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Schwere Folgeschäden bei Kindern

22.07.2002  00:00 Uhr

Japanische Enzephalitis

Schwere Folgeschäden bei Kindern

von Ulrike Wagner, Eschborn

Wer an japanischer Enzephalitis erkrankt, hat schlechte Karten: Etwa 30 Prozent der Patienten sterben, die Hälfte der Überlebenden trägt neurologische Folgeschäden davon. Zum Glück bricht die Erkrankung nur bei einem von etwa 200 Menschen aus, die sich mit dem Virus infizieren.

Nach Angabe der Weltgesundheitsorganisation WHO erkranken in Asien jährlich etwa 50.000 Menschen an der Japanischen Enzephalitis. Zwischen 10.000 und 15.000 sterben, meist Kinder. Die Erkrankung tritt in China, Südostasien, Indien, Japan, Ostsibirien und Guam auf.

Erreger ist ein Flavivirus, das von Stechmücken übertragen wird. In tropischen Regionen sind die Stechmücken das ganze Jahr über aktiv, mit Höhepunkten während und direkt nach der Regenzeit. In gemäßigten Klimazonen wie in Korea, Laos, Myanmar, Thailand, Kambodscha, Vietnam stechen die Insekten nur etwa von Mai bis Oktober. Währenddessen kommt es oft zu Epidemien.

 

Enzephalitis Bei einer Enzephalitis handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die bevorzugt oder ausschließlich das Hirnparenchym, also das eigentlich Hirngewebe betrifft. Sind die Hirnhäute ebenfalls betroffen, spricht man von einer Enzephalomeningitis, ist das Rückenmark mit einbezogen von einer Enzephalomyelitis.

 

Der Erreger scheint sich zurzeit auszubreiten. In den vergangenen Jahren kam es zu Ausbrüchen der Japanischen Enzephalitis in Gebieten, wo die Erkrankung zuvor nicht aufgetreten war, zum Beispiel auf den Inseln der Torres Strait vor der Küste Australiens, informiert die WHO.

Hauptüberträger sind Stechmücken der Art Culex tritaenorhynchus. Die Mücken brüten in ländlichen Gebieten in Tümpeln und überfluteten Reisfeldern. Daher ist die Landbevölkerung einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt als die Bewohner von Städten. Aber auch in urbanen Randgebieten kommt es, wenn auch selten, zu Erkrankungen.

Schweine als Multiplikatoren

Dass die Viren Menschen infizieren, scheint eher ein Versehen zu sein. Ihr eigentliches Reservoir sind Watvögel und Haustiere. Vor allem in Schweinen vermehren sich die Viren in großer Zahl. Da die Tiere oft von Stechmücken heimgesucht werden, ist das Infektionsrisiko in deren Umgebung besonders hoch. An einem einzigen Schwein nehmen bis zu 1000 Moskitos pro Nacht während ihrer Blutmahlzeit auch Viren auf und geben sie an die Menschen in ihrem Umfeld weiter.

Die Mücken sind in der Dämmerung und nachts aktiv. In Endemiegebieten - Regionen, in denen die Erkrankung dauernd vorkommt - sind zwischen weniger als 1 und 3 Prozent der Stechmücken mit dem Erreger der Japanischen Enzephalitis infiziert. Die Inzidenz der Erkrankung liegt dort bei 1 bis 10 Erkrankungen pro 10.000 Einwohner. Betroffen sind meist Kinder unter 15 Jahren. Dabei erkranken die Jüngsten am häufigsten. Die Hälfte der Betroffenen in Endemiegebieten ist jünger als vier Jahre, fast alle Erkrankten sind jünger als zehn Jahre. Bis zum 15. Lebensjahr kommt dort jeder mit den Viren in Kontakt. Welche Faktoren letztlich entscheiden, ob ein Mensch nicht oder nur leicht erkrankt, oder ob er an einer Enzephalitis stirbt, ist noch weitgehend unklar.

Nach einer Infektion dauert es 5 bis 15 Tage, bis Symptome auftreten. Während der Anfangsphase der Erkrankung vermehren sich die Viren in den lokalen und regionalen Lymphknoten. Zunächst leiden die Betroffenen unter allgemeiner Schwäche, Abgeschlagenheit, Fieber, Erbrechen und diffusen Beschwerden. Besonders bei Kindern können Bauchschmerzen die Symptomatik dominieren. Verläuft die Infektion leicht, klingen die Beschwerden nach ein bis zwei Wochen wieder vollständig ab.

 

Virusverwandtschaften Wie das Gelbfieber-Virus und das Dengue-Virus gehört der Erreger der Japanischen Enzephalitis zur Familie der Flaviviren. Eng verwandt sind das Murray-Valley-Enzephalitis-Virus, der Erreger der St.-Louis-Enzephalits und das West-Nil-Virus. Alle drei Viren werden wie das Japanische-Enzephalitis-Virus von Stechmücken auf den Menschen übertragen.

Dem West-Nil-Virus dienen zusätzlich Zecken als Vektoren. Auch hier sind Vögel das Reservoir der Erkrankung. Allerdings verläuft eine Infektion mit dem West-Nil-Virus meist mild, mit Fieber und Hautsymptomen und selten mit einer schweren Enzephalitis. Der Erreger kommt vor allem in Afrika vor, breitet sich zurzeit jedoch auch in gemäßigte Zonen Europas, des mittleren Osten und in den Nordosten der USA aus.

Das Murray-Valley-Virus tritt in Australien und Neu-Guinea auf. Der Erreger, dem ebenfalls Vögel als Reservoir dienen, löst beim Menschen eine schwere Enzephalitis aus.

Das St.-Louis-Enzephalitis-Virus kommt ebenfalls in Australien, aber auch in Argentinien und der Karibik vor. Das Virus verursacht akute Infektionen des Zentralen Nervensystems, von einer milden Meningoenzephalitis bis hin zur letalen Enzephalitis oder Enzephalomyelitis.

Zu den Flaviviren gehören auch das in Australien vorkommende, seltene Kunjin-Virus sowie der Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis.

 

Bei schwer Erkrankten gelangen die Viren - wahrscheinlich über den Blutstrom - ins Zentrale Nervensystem und breiten sich dort auf Grund ihrer Affinität zu Nervenzellen aus. Daraufhin kommt es zu Bewusstseinstrübungen, Reflexstörungen und motorischen Lähmungen. Die Patienten fallen schließlich ins Koma und sterben im schlimmsten Fall.

Wie bei fast allen Viruserkrankungen steht auch für die Behandlung der Japanischen Enzephalitis keine kausale Therapie zur Verfügung. Intensivmedizinische Überwachung und Pflege können helfen, den Patienten zu retten.

In den Endemiegebieten stellen die meisten Ärzte die Diagnose auf Grund der Symptome. Allerdings ist auch ein Nachweis von Antikörpern im Serum der Infizierten möglich. Dabei gelten der Nachweis von spezifischen IgM-Molekülen, die rasch nach der Infektion auftreten und dann verschwinden, sowie ein Titeranstieg von spezifischem IgG als beweisend. Zudem können die Viren auch direkt aus dem Liquor nachgewiesen werden - entweder mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion oder durch Anzucht in Hühnerembryonen, Gewebekulturen oder Mäusen.

Lähmungen und Psychosen

80 Prozent der Patienten, die eine manifeste Infektion überleben, leiden für den Rest ihres Lebens unter neurologischen und psychischen Dauerschäden (zum Beispiel Lähmungen uns Psychosen). Kinder sind davon besonders häufig betroffen. Hat ein Mensch einmal eine Infektion durchgemacht, so ist er zumindest bis in ein relativ hohes Alter immun.

In den asiatischen Ländern mit höherem Lebensstandard und in Gebieten, in denen die Kinder durch Impfungen vor Infektionen geschützt sind, erkranken heutzutage im Verhältnis mehr ältere Menschen. Sie sterben häufiger an der Erkrankung als Kinder, tragen jedoch seltener Spätschäden davon.

Schützen kann man sich vor der Japanischen Enzephalitis, indem man sich vor Mückenstichen hütet. In Räumen mit Klimaanlage oder mit Mückengittern vor den Fenstern zu schlafen ist eine sichere Methode, den nächtlichen Plagegeistern aus dem Weg zu gehen. Falls dies nicht möglich ist, sollte man zumindest ein Moskitonetz verwenden und den Raum mit Insektiziden aussprühen sowie Räucherspiralen gegen Moskitos einsetzen. Im Freien schützen Repellents und Kleidung vor Mückenstichen.

Für eine Immunprophylaxe wurden inzwischen Impfstoffe entwickelt, von denen einer weltweit erhältlich ist. Auf Grund der Nebenwirkungen sollte er jedoch nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden.

Impfung selten indiziert

Für die meisten Reisenden ist das Risiko, an einer Japanischen Enzephalitis zu erkranken, verschwindend gering. So wurden von 1978 bis 1992 weltweit 24 manifeste Infektionen mit dem Japanischen Enzephalitis-Virus registriert, darunter waren sechs amerikanische Soldaten, die erwiesenermaßen einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind als Reisende. Diese Zahlen machen deutlich, dass für die meisten Reisenden ein konsequenter Mückenschutz ausreicht.

Die Impfung sollte jedoch Reisenden angeboten werden, die sich mehr als vier Wochen während der Mückensaison in Endemiegebieten aufhalten, empfehlen die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Nur in Ausnahmefällen ist die Impfung bei Touristen indiziert, die einen kürzeren Aufenthalt planen - wenn sie sich zum Beispiel ausschließlich im Freien aufhalten.

Der von der Firma Biken, Japan, entwickelte Impfstoff ist nur in den USA und in Kanada zugelassen, aber nicht in Deutschland und in der restlichen EU. Connaught, die Mutterfirma von Aventis Pasteur MSD, hat die Lizenz für die Herstellung gekauft und vertreibt den Impfstoff weltweit. Allerdings ist der Preis der Vakzine für die meisten Länder, in denen die Japanische Enzephalitis endemisch ist, viel zu hoch. Einige Nationen produzieren daher ihren eigenen Impfstoff. Trotzdem steht gerade in den Ländern, die eine Vakzine am nötigsten brauchen, oft kein Präparat zur Verfügung.

Derzeit sind drei Vakzinetypen im Gebrauch. Der Connaught-Impfstoff und einige in den Endemiegebieten hergestellte Präparate, basieren auf inaktivierten Viren, die in Mäusehirnen gezüchtet wurden. Die Volksrepublik China produziert inzwischen zwei Impfstoffe in Zellkultur, einen ebenfalls inaktivierten und einen mit lebenden attenuierten Viren. Letzterer kann äußerst kostengünstig hergestellt werden und ruft mit weniger Injektionen eine stärkere Immunantwort und geringere Nebenwirkungen hervor als die restlichen Impfstoffe. In den nationalen chinesischen Impfprogrammen haben ihn bereits mehr als 100 Millionen Kinder erhalten. Außerhalb von China steht der Impfstoff jedoch nicht zur Verfügung.

Allergische Spätreaktionen

Etwa 20 Prozent der mit der Biken-akzine Geimpften leiden unter Nebenwirkungen. Meist sind diese mild und beschränken sich auf lokale Reaktionen der Haut wie Schwellung, Empfindlichkeit und Rötung an der Injektionsstelle. Etwas seltener tritt leichtes Fieber sowie Kopf- und Muskelschmerz, Schlappheit und Magendarm-Symptome auf. Bei 0,6 Prozent der Geimpften wurden jedoch Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet, die Minuten nach der Injektion oder mit Verspätung von bis zu einer Woche auftreten können. Dazu zählen eine generalisierte Nesselsucht, Angioödeme, Atemnot bis hin zum anaphylaktischen Schock. Die Symptome sind behandelbar mit Epinephrin, Antihistaminika und Steroiden. Auf Grund dieser Nebenwirkungen gilt zum Beispiel eine Urtikaria in der Patientengeschichte als Kontraindikation für die Impfung.

Auf eine erste Impfung sollte nach sieben und dreißig Tagen die zweite und dritte folgen. Etwa zehn Tage danach besteht Impfschutz. Dieser sollte nach einem Jahr und danach alle drei Jahre aufgefrischt werden. Bei Bewohnern von Endemiegebieten reichen geringere Dosen aus, vor allem wegen deren Exposition mit Flaviviren, die den Antikörpertiter auf natürlichem Weg boostern. Top

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