Pharmazeutische Zeitung online

Potenzkraft vom Äquator

22.11.1999  00:00 Uhr

-TitelGovi-Verlag

YOHIMBIN

Potenzkraft vom Äquator

von Heide Kuhlmann, Hannover

Seit Jahrtausenden sind die Menschen auf der Suche nach Mitteln, die die sexuelle Lust fördern oder gar Impotenz beheben können. Die Ärzte hingegen – stets kritisch gegenüber der Anwendung von Ginsengwurzeln, pulverisiertem Rhinozeroshorn und sonstigen Mitteln, die den Ruf genießen, die Potenz zu heben – schätzten die Lage gegen Ende des 19. Jahrhunderts als einigermaßen trostlos ein. Doch dann wurde Yohimbin, gewonnen aus der Rinde eines afrikanischen Baumes, in Deutschland bekannt.

Vor der Entdeckung des Yohimbins hatten die Mediziner nur eine bescheidene Auswahl an Substanzen zur Verfügung, die bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion zumindest halbwegs erfolgversprechend schienen: "die Kanthariden, welche aber wegen der leicht eintretenden schädlichen Wirkung auf die Nieren besser zu vermeiden sind, den Phosphor [...], das Strychnin [...], das Cokain, welches wegen der Gefahr, dass das Individuum Cocainist wird, besser zu vermeiden ist, und das Spermium Poehl. Es soll nicht geleugnet werden, dass in einzelnen Fällen solche Mittel, besonders bei der paralytischen Form der Impotenz, Nutzen bringen können, zu viel ist davon nach meinen eigenen Erfahrungen nicht zu erwarten." So die realistische Einschätzung eines Arztes im Jahr 1900 (1).

Mit Yohimbin änderte sich die Lage schlagartig. Das C21H26N2O3 revolutionierte die Behandlung der erektilen Dysfunktion beinahe über Nacht. Heute weiß man, dass es sich bei diesem Indol-Alkaloid um einen selektiven, kompetitiv wirkenden a2-Adrenozeptor-Antagonisten handelt, der eine verstärkte Noradrenalinausschüttung bewirkt. Die im Rückenmark gelegenen Genitalzentren werden erregt, außerdem werden unter Absenkung des Blutdrucks die Arterien insbesondere der Haut und der Genitalorgane erweitert, was mit einer Erhöhung der Blutmenge in diesem Bereich einhergeht (2). Ob Yohimbin in der Therapie bestimmter Formen erektiler Dysfunktion erfolgreich ist, wird gelegentlich angezweifelt. Es gibt Studien, die den positiven Effekt auf die Potenz belegen, in anderen konnte kein Nachweis für die Wirksamkeit erbracht werden. Nichtsdestotrotz hat sich Yohimbin jahrzehntelang als erste orale Medikation für dieses Indikationsgebiet bewährt.

Ein Baum aus Afrika

Kamerun ist das Hauptherkunftsgebiet des Yohimbe-Baumes, aus dessen Rinde das Alkaloid gewonnen wird. Es existiert wohl kaum eine medizinisch genutzte Substanz pflanzlichen Ursprungs, für deren Rohstoff es so viele verschiedene Namen gibt und über dessen Herkunft und Geschichte so wenig bekannt ist. Die Afrikaner haben den Baum auch Njumbehoa, Yumbehoa oder Yohimbehe genannt (3). Die Pangwe, eine große Völkergruppe im Süden Kameruns, sollen den Baum als "Schweinepenis" tituliert haben, da sie sich die Wirkung der abgekochten Rinde so erklärten (4): "das Holz des Baumes ist besonders hart im Verhältnis zu anderen Bäumen, etwa so wie der Penis eines Schweines im Verhältnis zu dem anderer Tiere (was man merkt, wenn man ihn kocht und essen will), und diese Eigenschaft des Holzes gewinne ich, wenn ich von dem Holz etwas einnehme." Die Reihe der volkstümlichen Namen ist noch länger. In Deutschland wird er als Liebesbaum oder Potenzholz bezeichnet, die Portugiesen nennen ihn Pau de cabinda, im Arabischen heißt er Yohambine (5).

Frühen Berichten zufolge gedeiht der Yohimbe-Baum hauptsächlich in Malimba, sehr nahe der Küste (6); nach anderen Aussagen soll er in Küstennähe überhaupt nicht vorkommen, sondern nur im Hinterland Kameruns (7), hier besonders am Oberlauf des Sanaga-Flusses (8). Sicher ist: der Baum wächst in den Regenwaldgebieten Kameruns, vor allem in den südwestlichen Landesteilen, wahrscheinlich in einem etwa 150 Kilometer tiefen küstenparallelen Waldgürtel im Batanga- und Ngumbaland (9). Weitere Bestände finden sich in den Nachbarländern Kameruns: im Kongo, in Äquatorial-Guinea, in Gabun und in Nigeria.

Mancher Afrika-Pionier fühlte sich beim Anblick des Baumes an die Heimat erinnert und wollte eine große Ähnlichkeit mit der deutschen Eiche erkennen (3). Die Angaben über die Größe schwanken zwischen 10 bis 15 und 20 Metern – bei einem Durchmesser von etwa einem Meter (6, 10) –, manchmal wird sogar eine Höhe von bis zu 30 Metern angegeben (5, 11). Von weit größerem Interesse ist die Rinde des Baumes (12): "Die 60 - 75 cm langen Rindenstücke werden von den Stämmen und Ästen gesammelt, sind bis 10 cm breit und 4 - 8 cm dick, flach oder eingerollt. Eine graubraune Korkschicht, stellenweise von Flechten überzogen, bedeckt die grobe Rinde, Längsrisse und Querrisse zerfurchen sie. Sie ist rötlichbraun, der Querschnitt zeigt eine gleichmäßig hellbraune Farbe, die Bruchfläche ist kurzfaserig, uneben und samtartig."

Obwohl jährlich beträchtliche Mengen von Yohimbe-Rinde Kamerun in Richtung Europa, meist mit dem Ziel Deutschland, verlassen, ist hierzulande weitgehend unbekannt, wie die Rinde gewonnen wird. In jüngeren Publikationen finden sich Hinweise, der Bedarf an Yohimbe-Rinde sei enorm angestiegen. Deshalb habe man angefangen, den Baum in Plantagen zu ziehen, die Vermehrung geschehe durch Samen oder Stecklinge, Details seien aber nicht bekannt (5, 10).

Afrika-Pioniere – Kamerun als Kolonie

Hamburger Unternehmergeist bildete die Grundlage für die Aktivitäten der Deutschen in Kamerun. Carl Woermann hatte seine Handelsunternehmung im Jahre 1837 gegründet, zehn Jahre später kaufte er sein erstes Schiff, eine Brigg, die den Namen seiner ersten Ehefrau trug: "Eleonore". Bereits 1849 ließ Carl Woermann den Kutter "Constance" regelmäßig an der westafrikanischen Küste verkehren, an der die Engländer schon seit Jahrzehnten einen regen Handel betrieben. Nach dem Tode Carl Woermanns übernahm sein Sohn Adolph 1880 die Leitung des expandierenden Geschäftes. Schon viel früher zeichnete sich ab, dass die Woermanns sich auf das Afrika-Geschäft spezialisieren würden: 1862 wurde die erste Faktorei an der südlichen Kamerunküste, in Batanga, gegründet, 1868 ließ die Firma sich am Kamerunfluss nieder (13).

Anders als andere europäische Länder hatte das Deutsche Reich zu dieser Zeit keine Kolonien, die Hamburger Händler waren in Afrika auf sich gestellt und mussten sich gegenüber der starken Konkurrenz englischer Handelshäuser behaupten. In den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren die Deutschen in Kamerun nur durch die Firma Woermann sowie das Handelshaus Jantzen & Thormählen vertreten. Jantzen hatte zehn Jahre lang für Woermann in Liberia gearbeitet, Thormählen hatte für dieselbe Firma das Kamerungeschäft aufgebaut, bevor beide 1875 ihr eigenes Handelshaus gründeten und sich ebenfalls in Kamerun niederließen (13, 14, 15).

1859 gehörten Woermann acht Schiffe, 1879 waren es bereits zwölf Segler, 1882 verfügte das Handelshaus über drei Dampfer. Vor dem Hintergrund dieser bedeutenden Investitionen erklärt sich das Interesse Adolph Woermanns, den Reichskanzler davon zu überzeugen, das Deutsche Reich müsse endlich seine eigene Kolonie in Afrika bekommen. Diese Überzeugungsarbeit, an der Jantzen & Thormählen beteiligt waren, brachte zwar nicht sofort den gewünschten Erfolg, 1883 begann Otto von Bismarck dann aber doch, sich für Kamerun zu interessieren. Die Hamburger hatten die nötigen Kontakte zu den örtlichen Stammeshäuptlingen geknüpft, die sich ihrerseits hatten überreden lassen, eine deutsche "Schutzherrschaft" über Kamerun anzuerkennen. Am 14. Juli 1884 konnte die Reichsflagge in Duala mit einigem militärischen Brimborium feierlich gehisst werden. Gustav Nachtigal rief die deutsche Schutzherrschaft über das Gebiet aus und ernannte Max Buchner zum "Interimistischen Vertreter des Deutschen Reiches in Kamerun" (16). Das Deutsche Reich besaß nun seine afrikanische Kolonie; es hatte ein Land annektiert, das bis dahin vielleicht gerade einmal 100 Deutsche betreten hatten. 1890 lebten in Kamerun nur 105 Europäer, davon 65 Deutsche (17).

"Von Kamerun wußte man, als es unter deutschen Schutz gestellt wurde, nur wenig – sehr wenig. Die Küstenlandschaften waren bekannt, aber schon einige Meilen von der Küste entfernt begann ein völlig unbekanntes, noch von keinem Europäer betretenes Gebiet" (18). Eine intensivere Erforschung des Hinterlandes begann im Winter 1885, als Bernhard Schwarz im Auftrag der Regierung eine Forschungsexpedition durchführte. Erst 1897 wurde ein "Komitee zur Einführung von Erzeugnissen aus den deutschen Kolonien" gegründet, das ab Oktober 1898 den Namen "Kolonialwirtschaftliches Komitee" führte. Für dieses Komitee wurde in Berlin eigens eine Botanische Zentralstelle eingerichtet, eine Art Hauptquartier für alles, was mit der Erforschung und kommerziellen Nutzung von Pflanzen aus den Kolonien zu tun hatte. Von dort aus wurden die Pflanzenteile an interessierte pharmazeutische Unternehmen weitergeleitet (19). Einen ähnlichen Zweck verfolgte der Botanische Garten in Victoria, der bereits 1890 als botanische Versuchsanstalt gegründet worden war. Jedoch spricht viel dafür, dass die Rinde des Yohimbe-Baumes nicht auf diesem offiziellen Weg nach Deutschland gelangt ist.

Ethnomedizinische Beobachtungen

Die Afrikaner verfügten über sehr umfangreiche Kenntnisse hinsichtlich der Nutzbarkeit ihrer einheimischen Gewächse. Dies musste mancher Europäer – trotz aller Vorurteile über die Kultur der Afrikaner – neidvoll anerkennen. Alfred Loewy stellte zur Jahrhundertwende fest (20): "Es ist eine allgemeine, schon bei Gelegenheit der grossen Entdeckungsfahrten, die die Neuzeit einleiteten, gemachte und auch heute immer von neuem bestätigte Erfahrung, dass die Naturvölker, wie sie über eine auffallende Kenntniss der Arznei- und Giftwirkungen ihrer heimatlichen Pflanzen überhaupt verfügen, speciell mit solchen Vegetabilien bekannt sind und aus ihnen Drogen verfertigen, die – um mich der Schopenhauerschen Ausdrucksweise zu bedienen – geeignet sind Unlustgefühle zu unterdrücken oder Lustgefühle zu erzeugen."

Max Buchner allerdings, der Interimistische Vertreter des Deutschen Reiches und einer der Mediziner-Zunft, sah das nach nur wenigen Jahren in Kamerun ganz anders (21): "In Bezug auf medizinische Kenntnisse und Fertigkeiten ist von den Kamerunern ebenso wenig zu berichten, wie von den Negern überhaupt. Der afrikanische Arzneischatz ist überall ungemein dürftig, und die Hoffnungen unserer Optimisten, daß wir aus dem dunklen Kontinent neben anderen fabelhaften Bereicherungen auch größere Gewinne für die Heilkunde zu erwarten hätten, möchte kaum erfüllt werden. Der Neger hat nicht einmal zuverlässige Abführmittel."

Tatsächlich aber haben die Europäer den Gebrauch der Yohimbe-Rinde bei den Einheimischen abgeschaut. Die ethnomedizinische Bedeutung der Yohimbe-Rinde ist jedoch kaum erforscht. In einem Bericht aus dem Jahr 1900 heißt es, die Einheimischen nähmen den Sud der abgekochten Rinde "zur Stärkung, wenn der durch die Hitze der äquatorialen Sonnenstrahlen erschlaffte Körper dem durch das gleiche Agens geschärften Geschlechtstriebe die Erfüllung nicht gewähren will" (22). Andere wollen den Gebrauch der Yohimbe-Rinde "zur Erregung geschlechtlicher Funktionen bei den Weihjungen der Jaundes und Balis" beobachtet haben (23).

Als sicher darf gelten, dass die Rinde den meisten Bantu-Stämmen, zu denen die Jaunde und Bali zählen, seit langem bekannt gewesen ist; die Bezeichnungen für den Baum sollen den Bantu-Sprachen zugehören. Die Bevölkerung Kameruns besteht neben den Haussa, Fulbe und anderen Ethnien zum größten Teil aus Sudan- und Bantu-Volksgruppen. Die Bantu-Völker leben in den Waldgebieten, die sudanesischen dagegen hauptsächlich in den Graslandgebieten der nördlichen Hochebenen, wo der Yohimbe-Baum nicht wächst.

Raspel der Innenrinde sollen bei den meisten Bantu-sprachigen Völkern Kameruns als Stimulans oder Aphrodisiakum bei heidnischen Hochzeiten verwendet worden sein (24): "Es wird nur bei Paarungsritualen verwendet. Diese orgiastischen Rituale sollen schon bis zu zehn oder sogar vierzehn Tage gedauert haben, wobei die Dosen allmählich erhöht werden." Anderen Ethnopharmakologen zufolge gehörte Yohimbe "zu den besten Zaubermitteln der afrikanischen Zauberer und Fetischpriester. Sie gaben daraus bereitete Trünke allen Bedürftigen und vor allem den Häuptlingen, die oftmals öffentlich ihre Potenz beweisen mußten" (10). Daneben werden "zweifelhafte Berichte" zitiert, nach denen die Rinde dazu gedient habe, "Jungfrauen für die Stammesoberhäupter, denen das Recht der ersten Nacht zukam, gefügig zu machen" (25). Übrigens sollen Autofahrer in West-Afrika noch heute gelegentlich Rindensplitter des Yohimbe-Baumes kauen, um sich auf langen Nachtfahrten wachzuhalten (9).

Wer brachte die Rinde nach Europa?

Es gibt die Vermutung, ein Kapitän Lüttke von der Woermann-Linie habe den Gebrauch der Rinde als erster beobachtet und Proben nach Deutschland geschickt (23). Eine zeitgenössische Broschüre der Firma, die als erste Yohimbin hergestellt hat und daher wissen sollte, woher der Rohstoff gekommen ist, gibt eine andere Auskunft (26): "Dem Afrikareisenden Ludwig Scholz verdanken wir die Kenntnis dieser Tatsache, und er war es, der die Rinde zuerst nach Europa brachte." Sehr wahrscheinlich hat Scholz die Rinde im Jahr 1895, nicht wesentlich früher, direkt an die Chemische Fabrik Güstrow in Mecklenburg geschickt (3, 27).

Ludwig Scholz war von Kindesbeinen an ein Draufgänger. Sein Vater brachte den Vierzehnjährigen als Schiffsjungen auf einem Segelschiff unter, um auf diese Weise dessen Abenteuerlust zu befriedigen. Der Segler nahm Kurs auf die westafrikanische Küste, die Scholz 1881 zum ersten Mal betrat. 1888 unternahm er seine zweite Afrika-Reise. Adolph Woermann setzte ihn zuerst im Kongo, dann in Kamerun als Vertreter seines Hauses ein. Als Scholz Kamerun 1897 verließ, war er zwar nicht gerade der erste Europäer gewesen, der ins Hinterland vorgedrungen war, doch sein Biograph beklagt zu Recht (28): "Seine Beobachtungen über Gesteins- und Pflanzenvorkommen, besonders den Holzreichtum des Kameruner Urwaldes, stellte er großmütig den berufenen Wissenschaftlern zur Verfügung –, ohne je den Dank oder nur Erwähnung in den zünftigen Blättern dafür zu ernten."

Erste Untersuchungen in Berlin

Demnach ist die Rinde von Scholz unmittelbar an die Chemische Fabrik Güstrow beziehungsweise an deren Inhaber Dr. Hillringhaus und Dr. Heilmann übergeben worden, die sie zusammen mit einem ersten Bericht an das Pharmakologische Institut der Universität Berlin weiterreichten (29). Der erste, der sich hier mit der Yohimbe-Rinde beschäftigte, war der Mann, dem das klassische Präparat seinen Namen verdankt: der Chemiker Leopold Spiegel. Ihm gelang es, "nach mehrfachen Versuchen [...] das wirksame Alkaloid, das als Yohimbin bezeichnet werden soll, in reinem Zustande zu isoliren", und von ihm stammt die offizielle Bezeichnung, analog zu den Bantu-Wörtern für diesen Baum (29). Vermutlich gelang die erste Isolierung des Wirkstoffs bereits 1895 (26, 30); Spiegel veröffentlichte seine Ergebnisse ein Jahr später in der Chemiker-Zeitung.

Leopold Spiegel (1865 bis 1927) hatte trotz seiner Leidenschaft für die Chemie einen starken Bezug zur Medizin. Während seines Studiums in Breslau, später in Berlin, wurde er mit chemischen und bakteriologischen Untersuchungen des Berliner Leitungswassers betraut. Seine Dissertation handelt von der Bestimmung der Salpetersäure in Brunnenwasser. 1889 trat er als Privatassistent von Oscar Liebreich in das Pharmakologische Institut der Universität Berlin ein, gut vier Jahre später wurde er Leiter der dortigen Chemischen Abteilung. Die Untersuchungen am Alkaloid der Yohimbe-Rinde ließen Spiegel zeit seines Lebens nicht mehr los (31).

Spiegel hatte sogleich die Botaniker auf den Plan gerufen und Professor Karl Schumann um eine Stellungnahme gebeten, zu welcher Pflanzenfamilie der Yohimbe-Baum gehöre. Schumann hielt den Baum ursprünglich für eine Apocynaceae der Gattung Tabernaemontana, gab diese Einschätzung jedoch später auf. Da in den Blättern keine Milchsaftschläuche zu finden sind, wurde der Baum nun der Familie der Rubiaceaen zugeordnet. Ernst Gilg hatte den von Schumann im nachhinein mit dem Namen Corynanthe yohimbe versehenen Baum 1901 als Stammpflanze identifiziert, deren Gattung Corynanthe in die Untergruppe der Cinchoneaen gehöre. Dem widersprach Jahre später der Botaniker Pierre, der die Früchteform nicht mit der üblichen der fünf bis sechs bekannten Corynanthe-Arten in Einklang sah und deshalb eine neue Gattung aufstellte. Fast ein Vierteljahrhundert nach seiner Entdeckung bekam der Tropenbaum damit seine wissenschaftlich korrekte Bezeichnung: Pausinystalia yohimbe Pierre (3, 32).

Pausinystalia yohimbe Pierre wird häufig mit Corynanthe-Arten verwechselt; Alkaloide der Yohimbin-Gruppe kommen nicht nur im Yohimbe-Baum vor. Das Quebrachin, das O. Hesse 1880 aus der Rinde des Weißen Quebracho-Baumes, der in Südamerika beheimatet ist, isolierte, ist mit Yohimbin identisch (33). Auch die Rinden von Corynanthe pachyceras und Corynanthe mayumbensis enthalten Alkaloide aus der Yohimbin-Gruppe (5). Von Corynanthe pachyceras heißt es, sie würde im Hinterland des Kongo und in Gabun nicht vom echten Yohimbe-Baum unterschieden und genauso eingesetzt (34). "Interessant ist übrigens, daß die Eingeborenen des französischen Kongo die Rinde eines Baumes als Aphrodisiacum benutzten, den sie ‚Endun‘ nannten und den Pierre 'Pausinystalia Trillesii' nannte. Auch diese Rinde enthält Yohimbin" (35). Die Fang, die zu den Pangwe-Stämmen gehören, sollen den echten Yohimbe-Baum als "endón" bezeichnet haben (9).

Physiologen untersuchen die Wirkung

Wesentlich spannender ist jedoch die Frage nach der Wirkung der Rindendroge auf die Genitalorgane, die parallel zu den chemischen Analysen untersucht wurde. Privatdozent M. Mendelsohn stellte um 1895/96 die ersten physiologischen Vorversuche an; erste eingehende Untersuchungen unternahm der Doktorand E. Oberwarth am Pharmakologischen Institut der Universität Berlin (29).

Oberwarth experimentierte mit recht hohen Dosen, nach deren Applikation die toxischen Wirkungen des Yohimbins die physiologischen Effekte meist überdeckten. Dennoch gab es einige positive Ergebnisse (36): "An Mäusen wurden hin und wieder Erectionen des Penis beobachtet, bei Kaninchen fehlte jede erkennbare Reaction von Seiten des Geschlechtsapparates. Bei den Hunden hingegen übte Yohimbin eine unzweifelhafte Wirkung auf die Genitalien aus. Es traten sehr lebhafte Erectionen auf, die zum Theil auch schmerzhaft zu sein schienen, ausserdem bemächtigte sich der Thiere eine Aufregung, die nach Einverleibung grösserer Dosen zu äusserst heftigen Krämpfen sich steigerte."

Diese 1898 veröffentlichten Ergebnisse waren so vielversprechend, dass die Mediziner diese Substanz bald in der Humanmedizin anwenden wollten. Als erster veröffentlichte E. Mendel seine Ergebnisse im Jahr 1900. Er hatte das Yohimbin seit 1898 in vierzig Fällen angewendet und hielt eine weitere Prüfung für unbedingt empfehlenswert (1): "In einer Reihe von Fällen der Impotenz durch reizbare Schwäche und der paralytischen Impotenz [machte sich] ein deutlich erkennbarer Nutzen geltend. In einem Falle war diese Wirkung nach dem Gebrauch des Mittels eine fast unmittelbare, in anderen stellten sich nach wochenlangem Gebrauch vorher lange Zeit nicht vorhanden gewesene Erectionen ein, welche nach der von mir angeordneten Karenzzeit zu einem regelrechten Coitus führten. In der Hälfte der Fälle, welche controlirt werden konnten, blieb das Mittel ohne jede wahrnehmbare Wirkung". Resultate früherer Anwendungen sind nicht publiziert (22).

Diese Ergebnisse veranlassten die Chemische Fabrik Güstrow, mit der Herstellung von Yohimbin in größeren Mengen zu beginnen. Alfred Loewy untersuchte 1900 die Effekte kleinerer, pharmakologischer Dosen und kam zu weit erfreulicheren Ergebnissen (20): "Diese unerwünschten Nebenwirkungen [der Kanthariden] hat nun das Johimbin nicht. [...] Wir haben demnach im Johimbin ein Mittel, das in geeigneter Dosis angewendet, in unschädlicher Weise eine Hyperämie der Genitalorgane hervorzurufen vermag, und das beim Kater zu meist nur geringfügigen, beim Hunde zu starken Erectionen führt."

Erfolge und Skepsis

Leopold Spiegel ließ das Verfahren zur Darstellung von Yohimbin durch ein Patent im Jahre 1900 schützen (37), und zwar ausgerechnet beim britischen Patentamt. Der Grund für diese kuriose Konstellation und die reichliche Verzögerung (3): "Nach Abschluß seiner Untersuchungen veröffentlichte Spiegel [1896] eine wissenschaftliche Arbeit über seine Ergebnisse, und andererseits meldete Heilmann die Darstellung des Yohimbins nach dem Spiegelschen Verfahren zum Patent an, ohne zu wissen, daß die Publikation Spiegels bevorstand. Und so kam es denn dazu, daß die Patentierung der Yohimbindarstellung versagt wurde, weil kurz zuvor die Arbeit Spiegels erschienen und durch diese Publikation das Verfahren Allgemeingut geworden war."

Die Eintragung des Warenzeichens für Yohimbin Spiegel verlief dagegen reibungslos, seit dem 16. Juli 1900 ist dieser Handelsname gesetzlich geschützt (38). Die Chemische Fabrik Güstrow vertrieb das Mittel seit 1900 unter diesem Namen (22). 1935/36 wurde sie mit der Kali-Chemie AG in Berlin vereinigt. Die dort 1972 gegründete Kali Chemie Pharma GmbH ist ihrerseits 1997 in der Solvay Arzneimittel GmbH aufgegangen. Das Medikament wird hier weiterhin produziert.

Yohimbin wurde von den deutschen Ärzten, sehr bald auch international, euphorisch aufgenommen; viele Mediziner testeten das neue Medikament, die meisten mit Erfolg. Dies ergeben unzählige Mitteilungen aus den ersten zehn Jahren nach der Markteinführung. M. Lewitt fasste 1902 die bisherigen Erfahrungen zusammen (39): "Zu einem absprechenden Urtheil über das Yohimbin kommt unter allen neueren Beobachtern, so weit wir sehen, nur A. Hess, der seine Erfahrungen an 20 Patienten des Krankenhauses am Friedrichshain sammelte."

Manche Ärzte bezweifelten, dass das Yohimbin für den Therapieerfolg verantwortlich gewesen sei. Besonders gerne wurde von der Suggestivwirkung, von einem möglichen Placebo-Effekt gesprochen. Die Zweifel verstummten auch nicht, als die Veterinärmediziner das Mittel entdeckten. Heinrich Holterbach führte Yohimbin 1904 zur Anregung der Libido sexualis in die veterinärmedizinische Praxis ein (40). Selbst Paul Fürbringer, ein großer Skeptiker, wurde angesichts der von Holterbach und anderen berichteten Erfolge nachdenklich (41): "[...] doch wollen wir bereitwillig zugeben, daß in jüngster Zeit mehrfach von der Suggestion kaum zugänglichen Klienten an uns gelangte auffallend günstige Berichte zu respektieren sind. Das zumal, nachdem eine Fülle freilich sehr verschiedenwertiger tierärztlicher Mitteilungen über denkbar günstige Wandlungen bei deckfaulen Hengsten, Bullen, Hunden und anderen frigiden Tieren – auch weiblichen! – mit dem Ausschluß einer Suggestivwirkung zu bedenken geben."

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