Apothekerinnen über den Wolken |
30.08.2004 00:00 Uhr |
Pharmazeutinnen auf Erfolgskurs: Die passionierten Segelfliegerinnen Gundula Goeke und Annette Klossok aus der Bottroper Engel-Apotheke konnten sich bei den deutschen Segelflugmeisterschaften der Frauen in Klix bei Dresden ihren Platz in der Nationalmannschaft und die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im nächsten Sommer sichern.
Jedes Wochenende trainieren die schwebenden Apothekerinnen mit ihren eigenen Segelfliegern. Die Flugzeuge bringen nur etwa 250 Kilogramm auf die Waage und sind mit Technologien ausgestattet, die oft erst viel später im klassischen Flugzeugbau eingesetzt werden. Das technische Verständnis – für das Hobby unentbehrlich – kam beiden auch schon während des Pharmaziestudiums in Düsseldorf zugute. „Kennen gelernt haben wir uns aber beim Fliegen“, erinnert sich Goeke, die sich bereits mit 15 Jahren für das ungewöhnliche Hobby begeisterte. Sie konnte ihre Segelflug-Kollegin Annette Klossok schließlich für das Pharmazie-Studium gewinnen, obwohl diese erst Ärztin werden wollte. Heute gehören beide zu den erfolgreichsten deutschen Segelfliegerinnen und belegen in internationalen Wettbewerben regelmäßig vordere Plätze. Bei den Deutschen Meisterschaften im August sicherte sich Goeke (44) den zweiten Platz in der Standardklasse, während Klossok (46) in der 15-Meter Rennklasse Platz drei erreichte.
Freie Tage für Segelflüge
Auch in der Engel-Apotheke Bottrop, die beide seit über 18 Jahren gemeinsam führen, dreht sich manches Gespräch um meteorologische Daten oder die komplizierten High-Tech-Konstruktionen der Segelflieger. „Den Namen hatte die Apotheke aber schon, bevor wir sie gekauft haben“, lacht Goeke, denn der geflügelte Engel als Logo der Apotheke erinnert an das luftige Hobby der Besitzerinnen. Beide haben den Alltag in der Offizin so organisiert, dass gerade im Sommer freie Tage für das Training auf dem Flugplatz des Luftsport-Vereins Dinslaken bleiben: Sie wechseln sich wöchentlich bei den Dienstzeiten ab, so dass immer eine von ihnen auch in der Woche zum Fliegen gehen kann.
Am Wochenende, wenn sich genügend Helfer auf dem Gelände tummeln, werden die Flugzeuge mit einer Motorwinde in die Luft gezogen. Dazu ist ein LKW erforderlich, auf dem die Winde mit einem 1000 Meter langem Stahlseil fest montiert ist. Mit Hilfe eines weiteren Fahrzeugs wird das Seil zum Start gezogen und am Flugzeug verankert. Um den Segler in die Höhe zu ziehen, wird die Leine von der Winde eingezogen, ist der gewünschte Winkel und damit die angestrebte Höhe erreicht, klinkt sie sich automatisch aus. Je nach Schleppstrecke kann ein Segelflieger so auf 300 bis 500 Höhenmeter kommen. An Werktagen ist für den Start ein Schleppflugzeug mit Pilot erforderlich. Das Schleppen bietet den Vorteil, dass der Segelflug-Pilot selbst Höhe und Ort für den Beginn seines Gleitflugs bestimmen kann.
Angst ist beim Fliegen manchmal auch für langjährige Segelfliegerinnen wie Goeke ein Thema, besonders bei unvorhergesehenen Wetterumschwüngen. „Wenn plötzlich eine Gewitterfront auftaucht, muss man schnell entscheiden, ob man landet oder die Wolken umfliegen kann“. Bisher haben beide Apothekerinnen glücklicherweise stets ohne Unfälle wieder den festen Boden erreicht.
Aerodynamik nutzen
Um Höhe zu gewinnen, ist der Segelflieger auf aufsteigende warme Luftmassen, die Thermik, angewiesen. Diese Pänomene enden meist in Kumulus-Wolken und sind daher für die Piloten, die eine zwei- bis dreijährige Ausbildung für ihren Flugschein absolvieren müssen, gut zu erkennen. Bei gutem Wetter sind in Deutschland Flüge bis zu 1000 Kilometern möglich, die Segelflugsaison ist auf die wärmeren Monate von März bis Oktober begrenzt. „Für jeden Segelflug benötigen wir einen weiteren Helfer, der uns vom Landeplatz abholt, der nicht immer genau planbar ist“, erklärt Goeke, deren Flüge schon oft auf einem abgelegenen Acker endeten. Da beide Ehemänner der Apothekerinnen ebenfalls begeisterte Hobby-Segelflieger sind, unterstützen sich die Partner gegenseitig und nehmen gern lange Strecken mit Auto und Anhänger in Kauf, um Pilot und Segelflieger wieder nach Hause zu bringen.
Der Familienurlaub findet oft genug im Zeichen des Sportes in Südfrankreich statt, wo das ganze Jahr über geflogen werden kann und die Berge auch in den kälteren Monaten thermische Aufwinde günstig beeinflussen.
Günstiger Traum vom Fliegen
Ein Segelflug ist preiswerter, als man annehmen könnte: Der Start per Motorwinde kostet rund vier Euro für Vereinsmitglieder, ein längerer Flug schlägt mit etwa 20 Euro zu Buche. Etwas mehr muss man dagegen für einen eigenen Segelflieger anlegen: Einsteigermodelle sind ab 20.000 Euro erhältlich, Profis fliegen oft Segler, die für den Gegenwert eines Einfamilienhauses zu haben sind. Noch ist der Sport nicht so populär, dass die Segler gesponsert werden – für die Nationalmannschaft werden aber immerhin kostenlose Sonnenbrillen zur Verfügung gestellt.
Vor einem Flug erstellen die Pilotinnen aus Satellitenbildern des Deutschen Wetterdienstes ihren eigenen Wetterbericht, und versuchen dabei mögliche thermische Aufwinde zu lokalisieren. Eine genaue Kenntnis der meteorologischen Grundlagen ist das A und O des Segelfliegens. „Der normale Wetterbericht aus Radio oder Fernsehen reicht für uns einfach nicht aus“, sagt Goeke.
Segelfliegerinnen, die bei Wettbewerben starten, stellen eine Minderheit dar: Nur 10 Prozent der Piloten sind überhaupt Frauen, 2 Prozent stellen sich dem Vergleich mit anderen. Aus diesem Grund haben Goeke und Klossok schon oft an Ausscheidungen der Männer teilgenommen und dabei oftmals gute Platzierungen erringen können.
Ballast sorgt für Geschwindigkeit
Ein Wettbewerb wird in unterschiedliche Flugtage unterteilt. An jedem Tag starten die Teilnehmer gemeinsam, das heißt erst wenn alle Segelflugzeuge in der Luft sind, beginnt der Wettstreit. „Wenn so viele Segler gleichzeitig in einem Areal fliegen, erfordert das höchste Aufmerksamkeit und Konzentration“, sagt Goeke. Alle Piloten erhalten die gleiche Aufgabe, bei der es zum Beispiel gilt, 300 Kilometer, geflogen im Dreieck, in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen. Taktische Überlegungen spielen oft eine entscheidende Rolle für Sieg oder Niederlage, so muss der genaue Flugbeginn geplant werden. Die Fluggeschwindigkeit kann durch den Einsatz zusätzlichen Ballastes in Form von Wasser, das in Tanks mit einer maximalen Füllmenge von 180 Litern in den Tragflächen gelagert, beeinflusst werden. An einem günstigen Tag können erfahrene Piloten ihre motorlosen Gleiter im Schnitt auf eine Geschwindigkeit von mehr als 100 Stundenkilometer bringen. Aus den verschiedenen Flügen an unterschiedlichen Tagen wird am Ende das Wettbewerbs das Gesamtergebnis berechnet. Kontrolliert werden die Flüge mittels Satellitennavigationssystem, das die Koordinaten der Segler in einem so genannten Logger aufzeichnet, der am Ende des Tages der Wettkampfleitung im Tower übergeben wird.
Gundula Goeke und Annette Klossok wollen das Hobby neben ihrem Beruf noch lange ausüben – bei Wettbewerben ist die Teilnahme bis ins hohe Alter möglich. „Bei den Deutschen Meisterschaften war die jüngste Teilnehmerin 19, die älteste 61 Jahre alt“, berichtet Goeke.
An den Meisterschaften beteiligten sich in diesem Jahr außergewöhnlich viele internationale Segelfliegerinnen, um sich auf die Weltmeisterschaften im nächsten Jahr vorzubereiten, die auf dem gleichen Areal in Klix stattfinden werden. Da der Kreis der Segelflug begeisterten Frauen klein ist, ergaben sich für die Apothekerinnen interessante Kontakte, auch zu Starterinnen aus Japan, Russland und Australien
Als nächstes steht für Goeke und Klossok das Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft im Frühjahr 2005 als Vorbereitung für die Weltmeisterschaft auf dem Trainingsplan. Beide hoffen zwar auf Medaillen, der Spaß bleibt für sie aber der wichtigste Anreiz des Segelfliegens.
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