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Bei Verdacht auf Schlaganfall ist keine Zeit zu verlieren: unverzüglich die Notrufnummer 112 wählen und die Symptome schildern. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Ein Schlaganfall (Insult) ereilt jedes Jahr rund 270.000 Menschen in Deutschland. Damit ist er fast so häufig wie ein Herzinfarkt. 55 Prozent der Betroffenen sind Frauen mit einem Durchschnittsalter von 75 Jahren. Männer erkranken in der Regel früher, durchschnittlich bereits mit 68 Jahren.
Bei 85 Prozent dieser Patienten ist ein Blutgefäß im Kopf verstopft (ischämischer Schlaganfall); in den anderen Fällen blutet es aus einer Arterie ins Hirngewebe (hämorrhagischer Schlaganfall oder Hirnblutung). Ungefähr ein Viertel der Patienten verstirbt innerhalb eines Jahres, die Hälfte der Überlebenden bleibt dauerhaft behindert.
Dauern Symptome nur kurz, meist unter einer Stunde an, sprechen Ärzte von einer transitorisch ischämischen Attacke (TIA). Auch wenn die Betroffenen rasch wieder beschwerdefrei sind, darf diese keineswegs leichtgenommen werden. Denn bei 15 Prozent der Patienten geht eine TIA dem manifesten Schlaganfall voraus, in 2 bis 10 Prozent bereits innerhalb von zwei Tagen. Eine sofortige Ursachenabklärung ist daher dringend erforderlich.
Nach einem Schlaganfall ist das Risiko für einen Reinfarkt erhöht. Auch wenn der erste Zwischenfall glimpflich ausgegangen ist, können die folgenden fatale Schäden hinterlassen. Somit haben die sorgfältige Ursachenabklärung und die Prävention große Bedeutung.
Eine Minderdurchblutung im Gehirn (Ischämie) wird durch den Verschluss eines hirnversorgenden arteriellen Gefäßes verursacht. Dieser kann durch eine lokale Gerinnselbildung (Thrombus) oder infolge einer Embolie (»verschleppter« Thrombus aus einer Arterie, dem Aortenbogen oder dem Herzen) entstehen.
Je nach Ursache des Schlaganfalls sind unterschiedliche therapeutische Maßnahmen erforderlich, sodass eine Differenzierung der verschiedenen Subtypen wichtig ist (Grafik 1). Makroangiopathien entstehen durch meist arteriosklerotisch bedingte Stenosen extra- oder intrakranieller hirnversorgender Gefäße; am häufigsten ist die Arteria carotis interna betroffen.
Grafik 1: Subtypen des Schlaganfalls / Foto: PZ/Pfeifer
Kardiale Embolien sind hingegen meist Folge eines Vorhofflimmerns (VHF) und seltener durch einen Myokardinfarkt, eine Kardiomyopathie oder bakterielle Endokarditis bedingt. Sie verlaufen deutlich schwerer. So haben Patienten nach einem kardioembolischen Schlaganfall ein höheres Risiko, dauerhaft bettlägerig zu bleiben oder zu versterben (Ein-Jahres-Letalität 49,5 versus 27,1 Prozent).
Seltene, für maximal 5 Prozent der Hirninfarkte verantwortliche Ursachen umfassen Gerinnungsstörungen oder hämatologische Erkrankungen. Aber trotz umfassender Diagnostik kann die Ätiologie in 30 Prozent der Fälle nicht geklärt werden (»kryptogene« Infarkte).
Höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, Ethnie, genetische Prädisposition oder eine Hyperkoagulabilität, beispielsweise infolge einer Tumorerkrankung, zählen zu den nicht beeinflussbaren Risikofaktoren des Schlaganfalls. Frühzeitiges Erkennen und Behandeln veränderbarer Risiken sind wirksame Werkzeuge in der Prävention (Tabelle 1).
Dabei kommt dem VHF besondere Bedeutung zu, verfünffacht es doch das Schlaganfallrisiko – und zwar unabhängig davon, ob es paroxysmal oder persistierend vorhanden ist. Etwa die Hälfte der Betroffenen bemerkt jedoch nichts davon. Durch Tasten des eigenen Pulses oder die Anzeige von Pulsunregelmäßigkeiten beim Blutdruckmessen kann der unregelmäßige Herzschlag möglicherweise erkannt werden. Da beim VHF mit der oralen Antikoagulation eine wirksame Prävention zur Verfügung steht, ist das EKG-Monitoring besonders bedeutsam.
Risikofaktor | Risikoerhöhung | Maßnahmen |
---|---|---|
Vorhofflimmern | 5-fach | selbst erkennen: Puls regelmäßig tasten, bei Blutdruckmessung auf Arrhythmien achten |
Bluthochdruck | 3- bis 5-fach | regelmäßige Kontrolle, auch Selbstmessung zu Hause |
Diabetes mellitus | 2- bis 3-fach | regelmäßige Kontrolle der Blutzuckerwerte |
Rauchen | 2- bis 2,5-fach | Verhalten kritisch betrachten und modifizieren: Rauchen, Alkohol, Ernährung, körperliche Aktivität |
Fettstoffwechselstörung | 2-fach | Verhalten kritisch betrachten und modifizieren: Rauchen, Alkohol, Ernährung, körperliche Aktivität |
Bewegungsmangel | 1,5- bis 2-fach | Verhalten kritisch betrachten und modifizieren: Rauchen, Alkohol, Ernährung, körperliche Aktivität |
schädlicher Alkoholkonsum | 2- bis 3-fach | Verhalten kritisch betrachten und modifizieren: Rauchen, Alkohol, Ernährung, körperliche Aktivität |
Schlafapnoe-Syndrom | 2- bis 3-fach | Symptome erkennen: Schnarchen, Atempausen im Schlaf, Tagesmüdigkeit |
Zudem erhöhen arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Nikotin- und übermäßiger Alkoholkonsum sowie Übergewicht und der damit oft assoziierte Bewegungsmangel das Risiko (1).
Ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom wurde als Risikofaktor bei zwei bis drei von vier Schlaganfallpatienten identifiziert, verbunden mit einer erhöhten Sterblichkeit und einem schlechteren funktionellen Outcome.
Chronischer Stress kann indirekt das Schlaganfallrisiko erhöhen, unter anderem infolge eines dauerhaft erhöhten Blutdrucks. Zudem begünstigt Stress ungesunde Ernährung, Rauchen oder übermäßigen Alkoholkonsum.
Die American Heart Association (AHA) hat 2010 die »Life’s simple 7« als Empfehlungen zur Prävention des Herzinfarkts veröffentlicht. Deren Einhaltung reduziert auch das Risiko für eine Demenz sowie für einen Schlaganfall – sowohl in der Primär- als auch der Sekundärprophylaxe. In der Sekundärprävention sind hinsichtlich der Therapieziele an den Patienten noch strengere Maßstäbe anzulegen und Präventivmaßnahmen konsequent umzusetzen. Es geht um vier Verhaltensregeln und drei Laborparameter:
Das Einstellen des Rauchens zur Primärprävention eines Schlaganfalls ist äußerst sinnvoll und senkt das Insultrisiko nach einem Jahr Abstinenz um 50 Prozent. Auch in der Sekundärprävention reduziert die Raucherentwöhnung das Risiko für einen Insult um ein Drittel und ist damit effektiver als beispielsweise die Monotherapie mit Thrombozytenaggregationshemmern (TAH).
Personen mit erhöhtem Schlaganfallrisiko sollten ihren Alkoholgenuss einschränken. Da die Gesamtsterblichkeit bereits ab 100 g Reinalkohol (entspricht etwa 2 l Bier oder 1 Flasche Weißwein) pro Woche steigt, empfiehlt eine aktuelle Publikation generell niedrige Obergrenzen. Der Konsum von 200 g pro Woche verkürzt die Lebensdauer um ein bis zwei Jahre, mehr als 350 g um bis zu fünf Jahre (2).
Empfehlenswert sind regelmäßige sportliche Aktivitäten. Wichtig: Jeder noch so kleine Schritt aus der Inaktivität und die Verminderung der Sitzdauer fördern die Gesundheit.
Zahlreiche Infektionen wie Influenza und Gürtelrose, aber auch akute Atemwegs- und Harnwegsinfekte können durch eine Gerinnungsaktivierung das Auftreten von Schlaganfällen triggern. Auch Covid-19 steht im Verdacht, einen Insult auslösen zu können. Während die Grippeschutzimpfung für Risikopatienten und Patienten nach Schlaganfall klar empfohlen wird, werden weitere Impfungen wie die Herpes-zoster-Impfung als Maßnahme zur Schlaganfallprävention diskutiert (14).
Die Behandlung des erhöhten Blutdrucks ist die wohl effektivste medikamentöse Intervention, um einem Schlaganfall vorzubeugen – vor allem nach einem zerebrovaskulären Ereignis. Die Arzneimitteltherapie wird bei Patienten mit einem Blutdruck ab 140 mmHg generell empfohlen, wenn eine Lebensstiländerung nicht zum Erfolg führt (3).
In der europäischen Hypertonie-Leitlinie 2018 wurde erstmals eine Untergrenze bei 120 mmHg definiert, unter die der Blutdruck nicht gesenkt werden sollte, um Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit, Gangunsicherheit mit Sturzrisiko sowie Synkopen bis hin zu zerebralen und myokardialen Ischämien zu vermeiden. Ebenfalls um Nebenwirkungen zu vermeiden, ist bei hochbetagten Patienten (über 80 Jahre) eine antihypertensive Therapie erst bei systolischen Werten ≥ 160 mmHg indiziert. Für Patienten über 65 Jahre liegt das Blutdruckziel bei 130 bis 139/< 80 mmHg.
Effektive Primärprävention: Die regelmäßige Blutdruckkontrolle weist eventuell auch auf Vorhofflimmern hin. / Foto: Adobe Stock/Bojan
Diabetes mellitus ist ein unabhängiger Risikofaktor für einen Schlaganfall oder ein Rezidiv. Er sollte leitliniengerecht behandelt werden (5, 6).
Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK), hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, nach Hirninfarkt oder TIA reduziert eine Statin-Therapie das Schlaganfallrisiko. Leider liegt noch keine ausreichende Evidenz vor, welche Zielwerte sinnvoll sind. Basierend auf den Ergebnissen kardiovaskulärer Studien sollte bei Schlaganfallpatienten ein LDL-Cholesterol unter 70 mg/dl angestrebt werden. Bei zusätzlichen Risikofaktoren sollten hochpotente Statine in hoher Dosierung eingesetzt werden (Atorvastatin 40 bis 80 mg/d oder Rosuvastatin 20 bis 40 mg/d), eventuell in Kombination mit Ezetimib (10 mg/d).
Können mit dieser Kombination die Werte nicht auf das erforderliche Maß gesenkt werden, ist für Hochrisikopatienten der Einsatz des PCSK9-Hemmers Evolocumab möglich. Eine weitere Option eröffnet die kürzlich zugelassene Bempedoinsäure, die auf einem neuen Wirkmechanismus beruht. Sie hemmt die ATP-Citrat-Lyase und damit die Cholesterolsynthese in der Leber auf einer früheren Stufe als die Statine. Im Gegensatz zu PCSK9-Inhibitoren ist sie oral anwendbar und wird einmal täglich appliziert.
Personen mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko sollten ihre Ernährung abwechslungsreich gestalten und an den Empfehlungen der mediterranen oder nordischen Kost ausrichten. Dabei sollte Normalgewicht angestrebt werden. Zudem ist ein Salzkonsum von mehr als 5 bis 6 g/d mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (KHK, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall) assoziiert. Der ausreichende Verzehr von Obst und Gemüse als Kaliumlieferanten kann den blutdrucksenkenden Effekt verstärken.
Ein reduzierter Gesamtfettanteil senkt die Gesamt- und die LDL-Cholesterol-Konzentration. Es gibt jedoch keine Evidenz für einen blutdrucksenkenden Effekt bei Hypertonie. Weiterhin konnte kein Zusammenhang zwischen der Fettzufuhr und dem Adipositas-Risiko belegt werden. Langkettige Omega-3-Fettsäuren senken sowohl die Konzentration von Gesamt- und LDL-Cholesterol sowie Triglyzeriden als auch den Blutdruck. Allerdings ist es nur mit Supplementen möglich, eine therapeutisch wirksame Dosierung zu erreichen. Nahrungsmittel, die reich an γ-Linolensäure sind, senken zusätzlich die LDL- und Gesamtcholesterol-Konzentration.
Bei Patienten mit VHF sollte der Arzt zur Primärprävention des Schlaganfalls klären, wie hoch das Risiko ist, innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Schlaganfall zu erleiden. Für die Risikoabschätzung gibt es etablierte Skalen wie den CHA2DS2-VASc-Score. Da orale Antikoagulanzien auch Blutungskomplikationen auslösen können, sollten Arzt und Patient gemeinsam über die Behandlung entscheiden.
Für Patienten mit VHF, die mindestens zwei Punkte im CHA2DS2-VASc-Score erreichen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie eine orale Gerinnungshemmung mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK: Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban sowie Dabigatran), ersatzweise auch mit Cumarinen (VKA) wie Phenprocoumon und Warfarin bei Klappenerkrankungen. In der Sekundärprävention sind orale Antikoagulanzien zwingend geboten (Tabelle 2).
Behandlung | Durchschnittliche relative Risikoreduktion (Prozent) | NNT zur Prävention von einem Schlaganfall/Jahr mit Behinderung oder Todesfolge |
---|---|---|
Antihypertensiva | –28 | 42 bis 51 |
Statine | –16 bis 35 | 57 bis 59 |
orale Antikoagulation bei VHF | –62 | 13 |
Rauchen einstellen | –33 | 43 |
ASS | –13 | 77 |
Clopidogrel | –15 | 64 |
ASS plus Dipyramidol | –38 | 33 |
Operation einer hochgradigen Carotisstenose | –44 | 26 |
Derzeit wird international diskutiert, ob VKA oder DOAK besser geeignet sind, um VHF-assoziierte Schlaganfälle und allgemein die Mortalität bei VHF zu reduzieren. Patienten, die stabil und komplikationslos auf VKA eingestellt sind, sollten nicht umgestellt werden. Dagegen plädieren verschiedene Fachgesellschaften bei der Neueinstellung für DOAK aufgrund des niedrigeren intrakraniellen Blutungsrisikos.
Vor Therapiebeginn und regelmäßig während der Behandlung sollte die Nierenfunktion überprüft werden und ein Interaktionscheck erfolgen. Die Komedikation von DOAK mit starken P-Glykoprotein-Inhibitoren oder -Induktoren sollte vermieden werden, ebenso der Einsatz bei Patienten mit mechanischen Herzklappen, Dialyse und Mitralklappenstenose (4). DOAK, vor allem Apixaban, werden häufig unterdosiert; daher ist besonders auf die adäquate Dosierung zu achten.
Auch wenn der Schlaganfall eine Erkrankung des höheren Lebensalters ist, trifft er in Deutschland jedes Jahr 30.000 Menschen vor dem 55. Lebensjahr. Nur 40 Prozent kehren an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurück, etwa ein Drittel bleibt dauerhaft arbeitsunfähig. Bei diesen »juvenilen« Schlaganfällen ist das Ursachenspektrum breiter und anders verteilt als beim älteren Menschen. Etwa ein Viertel kann auf eine kardiale Embolie zurückgeführt werden, wenngleich VHF mit 5 Prozent deutlich seltener als beim älteren Menschen ist.
Kontrovers diskutiert wird die Rolle eines persistierenden Foramen ovale (PFO), einem Relikt aus der Embryonalzeit und bei circa 25 Prozent der gesunden Bevölkerung vorhanden. Jedoch wird es bei 30 bis 50 Prozent der jungen Insultpatienten nachgewiesen (7), sodass bei fehlenden anderen Ursachen ein Zusammenhang vermutet wird.
Eine weitere häufige Ursache juveniler Schlaganfälle ist mit 10 bis 25 Prozent die spontane zervikale Gefäßdissektion, hervorgerufen durch ein Hämatom in der Gefäßwand (8). Neben einer genetischen Prädisposition spielen Umweltfaktoren wie Bagatelltraumen oder Infektionen eine ursächliche Rolle. Bei circa 15 Prozent der Patienten bestehen sogar multiple Dissektionen, die mehr als eine Halsarterie betreffen. Da 70 bis 80 Prozent der Dissektionen unbehandelt zu einem Hirninfarkt führen, sind das rasche Erkennen und die frühzeitige Therapie entscheidend.
Daneben gibt es noch eine Reihe seltener Ursachen wie Gefäßentzündungen (Vaskulitiden) oder Drogenkonsum. Migräne, besonders in Verbindung mit einer Aura, erhöht das Risiko etwa um den Faktor 2 bis 3. Das gilt vor allem für Frauen unter 45 Jahren. Mit der Zahl der Migräneattacken steigt das Risiko, das durch Rauchen und die Einnahme oraler Kontrazeptiva weiter potenziert wird (9).
Beobachtungsstudien legen zudem einen Zusammenhang zwischen Estrogenen und der Schlaganfallinzidenz nahe. Auch die Applikationsform scheint eine Rolle zu spielen: Es treten weniger vaskuläre Ereignisse bei der transdermalen Applikation im Vergleich zur oralen Einnahme auf. Frauen mit zusätzlichen Risikofaktoren wie Migräne mit Aura oder Zigarettenrauchen sollten daher keine oralen Estrogen-haltigen Kontrazeptiva einnehmen, sondern mit reinen Progesteron-Präparaten (»Minipillen«) oder nicht hormonell verhüten.
Wird zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden nach der Menopause eine Hormonersatztherapie (HRT) gewünscht, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung nötig. Nach einem Schlaganfall sollte eine HRT beendet werden.
Auch wenn 25 bis 50 Prozent der juvenilen Schlaganfälle kryptogen bleiben, gewinnen die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren in den letzten Jahren an Bedeutung. So wurde in einer großen US-amerikanischen Beobachtungsstudie gezeigt, dass sich die Zahl der Personen mit drei bis fünf Risikofaktoren innerhalb einer Dekade nahezu verdoppelt hat. Dies unterstreicht eindrücklich die Beobachtungen auf deutschen Stroke Units, dass zunehmend jüngere Menschen wegen eines Schlaganfalls stationär behandelt werden müssen (10).
Der Schlaganfall ist wie der Herzinfarkt ein Notfall. Der Slogan »Time is brain« verdeutlicht die Akuität dieser Erkrankung. Da die ersten Stunden über das Ausmaß der Zellschäden im Gehirn entscheiden, muss der Schlaganfall so schnell wie möglich erkannt werden. Pro Minute sterben bei Verschluss eines großen hirnversorgenden Gefäßes 1,9 Millionen Nervenzellen und 14 Milliarden Nervenverbindungen gehen zugrunde.
Ob die Ursache der Symptome ein verstopftes Hirngefäß oder eine Einblutung im Gehirn ist, kann nur eine Computer- oder Kernspintomografie klären. Vorher dürfen keinesfalls gerinnungswirksame Medikamente verabreicht werden, da diese eine Hirnblutung potenziell verschlechtern und eine Lysetherapie unmöglich machen können. Die wichtigste Maßnahme ist der rasche Transport auf die nächstgelegene Stroke Unit, eine für die Schlaganfallbehandlung optimal ausgestattete Spezialeinheit.
Bei Verdacht auf einen Schlaganfall gilt: sofort in die nächste Stroke Unit! / Foto: Adobe Stock/william87
Symptome eines Schlaganfalls beginnen plötzlich, wie der Name sagt: schlagartig. Bis zu 25 Prozent der Betroffenen erleiden ein »Schlagerl«, wie der Hirninfarkt manchmal verharmlosend bezeichnet wird, im Schlaf. Beschwerden werden dann erst beim Erwachen bemerkt. Bei einer TIA dauern Symptome nur wenige Sekunden bis Minuten an, müssen jedoch genauso ernst genommen werden wie länger anhaltende Defizite. Welche Symptome ein Patient entwickelt, hängt von der Lokalisation der geschädigten Region im Gehirn ab.
Schmerzen treten nicht regelhaft auf, finden sich jedoch bei Dissektionen, migränösen Infarkten oder Schlaganfällen im hinteren (vertebrobasilären) Stromgebiet. Auch Hirnblutungen gehen häufiger mit Kopfschmerzen einher.
Eine vorübergehende Sehstörung auf einem Auge ist Ausdruck einer Minderperfusion retinaler Gefäße. Diese sogenannte Amaurosis fugax ist ein typisches Frühsymptom einer Carotisstenose, die unbehandelt zum schweren Schlaganfall führen kann.
Die frühe Erkennung eines Schlaganfalls, die sofortige Aktivierung des Rettungsdienstes und der rasche Transport auf eine Stroke Unit sind grundlegend für ein möglichst gutes Outcome. Deshalb ist es sinnvoll, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken. Anhand des FAST-Tests können auch Laien einen Schlaganfallverdacht überprüfen (Kasten).
Die Symptome eines Schlaganfalls beginnen immer plötzlich, halten mitunter nur kurz an (TIA) oder bleiben bestehen. Welche sind typisch?
Mit drei einfachen Fragen zu den häufigsten Symptomen können Laien einen Schlaganfallverdacht überprüfen.
Face: Bitten Sie die Person zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.
Arms: Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt ab oder dreht sich.
Speech: Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
Time: Zögern Sie nicht, wählen Sie unverzüglich die 112 und schildern Sie die Symptome.
Aufgrund der Zeitabhängigkeit der Akuttherapie bedarf es einer raschen Initialdiagnostik. Neben Anamnese (mit Berücksichtigung der Vormedikation), neurologischer Untersuchung und Erfassen der Gerinnungsparameter im Blut ist die zerebrale Bildgebung mittels Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) inklusive Gefäßdarstellung maßgeblich. Sie dient der Abgrenzung des ischämischen vom blutigen Schlaganfall, was entscheidend ist für mögliche Rekanalisationsbehandlungen.
Die weiterführende Diagnostik dient insbesondere der Abklärung der Schlaganfallursache. Hierzu gehören immer ein Langzeit-EKG, eine Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Gefäße sowie des Herzens und die Abklärung der Risikofaktoren. Im Einzelfall können eine erweiterte Gerinnungsdiagnostik, die Bestimmung von Vaskulitis-Parametern im Blut oder eine Liquoruntersuchung erforderlich werden.
Ist der Schlaganfall diagnostiziert, basiert die Akutbehandlung auf vier Säulen:
Mithilfe von Medikamenten (Lysetherapie) oder Katheterverfahren gelang es in den letzten Jahren immer besser, die lebensgefährlichen Blockaden im Gehirn aufzulösen. Hierdurch überleben Patienten häufiger und haben weniger schwere Einschränkungen.
In der Regel folgt nach der Akutbehandlung eine Reha in einer spezialisierten Klinik. / Foto: Adobe Stock/Racle Fotodesign
Eine intravenöse Lyse kann innerhalb der ersten 4,5 Stunden nach Beginn der Symptome eingeleitet werden. Hierbei wird Alteplase (recombinant tissue plasminogen activator, rtPA) als Infusion über eine Stunde verabreicht. Durch Aktivierung des körpereigenen Abbauenzyms Plasminogen wird im besten Fall das Gerinnsel rasch aufgelöst und das verschlossene Hirngefäß wiedereröffnet. In den ersten drei Stunden ist der Effekt besonders hoch, in den folgenden anderthalb Stunden verringert er sich deutlich. Die engmaschige Überwachung der Patienten ist aufgrund des mit der Lyse verbundenen Blutungsrisikos besonders wichtig; vor allem der Blutdruck sollte Werte über 160 mmHg systolisch nicht übersteigen.
Bei etwa 10 Prozent der Patienten ist ein großes hirnversorgendes Gefäß verschlossen. Dann können hierauf spezialisierte Neuroradiologen das Gerinnsel mittels minimalinvasiver Katheterverfahren (Thrombektomie, Grafik 2) entfernen und so die Hirndurchblutung wiederherstellen. Auch hier gilt: Time is brain. Je schneller therapiert wird, am besten innerhalb der ersten sechs Stunden, desto besser sind die Erfolge (11). Selbst wenn der genaue Zeitpunkt des Schlaganfalls nicht bekannt ist, besteht manchmal noch die Option einer rekanalisierenden Therapie.
Grafik 2: Bei der Thrombektomie entfernen Neuroradiologen das Gerinnsel mittels minimalinvasiver Katheterverfahren. Damit wird die Hirndurchblutung wiederhergestellt. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Nach der Akutbehandlung ist eine engmaschige Überwachung der Patienten unter Kontrolle der Vitalwerte und des neurologischen Zustands erforderlich. Auf den Stroke Units beginnt ein Team aus Ärzten, Pflegern und Therapeuten sofort den Kampf gegen die Folgen des Schlaganfalls. Mögliche Komplikationen wie epileptische Anfälle oder erhöhter Hirndruck müssen – auch zur Vermeidung von Folgeschäden – rasch behandelt werden. Manchmal sind bei sehr großen Schlaganfällen auch operative Maßnahmen erforderlich, in der Regel mit Behandlung auf einer Intensivstation.
Die rasche Einleitung einer Sekundärprophylaxe ist maßgeblich, um Reinfarkte zu verhindern. 50 bis 80 Prozent der Patienten können anfangs nicht richtig schlucken und haben somit ein hohes Pneumonie-Risiko. Logopäden beginnen deshalb noch am Krankenbett mit ihrer Behandlung. Zudem unterstützen Physio- und Ergotherapeuten diesen frühen Rehabilitationsprozess. In der Regel erfolgt eine Anschlussbehandlung in einer spezialisierten Rehaklinik.
Die medikamentöse Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls ist umfangreich und umfasst die individuell vorliegenden Risikofaktoren (Tabelle 2).
Bei der Verordnung von Thrombozytenagregationshemmern (TAH) ist prinzipiell zu unterscheiden, ob es sich um eine Primär- oder eine Sekundärprophylaxe handelt. Da Patienten ohne relevante Grunderkrankung nicht von einer Primärprophylaxe profitieren, sollte die Gabe von 100 mg ASS/Tag lediglich Risikopatienten mit einem kardiovaskulären Gesamtrisiko über 20 Prozent/zehn Jahre angeboten werden. Zur Berechnung des kardiovaskulären Risikos werden verschiedene Scores verwendet. Der in den USA entwickelte Risikoscore ASCVD wird auch für Deutschland besonders empfohlen (12).
Zur Sekundärprophylaxe nach Schlaganfall soll den Patienten eine thrombozytenaggregationshemmende Therapie mit ASS 100 mg/Tag oder Clopidogrel 75 mg/Tag angeboten werden, es sei denn sie erhalten bereits eine orale Antikoagulation, zum Beispiel bei VHF. Da Clopidogrel in der Monotherapie in Deutschland nur in Ausnahmefällen verordnungsfähig und deutlich teurer als ASS ist, wird ASS in der Regel favorisiert.
Studiendaten der letzten Jahre konnten zeigen, dass das Rezidivrisiko nach einem nicht-schwerwiegenden Hirninfarkt (minor stroke) oder einer Hochrisiko-TIA (ABCD2 Score ≥ 4) in den ersten 90 Tagen erhöht ist (3 bis 15 Prozent); ASS alleine reduziert das Risiko lediglich um etwa 20 Prozent. Diese Patienten können von einer dualen Plättchenhemmung profitieren, die aufgrund des im Verlauf stetig ansteigenden Blutungsrisikos maximal 30 Tage (besser 10 bis 21 Tage) erfolgen sollte.
Bei rezidivierenden Schlaganfällen unter bestehender TAH wird eine Intensivierung der antithrombotischen Therapie nicht allgemein empfohlen. Vielmehr sollen in diesen Fällen die Risikofaktoren reevaluiert und behandelt werden; hierzu gehört auch die erweiterte Suche nach einem (intermittierenden) Vorhofflimmern. Ist eine höhergradige Carotisstenose für den Schlaganfall verantwortlich, ist diese zeitnah – bevorzugt in den ersten beiden Wochen nach Schlaganfall oder TIA – zu behandeln. Dies kann durch einen Stent oder operativ (Thrombendarteriektomie) erfolgen, wobei die OP insbesondere bei Menschen ab dem 70. Lebensjahr zu bevorzugen ist. Bei kryptogenem Schlaganfall und Foramen ovale (PFO) wird bei Menschen vor dem 60. Lebensjahr ein sogenannter Schirmchen-Verschluss des PFO empfohlen (13).
Das rechtzeitige Erkennen und die sofortige Therapie sind wesentlich für die Erholung nach einem Schlaganfall. Auch vorübergehende Symptome einer transitorisch ischämischen Attacke sind unbedingt ernst zu nehmen. Die Akuttherapie ist extrem zeitkritisch und umso effektiver, je früher sie erfolgt. Daher ist bei Verdacht auf einen Schlaganfall sofort der Rettungsdienst zu alarmieren.
Das Erkennen und Behandeln von Risikofaktoren stellt eine wichtige Säule in der Schlaganfallprävention dar. Die Aufklärung der Bevölkerung ist daher entscheidend. Die Beratung in der Apotheke zu Symptomen und Risikofaktoren des Schlaganfalls sowie zur Sekundärprävention kann einen wertvollen Beitrag leisten.
Kirsten Dahse studierte Pharmazie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und fertigte dort auch ihre Diplomarbeit und Promotion an. Sie ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie sowie Antibiotic-Stewardship-Expertin (Deutsche Gesellschaft für Infektiologie). Von 2012 bis 2019 arbeitete sie als Stationsapothekerin in Kliniken, die von der Johannes-Apotheke Gröbenzell versorgt werden. Seit 2017 leitete Dr. Dahse die Abteilung für klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen der Johannes-Apotheke. Seit 2019 ist sie als Apothekerin in der Frühlings-Apotheke in Dachau tätig.
Silke Wunderlich studierte Humanmedizin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und erhielt 1999 ihre Approbation sowie den Doktorgrad der Medizin. Sie arbeitete als Assistenzärztin an den Neurologischen Kliniken der Universitäten Würzburg und Hamburg-Eppendorf. Seit 2005 ist Dr. Wunderlich als Fachärztin für Neurologie, seit 2010 als Oberärztin an der Klinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der TU München tätig. Sie hat die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin und ist befugt zur Weiterbildung in diesem Spezialgebiet.