) oder einer fiberoptischen endoskopischen Schluckevaluation (FEES), gegebenenfalls zum Nachweis einer Levodopa-Responsivität mit endoskopischem Levodopa-Test, wird der Schweregrad bestimmt. Die High-Resolution-Manometrie (HRM) diagnostiziert ösophageale Motilitätsstörungen.
Ist der Schluckvorgang gestört, hilft ein spezielles Training beim Logopäden. Hier steht je nach Diagnostik eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung. Eine Umstellung der Medikation kann die Dysphagie positiv beeinflussen. Weitere Maßnahmen können den Alltag der Betroffenen erleichtern:
In Patientenbroschüren wird den Betroffenen meist geraten, möglichst offen mit ihrem Handicap umzugehen, am sozialen Leben teilzunehmen und sich ausreichend Hilfe zu holen.
Ist allein die Koordination des Schluckvorgangs gestört, spricht man von einer Sialorrhö. Da die Speichelkontrolle erst ab dem 18. Lebensmonat wirklich ausgereift ist, zeigen Kleinkinder oft einen verstärkten Speichelfluss.
Bis zum 18. Lebensmonat können Babys den Speichelfluss noch nicht richtig kontrollieren. Dieser fließt oft nach außen ab. / Foto: Adobe Stock/phokrates
Die genaue Differenzialdiagnose einer Hypersalivation ist für die anschließende Behandlung wichtig. Mittel der Wahl ist ein logopädisches Schlucktraining zur Vermeidung von Aspiration und zur Verbesserung von Ernährungssituation und Lebensqualität. Off Label werden Parasympatholytika wie Atropin oder Scopolamin eingesetzt; zu beachten sind die typischen anticholinergen Nebenwirkungen und Kontraindikationen (Glaukom, Prostatahyperplasie).
Für Kinder ab drei Jahren und Jugendliche mit chronischen neurologischen Erkrankungen und schwerer Sialorrhö stehen Medikamente mit Glycopyrroniumbromid (Rybrila®, Sialanar®) in Deutschland zur Verfügung. Für Erwachsene mit krankhaft gesteigertem Speichelfluss gibt es nur begrenzte Daten aus klinischen Studien. Weitere Therapiemöglichkeiten sind die Injektion von Botulinumtoxin Typ A, die kieferorthopädische Behandlung bei Zahn- und Kieferfehlstellungen, die operative Entfernung einer Speicheldrüse oder deren Bestrahlung.