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Diabetes mellitus

Insuline der Zukunft

Noch länger wirksame Basalinsuline und noch schneller arbeitende Mahlzeiteninsuline sind in der Entwicklung. Ebenso sind orale Insuline und Smart-Insuline keine vollständige Utopie mehr.
Sven Siebenand
24.11.2021  18:00 Uhr

Schaut man auf die Historie der Basal­insuline, so wird eines deutlich: Die Halbwertszeit hat stetig zugenommen. Liegt sie bei NPH-Insulin bei fünf bis zehn Stunden, hat Insulin glargin U100 eine Halbwertszeit von etwa 12,5 Stunden, die U300-Variante von Insulin glargin liegt bei 18 bis 19 Stunden und Insulin degludec ist in dieser Reihe mit circa 25 Stunden der Spitzenreiter – noch. Denn dieser Trend wird weitergehen.

Dr. Tim Heise vom Profil Institut für Stoffwechselforschung in Neuss machte bei der Herbsttagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft deutlich, dass Basalinsuline, die nur noch einmal pro Woche zu injizieren sind, aller Voraussicht die nächste Weiterentwicklung auf dem Insulinmarkt sein und in den Handel kommen werden. Weniger Injektionen sind natürlich für die Patienten angenehm und von Vorteil, aber die lange Halbwertszeit solcher neuen Insuline hätte auch einen pharmako­logischen Nutzen: eine geringe Wirk­variabilität von Tag zu Tag.

So funktioniert Insulin icodec

Auf der Tagung wurden zwei unterschiedliche, wöchentlich zu injizierende Basalinsuline vorgestellt: Nummer 1 heißt Insulin icodec. Es handelt sich laut Heise um das am weitesten in der Entwicklung fortgeschrittene Insulin dieser Art. Seine Aminosäuresequenz unterscheidet an drei Stellen von der des Humaninsulins. Dadurch soll das Molekül eine geringere Affinität zum Insulinrezeptor aufweisen. Denn schon so wird ein Verzögerungseffekt erreicht.

Der weitere Aufbau von Insulin icodec ist sehr ähnlich zu dem, was von Insulin degludec bereits bekannt ist. An Position B29 der Aminosäurekette befindet sich ein Spacer, an den eine Fettsäure gekoppelt ist. Während die Fettsäure bei Insulin degludec 16 C-Atome umfasst, sind es bei Insulin icodec 20. »Je länger die Fettsäurekette, desto stärker die Bindung an Albumin«, erklärte Heise den zweiten Verzögerungs­mechanismus. Die Halbwertszeit von Insulin icodec liegt bei 196 Stunden. Das sollte ausreichen, um ein Therapieintervall von einer Woche abzudecken. Der Mediziner wies darauf hin, dass der Effekt gegen Ende des Therapieintervalls etwas geringer ausfällt. Insgesamt kann Insulin icodec aber mit einer flachen Wirkungskurve über eine Woche aufwarten.

Wichtig zu wissen ist, dass es bei ­Insulin icodec relativ lange dauert, bis der Patient im Steady State ist. Für eine Insulinwirkung von 80 bis 90 Prozent im Maximum braucht man Heise zufolge etwa drei bis vier Wochen. Mit einer Loading-Dose ließe sich das jedoch beschleunigen. »Wenn man die erste Dosis verdoppelt, erreicht man quasi sofort ein Steady State«, informierte Heise. Eine Unterzuckerung durch eine ver­doppelte Startdosis sei dabei nicht zu befürchten.

Klinische Studien zeigen, dass die einmal wöchentliche Gabe von Insulin icodec den Blutzuckerspiegel ähnlich kontrolliert wie die tägliche Injektion von Insulin glargin U100. Weder bei den HbA1c-Werten noch bei den schweren Unterzuckerungen fand man große ­Unterschiede. Dennoch gelte es, Daten aus Phase-III-Studien und Daten bei Typ-1-Diabetes abzuwarten.

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