Komplexe Medikation bei Dialysepatienten |
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Die möglichen Ursachen für einen Funktionsverlust der Nieren sind vielfältig. Neben einer meist über Jahre langsam fortschreitenden chronischen Nierenschädigung kann auch ein akutes Organversagen zur Dialysepflicht führen.
Mehr als 2 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer chronischen Nierenerkrankung mit einer Einschränkung der Organfunktion auf weniger als 60 Prozent. Nur etwa jeder Dritte weiß davon. Klinische Symptome treten vielfach erst in fortgeschrittenen Stadien der dann meist irreversiblen Niereneinschränkung auf. Eine fortschreitende Schädigung führt letztlich zum kompletten Funktionsverlust der Nieren und macht eine Nierenersatztherapie erforderlich und überlebenswichtig.
In Deutschland sind etwa 80 000 Menschen abhängig von der Dialyse. Foto: BVMed
Bei mehr als der Hälfte der Patienten ist eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz auf die langjährigen Folgen der Zivilisationskrankheiten Diabetes mellitus (35 Prozent) und Bluthochdruck (23 Prozent) zurückzuführen. Weitere häufige Ursachen für einen dauerhaften Funktionsverlust sind entzündliche und infektiöse Erkrankungen, angeborene Organdefekte oder Störungen im Bereich der ableitenden Harnwege. Der Patient braucht lebenslang eine Nierenersatztherapie.
Kommt es innerhalb von Stunden bis Tagen plötzlich zu einer deutlichen Nierenfunktionsverschlechterung (mit Abnahme der Filtrationsleistung um mindestens 25 Prozent), spricht man von akutem Nierenversagen. Dies kann sowohl bei bislang uneingeschränkter Nierenfunktion als auch bei vorbestehender chronischer Nierenerkrankung auftreten. Je nach Ausmaß der Organschädigung ist eine vorübergehende oder auch dauerhafte Nierenersatztherapie mittels Dialyse erforderlich.
Nach dem Ort der Schädigung wird eine prärenale, intrarenale oder postrenale Genese des akuten Nierenversagens unterschieden. Häufigste Ursachen sind eine Verminderung des zirkulierenden Blutvolumens, medikamentös-toxische Schäden oder eine mechanische Behinderung des Harnabflusses.
Wenn die Nieren ihre physiologische Funktion der Elimination von Abbauprodukten und Fremdstoffen aus dem Blut nicht mehr erfüllen können, muss dieser Vorgang maschinell simuliert werden.
In der Vergangenheit war die Effektivität diverser Dialyseverfahren begrenzt. Dagegen erlauben moderne Techniken (»High-Flux-Techniken«) mittlerweile eine stabil hohe Eliminationsrate endogener Abbauprodukte. Um die dafür erforderliche hohe Blutflussrate zu gewährleisten, ist entweder ein am Unterarm operativ angelegter Gefäßkurzschluss zwischen Arterie und Vene (Shunt) oder ein spezieller zentraler Venenkatheter erforderlich.
Über eine Punktion des Shunts oder des Katheterlumens wird der Patient an einen extrakorporalen Kreislauf angeschlossen. Hier wird das Blut über eine Pumpe in einen Dialysefilter geleitet, in dem Hohlfasern Löcher definierter Porengröße bilden. Alle molekularen Blutbestandteile, die kleiner sind als die Poren, können prinzipiell über den Filter eliminiert werden. Zelluläre Blutbestandteile und Proteine wie Albumin werden nicht filtriert, während kleinere Abbauprodukte wie Kreatinin, Harnstoff oder Elektrolyte die Membran des Filters frei passieren.
Allen Verfahren ist gemeinsam, dass das Blut im externen Kreislauf nicht koagulieren darf. Dazu werden bei ambulanten Verfahren in der Regel Heparine systemisch verabreicht. Neuerdings werden diese abgelöst von Citratlösungen, die nur regional im extrakorporalen Kreislauf angewendet werden. Citrat bindet das im Blut enthaltene Calcium, das als zentraler Faktor zur Blutgerinnung notwendig ist. Vor dem Rückfluss des Bluts in den Patienten wird Calcium in physiologischer Menge substituiert.
Das in der Nierenersatztherapie verbreitetste Verfahren ist die intermittierende Hämodialyse. Dazu werden die Patienten in der Regel dreimal wöchentlich in ambulanten Dialyse-Einrichtungen vier bis fünf Stunden behandelt. Der Stofftransport beruht in erster Linie auf der Diffusion an einer semipermeablen Filtermembran (Grafik 1). Er folgt dem Konzentrationsgradienten zwischen Blut und Dialyseflüssigkeit, die eine definierte Zusammensetzung an Blutsalzen und weiteren Substanzen, zum Beispiel Glucose, aufweist.
Grafik 1: Intermittierende Hämodialyse: Der Stofftransport erfolgt durch Diffusion an einer semipermeablen Membran. Grafik: Stephan Spitzer
Insbesondere niedermolekulare Substanzen können so effektiv eliminiert werden. Sie befinden sich am Ende der Behandlung im sogenannten Dialysat, der Dialyselösung nach dem Filter, die verworfen wird. Die Blut- und Dialysatflussraten sind – verglichen mit den kontinuierlichen Verfahren – extrem hoch, sodass diese Art der Nierenersatztherapie nur für kreislaufstabile Patienten geeignet ist.
In Deutschland kommt sehr selten die Peritonealdialyse zum Einsatz. Hierbei erfolgt die Blutwäsche ohne maschinelle Unterstützung am Bauchfell des Patienten als semipermeabler Membran. Über einen speziellen Dialysekatheter werden größere Mengen Flüssigkeit in den Peritonealraum infundiert und nach einigen Stunden wieder abgelassen. Ein großer Vorteil dieser Form der Dialyse ist die Unabhängigkeit von einer Dialyse-Einrichtung, da die Patienten die Peritonealdialyse selbst zu Hause ausführen. Dies erfordert auf der anderen Seite ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Verständnis im Umgang mit der Erkrankung. Diese Voraussetzungen sind bei älteren multimorbiden Patienten häufig nicht gegeben.
Im stationären Sektor wird häufig eine kontinuierliche Nierenersatztherapie angewendet. Aufgrund ihres mehrtägigen dauerhaften Einsatzes werden nierenpflichtige Kumulate auch bei niedrigen Flussraten effektiv eliminiert. Diese Methode wird zum Beispiel bei kreislaufinstabilen septischen Patienten im akuten Nierenversagen angewendet.
Zwei Techniken kommen hier zum Einsatz: die Hämodialyse und die Hämofiltration. Im Gegensatz zur beschriebenen Hämodialyse erfolgt bei der Hämofiltration der Stofftransport hauptsächlich mittels Konvektion (Grafik 2). Dem Blut des Patienten werden durch Druck am Filter große Mengen an Flüssigkeit entzogen; die Elimination gelöster, vor allem größerer Moleküle erfolgt durch Mitnahme mit dem Wasserstrom. Eine Dialyseflüssigkeit ist nicht erforderlich. Der Patient erhält zum Ausgleich des entstehenden Flüssigkeitsdefizits kontinuierlich eine Substitutionslösung, in der Regel direkt nach der Filtereinheit in den Dialysekreislauf.
Grafik 2: Kontinuierliche Nierenersatztherapie mittels Hämofiltration: Der Stofftransport erfolgt vorwiegend mittels Konvektion. Grafik: Stephan Spitzer
Werden die Prinzipien des diffusiven und konvektiven Stofftransports kombiniert, spricht man von Hämodiafiltration. Auf diesem Weg kann die Gesamtmenge der entfernten Giftstoffe – und damit die Effektivität der Blutwäsche – gesteigert werden.
Als neuestes Verfahren hat sich im stationären Umfeld die slow low efficient daily dialysis (SLEDD) etabliert. Sie liegt mit einer Dialysedauer von zehn bis zwölf Stunden zwischen der klassischen intermittierenden und der kontinuierlichen Nierenersatztherapie. Sie erlaubt eine intermittierende Dialyse auch bei hämodynamisch nicht stabilen Patienten.
Entwickelt sich aus dem akuten Nierenversagen eine chronisch dialysepflichtige Niereninsuffizienz, wird von der kontinuierlichen Nierenersatztherapie stationär auf die intermittierende Dialyse gewechselt. Diese kann bei Bedarf ambulant und dauerhaft weitergeführt werden.
Mit fortschreitender Organschädigung wird die Elimination von Flüssigkeit und harnpflichtigen Substanzen zunehmend insuffizient – aber die Niere büßt nicht nur ihre exkretorische Funktion ein. Zusammen mit dem sukzessiven Ausfall der systemregulierenden und hormonsekretorischen Funktionen kann es im Verlauf einer chronischen Nierenerkrankung zu zahlreichen renalen und extrarenalen Komplikationen kommen. Diese müssen auch in der Arzneimitteltherapie berücksichtigt werden.
Wie die Dauermedikation eines dialysepflichtigen Patienten aussehen kann, wird am Beispiel des 69-jährigen Herrn J. H. erklärt. Der Mann ist seit neun Monaten dialysepflichtig aufgrund einer hypertensiven Nephropathie.
Ein erhöhter Blutdruck ist häufig nicht nur Ursache für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz, sondern aufgrund der gestörten Blutdruckregulation bei mehr als 90 Prozent der Patienten zu Beginn der Dialysepflicht eine behandlungsbedürftige Begleit- beziehungsweise Folgeerkrankung. Die arterielle Hypertonie ist eine der wesentlichen Ursachen für die hohe kardiovaskuläre Mortalität bei Dialysepatienten (1).
Hypertonie ist häufig die Ursache, aber auch eine Folge des chronischen Nierenversagens. Eine regelmäßige Blutdruckkontrolle gehört zum Therapiemanagement. Foto: AOK
Neben einer gesteigerten Natrium- und Wasserretention spielt für die Entstehung eine pathologische Überstimulation vasopressorischer Systeme, zum Beispiel des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), eine Rolle.
Eine ausreichend hoch dosierte und gegebenenfalls kombinierte Diuretika-Therapie soll eine größtmögliche Urinausscheidung erhalten. Zudem ist eine konsequente medikamentöse Blockade des RAAS durch ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptorantagonisten wichtig zur optimalen Blutdruckeinstellung.
Daneben sind – vor allem bei Patienten ohne Urinproduktion – der maschinelle Volumenentzug während der Dialyse sowie eine konsequente Einschränkung der täglichen Salz- und Flüssigkeitsaufnahme von Bedeutung. Potenziell behandlungsassoziierte Blutdruckschwankungen, bedingt durch die Kreislaufbelastung an der Dialyse, sind bei der Dosierung und Dosisverteilung der Medikamente zu beachten.
Herr J. H. kann mit einer Vierfachtherapie eine ausreichende Blutdruckkontrolle mit Restharnbildung erreichen (Tabelle).
Mit zunehmendem Funktionsverlust der Niere geht die Kapazität zur Säureelimination und Rückresorption von Bicarbonat verloren. Es entsteht eine chronische metabolische Azidose, die wiederum zahlreiche Prozesse wie den Knochen- und den Zuckerstoffwechsel sowie die Blutbildung ungünstig beeinflusst. Ferner kann die saure Stoffwechsellage eine bestehende Hyperkaliämie-Neigung noch verstärken und das ohnehin bestehende Risiko von Herzrhythmusstörungen durch die verminderte Ausscheidung von Kalium steigern.
Neben einem Ausgleich des Säure-Basen- und Elektrolythaushalts durch entsprechende Dialyselösungen mit hohem Bicarbonat- und niedrigem Kaliumgehalt brauchen manche Patienten zusätzlich eine Substitution von oralem Bicarbonat. Zur Vermeidung einer Hyperkaliämie ist eine kaliumsparende Diät beziehungsweise der Einsatz von Kationenaustauschern zur Reduktion der intestinalen Kaliumresorption erforderlich. Eine medikamentöse RAAS-Blockade muss gegebenenfalls dosisreduziert oder abgesetzt werden.
Bei Patient J. H. ist eine Korrektur der Azidose nicht notwendig.
Phosphatretention und eine reduzierte renale Calcitriol-Synthese aus den inaktiven Vorstufen mit erniedrigten Calciumspiegeln lösen eine übermäßige Bildung von Parathormon in der Nebenschilddrüse aus. In Summe führen diese Prozesse zur renalen Osteodystrophie, einer sowohl quantitativen als auch qualitativen Schädigung der Knochensubstanz. Neben Mineralisationsstörungen mit erhöhter Frakturgefahr resultieren aus den gestörten Regelkreisen auch extraossäre Verkalkungen mit Gefahr der überschießenden Bildung von Kalk in den Blutgefäßen (2).
Extrarenale Komplikation: Der gestörte Knochenstoffwechsel erhöht die Bruchgefahr. Foto: Fotolia/Mat Hayward
Die Pfeiler einer Therapie sind eine phosphatarme Ernährung und Einnahme von Phosphatbindern sowie die Substitution von aktiviertem Vitamin D unter engmaschiger Überwachung der Serumspiegel von Calcium, Phosphat und Parathormon. Je nach Konstellation der Elektrolytwerte stehen als Phosphatbinder calciumhaltige (Beispiel Calciumacetat) oder calciumfreie (Beispiel Sevelamer) Präparate zur Verfügung.
Häufig muss der Patient mehrere Präparate einnehmen, um Phosphatwerte im Zielbereich zu erreichen. Gastrointestinale Nebenwirkungen tragen jedoch maßgeblich zur Noncompliance bei. Da zudem viele Patienten die phosphatarme Diät kaum einhalten, ist die Kontrolle der Hyperphosphatämie häufig schwierig.
Neben dem Ausgleich einer Hypocalciämie und einer Verbesserung der Knochenmineralisation zielt die Substitution mit aktiviertem Vitamin D auf eine Antagonisierung der überschießenden Parathormon-Produktion ab. Zur Vermeidung extraossärer Verkalkungen muss eine Erhöhung der Serumcalciumspiegel vermieden und die Dosis entsprechend der Laborwerte angepasst werden.
Lassen sich die Parathormonspiegel mit diesen Maßnahmen nicht senken und kommt eine operative Entfernung der Nebenschilddrüse nicht infrage, stehen als medikamentöse Alternative Calcimimetika wie Cinacalcet zur Verfügung.
Herr J. H. braucht eine Kombination aus calciumfreien und calciumhaltigen Phosphatbindern, zusätzlich zu aktiviertem Vitamin D (Tabelle).
Eine gestörte Blutbildung durch einen Mangel an Erythropoietin, Störungen des Eisenstoffwechsels sowie eine verkürzte Lebenszeit der roten Blutkörperchen und chronische Blutverluste verursachen häufig eine Blutarmut bei Dialysepatienten. Dies beeinträchtigt die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit und verschlechtert die kardiale Funktion.
Um dies zu vermeiden, kommen zur Anhebung der Hämoglobinwerte neben einer in der Regel intravenösen Eisensubstitution auch Erythropoese-stimulierende Agenzien (ESA) zum Einsatz. Der Zielwertbereich liegt niedriger als bei nierengesunden Patienten. Die Hb-Werte darüber hinaus anzuheben, erhöht unter anderem das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen wie Schlaganfälle und thromboembolische Ereignisse sowie Blutdruckentgleisungen (3).
Typischerweise müssen Eisen und Erythropoietin nicht täglich substituiert werden. Eine ein- bis dreimal wöchentliche Gabe reicht in der Regel aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Auch Herr J. H. bekommt eine Therapie gegen die Anämie (Tabelle).
Tabelle: Medikation des dialysepflichtigen Patienten J. H. aus dem Fallbeispiel
Neben der Elimination von Abbauprodukten können moderne Dialysemaschinen durch die hohen Flussraten und die reproduzierbare Porengröße der Filter auch chemisch definierte Arzneistoffe effektiv aus dem Blut entfernen. Bei Patienten mit Nierenersatztherapie lohnt sich immer ein kritischer Blick auf die Medikation.
Grundsätzlich gilt: Substanzen, deren klinischer Effekt gemessen werden kann, zum Beispiel Antihypertonika, können in sehr niedrigen Dosen gestartet und bis zum gewünschten Effekt gesteigert werden. Wirkstoffe, die unabhängig von der Nierenfunktion ausgeschieden werden, sind gegenüber nierenpflichtigen Substanzen möglichst zu bevorzugen. Jedoch lässt sich die Nierenpflichtigkeit eines Wirkstoffs nicht automatisch auf seine Dialysierbarkeit übertragen.
Dialysepatienten brauchen viele Medikamente. Foto: Fotolia/Gundolf Renze
Außerdem ist zu beachten, dass chronisch kranke Dialysepatienten mit ihren meist langen medizinischen Vorgeschichten häufig sensibler gegenüber Neben- und Wechselwirkungen reagieren, vor allem mit zunehmendem Lebensalter. Diese pharmakodynamische Sensibilität muss berücksichtigt werden.
Für die Frage, wie stark ein Arzneistoff über eine Nierenersatztherapie eliminiert wird, ist die Kenntnis seiner Proteinbindung von zentraler Bedeutung. Aufgrund der Filtereigenschaften als semipermeable Membran werden Wirkstoffe, die an große Blutbestandteile wie Proteine gebunden sind, nicht über die Membran eliminiert. Insgesamt werden Substanzen mit geringer Proteinbindung, bei hoher Dosis und geringem Verteilungsvolumen mit hoher Wahrscheinlichkeit stark aus dem Blut eliminiert (4). Je nach Indikation kann dies bis zum Wirkverlust nach einer Dialysesitzung führen, zum Beispiel bei Antiepileptika.
Umgekehrt ist die Elimination durch ein Dialysegerät bei Wirkstoffen mit großem Verteilungsvolumen, geringen Dosen und hoher Proteinbindung in der Regel klein. Im besten Fall hat dann weder die Einschränkung der Nierenfunktion noch die Dialyse einen entscheidenden Einfluss auf die pharmakodynamische Effektivität der Therapie (5).
Überlegungen zur Anpassung der Arzneimitteltherapie bei Dialysepatienten sollen am Beispiel der 76-jährigen Frau P. P. erläutert werden.
Frau P. P. leidet seit vielen Jahren unter chronischer Niereninsuffizienz, arterieller Hypertonie, Typ-2-Diabetes und seit einiger Zeit zusätzlich unter einem neuropathischen Schmerzsyndrom in den Beinen. Bei steigenden Nierenwerten und einer drohenden Entgleisung des Kaliumspiegels wird ihr ein Dialyse-Shunt gelegt und mit der ambulanten Dialyse dreimal wöchentlich begonnen.
Vor Dialysebeginn nahm Frau P. P. dauerhaft folgende Wirkstoffe ein: Bisoprolol, Hydrochlorothiazid, Gabapentin, Metformin und Pravastatin. Der Arzt möchte die Dauermedikation fortsetzen. Zunächst erfolgt eine Interpretation der Wirkstoffelimination bei Dialyse.
Bisoprolol wird nur in geringem Ausmaß über die Dialyse eliminiert und kann in der Dauermedikation mit gewohnter Dosierung fortgeführt werden.
Hydrochlorothiazid muss in die luminalen Zellen der distalen Nierentubuli gelangen, um seine Wirkung am Natrium-Chlorid-Cotransporter ausüben zu können. Bei einer stark eingeschränkten Nierenfunktion mit Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min ist dies nicht mehr möglich. Zum einen unterbleibt damit die blutdrucksenkende diuretische Wirkung, zum anderen kumuliert der Wirkstoff im systemischen Kreislauf und kann dort vermehrt zu metabolischen Nebenwirkungen beitragen. Die Substanz ist damit weder für niereninsuffiziente Menschen noch für Dialysepatienten geeignet. Schleifendiurektika unterliegen dieser Limitation nicht, sodass sie eine gute Alternative zum Hydrochlorothiazid darstellen. Durch den High Ceiling Effekt lässt sich zudem teilweise eine gewisse Restdiurese mit ihnen erhalten (wie im vorigen Abschnitt beschrieben).
Verträgt sich das neue Medikament mit der Dialyse? Bei nierenkranken Patienten sollten Apotheker die gesamte Medikation im Blick behalten. Foto: Fotolia/Ivan Gligorijevic
• Metformin ist wegen des gesteigerten Risikos einer Lactatazidose kontraindiziert bei Patienten unter Dialyse. Hier ist eine Umstellung auf eine insulinbasierte Therapie zu erwägen.
• Pravastatin bleibt relativ unbeeinflusst von einer Einschränkung der Nierenfunktion. Ebenso wird die Substanz nur moderat dialysiert. Anhand eines Monitorings der Lipidwerte kann der Arzt ohne Weiteres auf ein mögliches verändertes Ansprechen reagieren.
• Ganz anders bei Gabapentin: Die Substanz wird fast ausschließlich über die Nieren eliminiert.
Bei Nierenfunktionseinschränkung ist daher eine stringente Dosisreduktion erforderlich. Zusätzlich ist durch das kleine Verteilungsvolumen und die geringe Proteinbindung die Ausscheidung bei Dialyse extrem hoch. Die Elimination aus dem Körper findet fast ausschließlich durch die Dialyse statt. Somit muss der Wirkstoff an Dialysetagen zwingend nach der Dialyse eingenommen werden.
Bedeutend bei Dialysepatienten ist eine regelmäßige Reevaluation der medikamentösen Therapie anhand der klinischen und labordiagnostischen Parameter und anhand des subjektiven Wohlbefindens des Patienten. /
Literatur
1) Becker, G. J., et al., KDIGO Clinical Practice Guideline for the Management of Blood Pressure in Chronic Kidney Disease. Kidney International Supplements 2 (2012) 363–369.
2) Ketteler, M., et al., KDIGO-Leitlinien zu den Störungen des Mineral- und Knochenhaushalts bei chronischer Nierenerkrankung. Nephrologe 4 (2009) 433–436.
3) McMurray, J. J. V., et al., KDIGO Clinical Practice Guideline for Anemia in Chronic Kidney Disease. Kidney International Supplements 2 (2012) 279-335.
4) Czock, D., et al., Dosierung von Antiinfektiva bei Nierenversagen und Nierenersatztherapie in der Intensivmedizin. Empfehlungen der Sektionen Niere der DGIIN, ÖGIAIN und DIVI. Med Klin Intensivmed Notfmed 113 (2018) 384–392.
5) Smyth, B., Jones, C, Saunders, J., Prescribing for patients on dialysis. Aust Prescr. 39 (2016) 21–24.
Christine Przybylok ist als Assistenzärztin in den Medizinischen Kliniken am Klinikum Heidenheim tätig. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie mit Schwerpunkt im Bereich ambulante und stationäre Hämodialyse.
Dr. Anka Röhr ist als Apothekerin im Klinikum Heidenheim tätig. Sie ist Delegierte der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Klinikapotheke sind Therapeutisches Drug Monitoring und Arzneimittelinformation.