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Aminosäuredefizite schwächen das Immunsystem

30.10.2000  00:00 Uhr

Aminosäuredefizite schwächen
das Immunsystem

von Wilfried Dubbels, Heeslingen

Zahlreiche Erkrankungen sind die Folge eines Mangels an Vitaminen und Mineralien. Aber auch Aminosäurendefizite können das Immunsystem empfindlich schwächen. Glutamin spielt wahrscheinlich eine zentrale Rolle im Immunsystem. Ein niedriger Plasmaglutaminspiegel beeinträchtigt den Immunstatus. Insbesondere ein Mangel an den verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin, aber auch der anderen essenziellen Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan, Methionin, Lysin und Threonin, kann durch sinkende Plasmaglutaminspiegel das Immunsystem stören.

Jedes Lebensmittel zeichnet sich durch ein spezielles Aminosäurenprofil aus, bei dem einzelne essenzielle Aminosäuren für die Synthese der körpereigenen Proteine nur begrenzt zur Verfügung stehen. Das Maß der Nutzbarkeit eines Fremdproteins für die körpereigene Proteinsynthese ist die biologische Wertigkeit. Je höher die Wertigkeit des zugeführten Proteins ist, desto besser kann der Körper daraus körpereigene Strukturen aufbauen. Als Grundlage für die Berechnung dient das Aminosäureprofil des Volleis, dessen biologische Wertigkeit gleich 100 gesetzt wird.

Viele Lebensmittel tierischen Ursprungs wie Fleisch, Milch und Fisch haben eine biologische Wertigkeit zwischen 80 und 90. Bei Produkten pflanzlichen Ursprungs fällt diese jedoch niedriger aus. Ernährt sich der Mensch iso- oder hyperkalorisch, macht es keinen großen Unterschied, ob die biologische Wertigkeit bei 90, 70 oder 65 liegt, da unter diesen Bedingungen in der Regel der Eiweißbedarf gedeckt ist. Unter hypokalorischen Bedingungen besteht jedoch immer die Gefahr, dass der Körper auch körpereigenes Eiweiß zur Energieversorgung nutzt. Um körpereigene Strukturen zu erhalten, ist die Zufuhr von hochwertigem Eiweiß daher besonders während einer Reduktionsdiät essenziell.

Werden verschiedene Fremdproteine gemischt, lässt sich die biologische Wertigkeit erhöhen. Magerquark kann man zum Beispiel ideal mit Vollkorn ergänzen. Das Casein des Magerquarks hat einen sehr hohen Gehalt an den verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Valin und Isoleucin, was in der Diätphase wegen der antikatabolen Wirkung des Leucins besonders von Bedeutung ist. Der eher niedrige Gehalt des Magerquarks an den schwefelhaltigen Aminosäuren Cystein und Methionin wird durch das Vollkorn ausgeglichen. Aber auch mit der klassischen Mischung von Kartoffeln und Ei werden je nach Mischungsverhältnis Wertigkeiten von weit über 100 erreicht.

Da die essenzielle Aminosäure Methionin sowie das semiessenzielle Cystein nicht nur zum Aufbau von Muskelsubstanz benötigt werden, sondern auch für eine Vielzahl von Stoffwechselprozessen, zum Beispiel die Glutathionsynthese, sind sie insbesondere bei Diäten von Bedeutung.

Höher Methioninbedarf bei Cysteinmangel

Der 1949 von Rose ermittelte Grundbedarf an Methionin bei körperlich inaktiven Menschen, circa 1,1 bis 2,2 g täglich, dürfte nur dann genügen, wenn die Nahrung auch ausreichend Cystein enthält. Denn zur Bildung des Cysteins wird ein großer Teil des Methionins verbraucht. Durch Cystein kann der Methioninbedarf um bis zu 80 Prozent ersetzt werden, was für Patienten mit Neigung zu erhöhten Homocysteinspiegeln von Bedeutung sein könnte.

Das Methionin, das nicht zum Aufbau von Körperprotein, sondern zur Bildung von Cystein benötigt wird, fungiert als Methylgruppendonator. Bei der Synthese von Cystein aus Methionin wird je Methioninmolekül eine Methylgruppe für andere Synthesen frei. Hierbei entsteht als kurzzeitiges Zwischenprodukt Homocystein. Bei einseitiger methioninreicher Ernährung, wie zum Beispiel bei Eier-Diäten, und einem Mangel an den Vitaminen B12, B6 und Folsäure kann sich Homocystein anreichern. Die Hyperhomocysteinämie wird unter anderem für periphere arterielle Verschlusskrankheiten verantwortlich gemacht. Bereits 1986 wies Kimio Sugiyama von der Shizuoka Universität im japanischen Ohya auf die Toxizität von Methionin bei entsprechender genetischer Disposition hin.

Da Cystein im Gegensatz zum Methionin eine freie Schwefelwasserstoffgruppe enthält, ist es reaktionsfähiger als Methionin. Eine biologische Besonderheit des Cysteins: Es kann über Disulfidbindungen Dimere bilden (Cystin). Im Blut liegen Cystein und Cystin nebeneinander vor, der Cystin-Anteil liegt jedoch bei mindestens 70 Prozent.

Cystein verhindert Glutaminverluste im Blutplasma. Glutamin gehört wie das Glycin und Cystein zu den Glutathionbildnern. Insbesondere bei Stress, körperlicher Belastung und Reduktionsdiät wird die Glutathionbildung durch die Verfügbarkeit von Glutamin begrenzt. Cystein ist jedoch nicht nur Glutathionbildner, sondern darüberhinaus kann es das Glutathionsystem eigenständig entlasten. Auf Grund seiner reaktionsfreudigen Schwefelwasserstoffgruppe kann Cystein aggressive Radikale abfangen und damit zur Entgiftung des Körpers beitragen. So wurde bereits vor längerer Zeit nachgewiesen, dass das Ausmaß des Glutathionverlusts bei mit Acetylcystein behandelten Tieren nach Belastung wesentlich geringer ausfiel als bei nicht behandelten Tieren. Durch Acetylierung wird Cystein wesentlich bessere wasserlöslich.

ACC bremst körperlichen Verfall

Der eiweißsparende Effekt des Cysteins ließe sich dadurch erklären, dass erhebliche Mengen Glutathion und damit auch Glutamin, welches teilweise aus anderen Aminosäuren nachgebildet werden müsste, eingespart werden. So berichtete das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, dass dem körperlichen Verfall von Krebspatienten und alten Menschen mit Acetylcystein (ACC) entgegengewirkt werden könne. Untersuchungen zufolge bremsten genau dosierte ACC-Gaben bei 23 Krebspatienten nicht nur den Abbau der Muskelmasse, sondern förderten sogar deren Aufbau. Dadurch verbesserte sich die Muskelfunktion und die Lebensqualität der Patienten. Einen besonders hohen Cysteingehalt hat übrigens das Molkenprotein.

Der von Rose ermittelte Grundbedarf an essenziellen Aminosäuren wurde unter isokalorischen Bedingungen ermittelt, wobei die Gesamtzufuhr aller Aminosäuren (essenzielle, semiessenzielle und nichtessenzielle Aminosäuren) ausreichend war. Daher werden die Daten häufig in der Literatur falsch interpretiert. So steigt zum Beispiel der Bedarf an den verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin bei Reduktionsdiäten oder körperlicher Belastung sowie Stress dramatisch an. Die mittlere Basiszufuhr über die Nahrung von circa 1 g je verzweigtkettige Aminosäure für einen 70 kg schweren Erwachsenen ist daher unter hypokalorischen Bedingungen zu niedrig angesetzt.

Glutamin entgiftet Ammoniak

Im Organismus werden die verzweigtkettigen Aminosäuren zum Aufbau fast aller Proteine benötigt. Die Hauptmenge verbraucht jedoch unter hypokalorischen Bedingungen der Energiestoffwechsel. Die Aminosäuren sind maßgeblich am Transport von Stickstoff und Energie zwischen Muskulatur und Leber beteiligt.

Obwohl Glutaminsäure nicht zu den essenziellen Aminosäuren gehört, spielt auch sie als proteinogene Aminosäure eine zentrale Rolle im Stoffwechsel. Glutaminsäure wird in Form des Säureamids, des sogenannten Glutamins, in den Körperzellen gespeichert. Glutamin dient der Entgiftung von toxischem Ammoniak. Insbesondere bei reduzierter Nahrungsaufnahme und im Stress gehen den Körperzellen unter dem Einfluss von Cortisol große Mengen an Glutamin verloren. Durch vermehrte Synthese von Glutamin aus den Aminosäuren Arginin, Prolin, Histidin, und vor allen Dingen aus der im Zitronensäurezyklus durch Aminosäurenabbau entstandenen a-Ketoglutarsäure, versucht der Körper das Defizit zu kompensieren bis Homöostase erreicht ist. Gerade in solch katabolen Situationen wird die Glutathionbildung durch die Verfügbarkeit von Glutamin begrenzt. Der Plasmaglutaminspiegel kann über Wochen erheblich sinken. Die Folge ist eine höhere Infektanfälligkeit.

In der Regel bleiben Aminosäurenimbalancen unentdeckt und die Symptome werden gewöhnlich auf einen Mangel an Vitaminen und Mineralien zurückgeführt, da homöostatische Mechanismen das Stoffwechselsystem über lange Zeit aufrechterhalten können. Bislang wurden nur wenige Fällen in der Medizin dokumentiert. Eine glycinreiche, aber serinarme Nahrungsproteinzufuhr erhöht den Methioninbedarf erheblich, beschrieben 1987 Petzke et al. vom Potsdamer Zentralinstitut für Ernährung der Akademie der Wissenschaften der ehemaligen DDR. So verliert der Organismus noch schneller Methionin, wenn man Gelatine zuführt, die ohnehin naturgemäß wenig Methionin enthält.

Bei der ausschließlichen Verwendung von Gelatine beziehungsweise Kollagen für Abmagerungsdiäten kam es in den USA zu 60 dokumentierten Fällen von "plötzlichem Herztod", die heute auf eine Methioninmangel-bedingte Proteinsynthese des Herzmuskels zurückgeführt werden.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:
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27404 Heeslingen
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