Lassen sich Krankenhausapotheker multiplizieren? |
Annette Rößler |
08.05.2023 13:00 Uhr |
Krankenhausapotheker, die Patienten und Ärzte virtuell beraten, sparen damit Zeit, verpassen aber den direkten Kontakt. / Foto: Getty Images/WC.GI
»Wer kann heutzutage noch gegen Telepharmazie sein?«, lautete die provokante Eingangsfrage von Privatdozent Dr. Albrecht Eisert, Chefapotheker der Apotheke des Uniklinikums Aachen. Damit war seine Position in der Pro-und-Kontra-Diskussion klargestellt – und Eisert vertrat sie mit Vehemenz. Er verfügt über eine große Erfahrung und Expertise auf dem Gebiet, denn er hat in Aachendas Telemedizinzentrum und auch das Projekt Telnet@NRW mit aufgebaut.
Telemedizin ist laut einer Definition die Erbringung medizinischer Dienstleistungen in Überwindung räumlicher Entfernungen unter Zuhilfenahme moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. »Das klingt hochtrabend, aber in den vergangenen zwei Jahren haben wir alle das bereits gemacht«, stellte Eisert fest. In der Tat hat sich die Kommunikation in Video- und Telefonkonferenzen in der Pandemie in vielen Bereichen fest etabliert; die Medizin bildet da keine Ausnahme. Allerdings sei der Datenschutz dabei immer eine heikle Frage, die vor der Verwendung entsprechender Systeme zu klären sei, sagte Privatdozent Holger Knoth, Leiter der Klinik-Apotheke am Universitätsklinikum Dresden.
Eisert berichtete von seinen Erfahrungen mit der Telemedizin in Aachen. Dort können kleinere Krankenhäuser aus der weiteren Umgebung ein Team aus ärztlichen Spezialisten (Infektiologie, Intensivmedizin) und einem Krankenhausapotheker virtuell zur Visite zuschalten, um sich eine Zweitmeinung einzuholen. »Wir können den Patienten sehen, so nah, als wären wir vor ihm. Gleichzeitig können wir uns die Medikations- und Labordaten anzeigen lassen«, führte er aus. »Auf diese Weise schaffen wir mehr Visiten. Wir multiplizieren uns im virtuellen Raum.«
Angesichts des herrschenden Mangels an spezialisierten Krankenhausapothekern sei das ein großer Vorteil. Laut einer Empfehlung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) aus dem November 2022 soll ein Stationsapotheker »festes Mitglied im interprofessionellen Behandlungsteam auf der Intensivstation« sein. »Haben wir überhaupt die personellen Ressourcen, um das zu erfüllen?«, fragte Eisert.
Zeit und Menschen könne man nicht multiplizieren, konterte Knoth. Wenn man als Apotheker auf Station lediglich virtuell zugeschaltet sei, spare man höchstens die Anfahrtszeit, büße dadurch aber den direkten Patienten- und Arztkontakt ein und müsse wichtige Zusatzinformtionen unter Umständen mühsam beschaffen. Wie wichtig der direkte Kontakt sei, habe unter anderem eine erst kürzlich im »International Journal of Clinical Pharmacy« publizierte Studie gezeigt (DOI: 10.1007/s11096-023-01559-z). Demnach wurden Empfehlungen von Apothekern zur Medikation von Ärzten auf der Intensivstation signifikant seltener angenommen, wenn sie telepharmazeutisch erfolgten, als wenn der Apotheker direkt auf der Station gewesen war.
Solange es in Deutschland noch nicht überall selbstverständlich sei, dass Apotheker Teil des Behandlungsteams auf Station seien, mache man mit der Etablierung der Telepharmazie den zweiten Schritt vor dem ersten, argumentierte Knoth. Er sehe zudem die Gefahr, dass mit der Telepharmazie kommerziellen Anbietern, die nicht einmal in Deutschland sitzen müssten, Tür und Tor geöffnet werde. Nicht ohne Grund sei das niedersächsische Stationsapotheker-Gesetz noch einmal verschärft worden, sodass es nun explizit die Leistung eines Apothekers auf Station vorsehe und externe Dienstleister außen vor seien.
Derzeit sei der rechtliche Rahmen der Telemedizin jedoch sehr eng gesteckt und weite sich erst nach und nach, wandte Eisert ein. Diesen Prozess gelte es mitzugestalten und das könne nur, wer selbst daran teilhabe. Zuallererst brauche es eine genaue Definition dessen, was unter Telepharmazie zu verstehen sei. Diesbezüglich seien die Ärzte den Apothekern bereits einen Schritt voraus – und das solle möglichst nicht mehr lange so bleiben.