Intensivmedizin, Impfstoffe und Eilverordnung |
Vor allem ältere multimorbide Menschen erkranken schwer an Covid-19. Viele brauchen intensivmedizinische Maßnahmen. Doch der Patientenwille entscheidet. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Professor Dr. Kai Zacharowski, Leiter der Intensivmedizin am Uniklinikum Frankfurt/M, beschrieb drei Generationen von Patienten in der stationären Versorgung. Als erstes seien junge Menschen gekommen, die sich beim Skifahren in Österreich angesteckt haben: »schwerst krank, aber alle haben sich erholt«. Die nächsten Patienten waren Skifahrer mittleren Alters, ebenfalls schwer krank, aber auch die seien genesen. Aktuell seien vor allem multimorbide ältere Patienten – vor allem Männer – in Intensivbetreuung. Bei Patienten mit Lungenvorschäden sei der Verlauf »absolut dramatisch«.
Zu den Haupt-Todesursachen zählen massive Gerinnungsstörungen, Mikro-Embolien und schwere Endothel-Entzündungen. Zacharowski: »Es sind keine klassischen Lungenembolien.« Vielmehr seien kleinste Gefäße betroffen, die sich verschließen und den Gasaustausch in den nachgeschalteten Alveolen verhindern. Zudem gebe es Multiorganschäden. »Relativ viele Patienten erleiden ein Nierenversagen, und 20 bis 25 Prozent brauchen eine Dialyse.«
Charakteristisch sei auch der rasche Verlauf: »Die Menschen verschlechtern sich mitunter innerhalb von Stunden.« Auch wenig auffällige Patienten, die zeitlich und räumlich völlig orientiert sind, hätten bereits eine schlechte Sauerstoffsättigung im Blut. Dann falle das Atmen und Gehen immer schwerer und die Sauerstoffsättigung sinke weiter.
Wichtig sei es, die Patienten rechtzeitig aufzuklären über Maßnahmen wie Intubation und Beatmung, wenn die nicht-invasive Atem-Unterstützung nicht mehr ausreicht. »Wir fragen Menschen, die ansprechbar sind, was sie haben wollen. Wir respektieren immer den Patientenwillen, auch wenn dieser keine Beatmung wünscht.«
Ein Patient müsse in jede medizinische Maßnahme einwilligen, betonte der Arzt. Falls er dies nicht mehr selbst kann, greift – falls vorhanden – eine Patientenverfügung. Für besser geeignet hält Zacharowski eine Gesundheitsvollmacht, wie sie beispielsweise am Universitätsklinikum Frankfurt entwickelt wurde. Darin bevollmächtigt der Vollmachtgeber eine Person seines Vertrauens, für ihn zu entscheiden – auch tagaktuell.
Eine der wichtigsten Maßnahmen bei akutem schweren Lungenversagen (ARDS: Acute Respiratory Distress Syndrome) ist die endotracheale Intubation (invasive Beatmungstherapie). Covid-19-Patienten hätten eine ganz andere Pathophysiologie als sonstige ARDS-Patienten, informierte Zacharowski. »Wenn man diese Patienten falsch behandelt, wird noch mehr Lungengewebe zerstört.« Immer häufiger seien auch extrakorporale Verfahren wie ECMO (extrakorporale Membran-Oxygenierung) nötig, um die Sauerstoffversorgung aufrecht zu erhalten, berichtete er aus seiner Erfahrung.
Die Bauchlagerung ist eine weltweit etablierte Maßnahme, um die Beatmungstherapie von Patienten im akuten Lungenversagen zu optimieren, denn diese Position kann die Belüftung der Lunge und die Sauerstoffbindung des Blutes verbessern. Dabei liegen die Patienten viele Stunden auf dem Bauch. Zacharowski beschrieb die Bauchlagerung bei Covid-19-Patienten als »sehr effektiv«. Das Umlagern sei extrem aufwendig und Schwerstarbeit für Pfleger und Ärzte. Zudem müsse man Lagerungsschäden vermeiden.
Insgesamt sieht der Arzt die aktuelle Gesundheitsversorgung und Intensivmedizin in Deutschland gut aufgestellt. »Wir sind aktuell nicht in der Situation, triagieren zu müssen. Das wäre eine Katastrophe.« Gleichwohl »suchen wir alle händeringend nach Therapien und Strohhalmen«, um die Erkrankung zu bekämpfen und die Sterblichkeit zu senken.
Ivermectin oder Umifenovir – welche Substanz hat mehr Potenzial gegen Covid-19? Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Universität Frankfurt/M, urteilte klar. »Wir sollten Umifenovir im Auge behalten.«
Das Virustatikum Umifenovir ist in Russland zugelassen und wird dort unter dem Namen Arbidol® zur Prophylaxe und Behandlung der Influenza eingesetzt. Es wirkt als Fusionsinhibitor, der die Verschmelzung von Virushülle und Membran der Wirtszelle verhindern soll. Die Substanz sei gegen zahlreiche Viren wirksam, berichtete Schubert-Zsilavecz. »Es gibt erste Hinweise auf eine gewisse Wirkung und eine Rationale dafür.« Die Substanz soll in Wuhan getestet worden sein, aber die Qualität dieser Studien könne man nicht bewerten.
Für den Einsatz von Ivermectin, das gegen Parasiten eingesetzt wird, gebe es dagegen keine Rationale. In vitro habe der Wirkstoff, der zu den Essential Medicines der WHO gehört, eine gute Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 gezeigt, und diese Ergebnisse wurden rasch publiziert. »Aber Laborergebnisse und präklinische Daten lassen sich nicht übertragen auf klinische Situation.« Es sei eine große Aufgabe der Apotheker, Ergebnisse von Publikationen kritisch zu bewerten und überzogene Hoffnungen zu dämpfen.
»Auf der Impfstoffentwicklung ruhen große Hoffnungen«, sagte Professor Dr. Theo Dingermann, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung. Dabei sei ein internationales Rennen der Unternehmen und Institutionen zu beobachten, mit einem noch nicht gekannten Ausmaß an Kooperation. »Fast 80 Entwicklungsaktivitäten laufen derzeit weltweit«, so Dingermann. Diese hätten ganz unterschiedliche Ansätze – von klassischen Produkten mit inaktivierten Viren bis hin zu modernsten Ansätzen wie RNA- oder DNA-Vakzinen. Eine so breite Entwicklung sei auch deswegen sinnvoll, da man eventuell für verschiedene Personengruppen wie Kinder oder Senioren unterschiedliche Impfstoffe benötigen wird.
Noch gibt es keinen Impfstoff gegen SARS-CoV-2, aber viel versprechende Kandidaten. Die ersten Studien haben begonnen. / Foto: Getty Images/skaman306
Erst am Mittwoch hatte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen bekannt gegeben, dass es die erste deutsche Studie mit Impfstoffen des Mainzer Unternehmens BioNTech genehmigt hat. »Geprüft werden vier mRNA-Impfstoffkandidaten, die sich geringfügig unterscheiden«, berichtete Dingermann.
»Das ist extrem erfreulich, dass so früh schon Kandidaten in die klinische Phase eintreten.« Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 sei nicht trivial. Bei der Arbeit an dem eng verwandten SARS-Coronavirus von 2002/2003 habe man nämlich in Tierversuchen das Phänomen beobachtet, dass die Impfung die Erkrankung bei einer späteren Infektion bei einzelnen Tieren verstärkte. Diese Hyperreaktivität müsse man im Auge behalten.
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Die Entwicklung eines sicheren und effektiven Impfstoffs ist deshalb so wichtig, da nur damit eine ausreichend hohe Zahl an Menschen ohne großes Risiko immunisiert werden kann. Die vielzitierte Herdenimmunität sei durch Infektionen nicht zu erreichen, machte Dingermann deutlich. »Das sind unwahrscheinlich hohe Risiken.« Wenn man eine unkontrollierte Infektionswelle durch Deutschland laufen ließe, würde das zu vielen schwerkranken Patienten und Todesfällen führen.
Rechtsanwalt Ulrich Laut von der Landesapothekerkammer Hessen beantwortete Fragen zu den derzeit zahlreichen neuen Verordnungen. Die erste zielte auf die Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung (MedBVSV) ab, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem Bund möglichst schnell erlauben will, Produkte des medizinischen Bedarfs beschaffen und verteilen zu können. Wird hierdurch womöglich die Apothekenpflicht ausgehebelt? Diesen Bedenken erteilt Laut eine klare Absage: »Das ist absolut nicht der Fall.« Man müsse sich nur vor Augen führen, was die Apothekenpflicht ist: ein Eingriff in das Gewerberecht von normalen Gewerbetreibenden, weil diese apothekenpflichtige und erst recht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht abgeben dürfen. Das sei dem Verbraucherschutz geschuldet. Zudem sei der Regelungsgehalt des MedBVSV an sich nichts Neues, sondern aus dem Katastrophenschutz-Recht längst bekannt.
Die Apotheken haben seit Kurzem umfassende Austauschmöglichkeiten, wenn ein verordnetes Arzneimittel nicht vorrätig ist. / Foto: imago/Xinhua
Am Mittwoch ist die SARS-COV-2 Arzneimittelversorgungsverordnung in Kraft getreten. Was betrifft ganz zentral die öffentlichen Apotheken? Laut gab auszugsweise einen Überblick über die neuen Abgabe-Modalitäten. Sie gelten seit dem 22. April 2020 und solange, bis der Deutsche Bundestag die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgehoben und dies im Bundesgesetzblatt veröffentlicht hat. Spätestens trete die Verordnung mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft.
Für die Apotheken relevant seien primär Abweichungen von §129 SGB V. In Fällen, in denen das verordnete Arzneimittel nicht vorrätig, ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel aber vorrätig, »also tatsächlich körperlich vorhanden« ist, darf dieses in der Apotheke abgegeben werden. Wenn das auch nicht der Fall ist, prüft die Apotheke, ob das verordnete Arzneimittel lieferbar ist und muss es dann bestellen. Ist das verordnete Arzneimittel auch nicht lieferbar, darf die Apotheke ein anderes lieferbares und wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Ist auch ein solches Arzneimittel nicht lieferbar, darf nach Rücksprache mit dem Arzt ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel an den Versicherten abgegeben werden. »Das muss dann allerdings dokumentiert werden«, betonte Laut.
Ohne Rücksprache mit dem Arzt dürfen Apotheken bei der Ersetzung des verordneten Arzneimittels von der ärztlichen Verordnung abweichen hinsichtlich der Packungsgröße, der Packungsanzahl, der Entnahme von Teilmengen aus Fertigarzneimittelpackungen und der Wirkstärke. Und ganz wichtig: »Diese Maßnahmen sind von Retaxationen ausgenommen«, so Laut.
Des Weiteren werde die Arzneimittelpreisverordnung ergänzt: Im Botendienst erhalten die Apotheken befristet bis zum 30. September 2020 einen Zusatzbetrag von 5 Euro zuzüglich Umsatzsteuer für jede Lieferung im Botendienst. Das heißt, pro Kalendertag und Lieferort, unabhängig von der Anzahl der gelieferten Arzneimittel. Lieferort ist beispielsweise die Wohnung, die Arbeitsstätte oder eine vergleichbare Adresse. »Hierunter fällt jedoch nicht die Versorgung von Alten- und Pflegeheimbewohnern«, informierte der Jurist. Da gelte der Versorgungsvertrag nach § 12a Apothekengesetz (ApoG).
Über die Modalitäten der Abrechnung könne er jetzt noch keine Auskunft geben. Diese müssten zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband ausgehandelt werden. »Ich kann Ihnen nur raten, die Rezepte zurückzuhalten und Lieferort und Datum zu dokumentieren.« Damit haben die Apotheker die Möglichkeit, gegebenenfalls die Rezepte mit einem Sonderkennzeichen zu versehen oder einen Sonderbeleg für die Abrechnung zu erstellen.
Zusätzlich zu dieser Botendienstgebühr erhalten die Apotheken einmalig einen Betrag von 250 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu Lasten der GKV zur Förderung des Botendienstes. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden, Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel zu finanzieren. Was den Mangel an Schutzausrüstung angeht, machte Laut den Apothekern Mut: »Die Apotheker stehen auf der Liste – zwar nicht ganz, aber sehr weit oben.« Dies auch dank der nachgebesserten Einschätzung des RKI, wonach Apotheker nun eindeutig systemrelevant sind.
Aus dem Publikum kam die Frage, wann die Schutzausrüstung verpflichtend getragen werden muss: in der Apotheke, beim Botendienst? »Das ist ein sehr vielschichtiges Thema«, schickte Laut vorweg. Als Grundvoraussetzung müsse am Arbeitsplatz der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden können. Ist das nicht gewährleistet, müsse allein schon aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes mit Schutzmaske gearbeitet werden. Gleiches gelte, wenn sich das Team in der Apotheke dauerhaft auf kürzeren Distanzen begegnet. Hinsichtlich des Patientenkontakts ist es Lauts Auffassung zufolge ausreichend, wenn zwischen Mitarbeiter und Kunde eine Plexiglasscheibe ist. Hingegen müsse bei einem direkten Kontakt Schutzkleidung getragen werden.