Kalorienreduktion ohne Kalorienreduzierung |
Theo Dingermann |
28.10.2019 08:00 Uhr |
Kalorienrestriktion ist schwer durchzuhalten. Besser wäre es , wenn man den Antiaging-Effekt des Hungerns pharmakologisch nachahmen könnte. / Foto: ©Studio KIVI - stock.adobe.com
In dem Nachrichtenportal »Genetic Engineering & Biotechnology News« erschien vor Kurzem ein Bericht zu zwei Publikationen von Forschergruppen, die sich mit den Megathemen »Gesund Altern« beziehungsweise »Langlebigkeit« beschäftigen. In beiden Fällen konzentrieren sich die Studien auf das Signalnetzwerks zur Nährstoffsensorik, denn als unbestritten gilt mittlerweile, dass Nährstoffrestriktion ein entscheidender Trigger sowohl für ein gesundes Altern und in der Folge dann auch eines längeren Lebens ist. Allerdings ist es eine Binsenweisheit, dass Kalorienreduktion – also Hungern – für die meisten eine Tortur ist, die man bei erst bester Gelegenheit wieder abschüttelt. Einen Ausweg erhoffen sich Experten durch die Suche nach Kalorienenrestriktions-Mimetika (calorie-restriction mimetics; CRMs). Diese Substanzen führen pharmakologisch eine Stoffwechseländerung herbei, die dem Gleichgewicht entspricht, das sich einstellt, wenn der Organismus hungert.
Eine Studie aus dem Institut Pasteur in Paris befasst sich mit dem Wachstumsdifferenzierungsfaktor 11 (GDF11), der auch während der Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle spielt. In ihrer Arbeit mit dem Titel »Systemic GDF11 stimulates the secretion of adiponectin and induces a calorie restriction‐like phenotype in aged mice« untersuchten die Wissenschaftler um Dr. Lida Katsimpardi, ob GDF11 in der Lage ist, Alterungsprozesse zu verlangsamen. Das schien plausibel, da von GDF11 bekannt ist, dass es die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert, Krebs teilweise verhindert und die Neurogenese im Gehirn fördert.
Offensichtlich lagen sie nicht falsch, wie die Untersuchungen mit Mäusen zeigten. »Eine systemische Gabe von GDF11 löst einen kalorienrestriktiven Phänotyp aus, ohne den Appetit zu beeinträchtigen«, so die Autoren. »Zudem korrigiert eine GDF11-Substitution bei älteren Mäusen den Insulin-/IGF-1-Signalweg und stimuliert die Adiponektinsekretion aus weißem Fettgewebe durch direkte Einwirkung auf die Adipozyten. Und GDF11 aktiviert die Neurogenese im alternden Gehirn«.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass GDF11 eine pleiotrope Wirkung in einem Organismus entfaltet und teils Effekte simuliert, die auch beobachtet werden, wenn beispielsweise ältere Tiere mit dem Blut junger Tiere versorgt werden (heterochrone Parabiose). Daher spekulieren die Autoren, dass die durch GDF11 ausgelösten Effekte als Bindemechanismus zwischen heterochronen Parabiose-Effekten und einer Kalorienrestriktion angesehen werden könnten.
In der zweiten Studie, die am 14. Oktober im Journal »EMBO Molecular Medicine« erschien, widmeten sich Forscher unter Leitung von Professor Dr. Guido Kroemer vom Institut national de la santé et de la recherche médicale (INSERM) der Frage, ob der Naturstoff 3,4-Dimethoxychalcon (3,4-DC) Eigenschaften eines Kalorienrestriktions-Mimetikums im weitesten Sinne aufweisen könnte. Dies gilt zum Beispiel für die Biomoleküle Spermidin und Resveratrol. Von diesen ist bekannt, dass sie Autophagie induzieren – ein Mechanismus, über den die Kalorienrestriktion lebensverlängernd wirkt. Ein System von ausgedienten Zellen oder denaturierten Proteinen freizuhalten, ist wichtig, um etliche physiologische Prozesse korrekt ablaufen zu lassen.
Auf 3,4-DC stießen die Forscher im Rahmen eines Screenings von Naturstoffen, vor allem aus der Gruppe der Polyphenole. Sie konnten zeigen, dass 3,4-DC in mehreren menschlichen Zelllinien die Deacetylierung zytoplasmatischer Proteine induzierte und so den Autophagieprozess stimulierte. Im Gegensatz zu anderen gut charakterisierten CRMs war für die durch 3,4-DC aktivierte Autophagieaktivität Genexpression erforderlich, die von den Transkriptionsfaktoren EB (TFEB)- und E3 (TFE3) kontrolliert wurde.
Dabei stimulierte 3,4-DC die Translokation der beiden Transkriptionsfaktoren vom Zytoplasma in den Kern, was sich sowohl in vitro als auch in vivo in Hepatozyten und Kardiomyozyten zeigen ließ. Dies resultierte in kardioprotektiven Effekten und verbesserte auch die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten.
Recht optimistisch resümieren die Wissenschaftler, dass sie mit 3,4-DC ein neuartiges CRM mit einem bisher nicht bekannten Wirkmechanismus identifiziert haben.