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Kompression und Ödemprotektiva alsStandbeine der Venentherapie

20.04.1998  00:00 Uhr

-Titel

Govi-Verlag

Kompression und Ödemprotektiva als Standbeine der Venentherapie

Richtschnur für die Selbstmedikation: Sobald Hautverfärbungen sichtbar sind, ist die chronisch venöse Insuffizienz (CVI) für die Selbstmedikation nicht mehr geeignet. Lediglich prophylaktische Maßnahmen, leichte Stauungsbeschwerden und leichte Thombophlebitiden können unter Beratung selbst behandelt werden. Die Therapie der Veneninsuffizienz fußt auf physikalischen Maßnahmen, peroraler Arzneitherapie sowie der Kompressionsbehandlung. Vermitteln Sie Ihren Patienten, daß es sich dabei nicht um konkurierende, sondern um sich ergänzende Maßnahmen handelt.

Machen bereits Stauungsbeschwerden, müde und juckende Beine zu schaffen, ist die Kompressionsbehandlung angezeigt. In Kombination mit Ödemprotektiva ist die Kompressionstherapie die beste Methode, der venösen Stauung beizukommen. Ihr Geheimnis ist der von außen auf die Venen wirkende, fein dosierte und der individuellen körperlichen Beschaffenheit des Beines exakt angepaßte Druck. Er preßt nicht nur die erweiterten Gefäße auf ein Fünftel bis ein Drittel ihres Durchmessers zusammen, sondern gibt auch den Muskelpumpen ein festes Widerlager. Wenn sich das Muskelsystem des Beins bei Bewegung ausdehnt, so kann der Kompressionsverband oder -strumpf diese Bewegung nur geringfügig mitmachen. Folge: eine starke Kompression. Wenn einige Augenblicke später der Muskel erschlafft, gibt der Verband oder der Strumpf nach, der Druck sinkt auf sehr niedrige Werte. Waren im Augenblick der starken Kompression die Kapillaren abgequetscht, so daß ein Abfluß der interstitiellen Gewebsflüssigkeit nicht möglich war, so werden bei niedrigem Kompressionsdruck die Kapillaren wieder durchgängig. Nur der ständige rhythmische Wechsel zwischen hohem und niedrigem Kompressionsdruck schwemmt das Ödem aus. Ohne Bewegung geht also gar nichts. Der Compliance zuliebe sollten Sie diese Zusammenhänge Ihren Patienten vermitteln.

Mehrere Untersuchungen verdeutlichen die Effektivität der Kompressionsbehandlung. Eine randomisierte prospektive Studie mit 199 Probanden zeigt, daß ein Kompressionsstrumpf nach tiefer Beinvenenthrombose in 63 Prozent der Fälle ein postthrombotisches Syndrom verhindert. Auch die Rezidivneigung nach einem abgeheilten Ulcus cruris wird günstig beeinflußt. Das sagen zumindest zwei Studien aus den Jahren 1991 und 1996 aus, an denen 73 beziehungsweise 56 Probanden mitwirkten. In der 91er Studie lag die Rezidivrate nach fünf Jahren bei 29 Prozent. Bei den Patienten ohne Kompression hatten alle bereits nach 26 Monaten einen Rückfall. Die 96er Studie bestätigte diese Ergebnisse, der Nachbeobachtungszeitraum betrug 28 Monate.

Compliance läßt zu wünschen übrig

Der Strumpf in der Schublade oder gelegentliches Tragen bringen gar nichts. Nach Untersuchungen aus den 80er Jahren hadern besonders die Betroffenen mit ihrem Strumpf, die ihn prophylaktisch tragen müßten. Einsichtiger zeigen sich dann schon die Patienten, die ein Rezidiv verhindern wollen. Die Compliance ist also abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, von der Jahreszeit (Sommer) und der Art der Therapie. Die Deutschen schmieren am liebsten: 77 Prozent hielten die topische Therapie ein (Anmerkung: Angesichts dieser Therapietreue ist es bedauerlich, daß es nur eine einzige Indikation für Topika gibt: Heparin bei Venenentzündungen). Immerhin 67 Prozent akzeptieren die Medikamenteneinnahme, während nur 47 Prozent die Kompressionstherapie dauerhaft ernstnehmen. Hier liegt die Chance für Ödemprotektiva, zumal klinische Studien nachweisen, daß die medikamentöse Therapie mit Roßkastaniensamenextrakt (RKSE) oder Oxerutin der Kompression in nichts nachsteht beziehungsweise aufgrund der höheren Akzeptanz sogar überlegen ist.

So bescheinigen klinische Untersuchungen dem RKSE, daß er bei Patienten mit CVI im Stadium I Ödeme ebenso zurückbildet wie eine Kompressionstherapie mit Strümpfen der Klasse II. Beispielhaft wird häufig die Studie von C. Diehm, Karlsbad-Langensteinbach, genannt, die 1996 als erste Ödemprotektia-Studie überhaupt im Lancet veröffentlicht wurde. 240 Patienten wurden über zwölf Wochen placebokontrolliert und doppelblind (Komressionsarm teilverblindet) beobachtet. Um den Effekt zu optimieren, erhielten die Patienten vor Anpassen der Strümpfe ein Diuretikum zur Entstauung. In der RKSE-Gruppe (2 x 50 mg /d) nahm das Volumen um durchschnittlich 43,8 ml ab, unter Kompression um 46,7 ml, während es in der Placebogruppe um fast 10 ml zunahm. Die Unterschiede zwischen Verum und Placebo waren signifikant. Der nachgewiesene Effekt ist nur dann zu erwarten, wenn RKSE als standardisierter, angereicherter Extrakt in ausreichender Dosierung und geeigneter Galenik verabreicht wird.

Wirkstoffe erster Wahl sind RKSE und Oxerutin

Venentherapeutika gibt es viele; allerdings mehr Spreu als Weizen. Ihre Wirkung ist entweder nicht bewiesen oder sie enthalten zwar wirksame Inhaltsstoffe, diese aber in viel zu geringen Mengen. Laut Venen-Manual für Hausärzte '96 (Herausgeber: Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands) gibt es nur zwei Wirkstoffe mit belegter Wirkung: Aescin aus Roßkastaniensamen und Oxerutine. Grundsätzlich sind Kombinationspräparate kritisch zu betrachten. Zusätze von beispielsweise Johannisbeersaft oder Vitaminen können rational nicht nachvollzogen werden.

Um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu dokumentieren, sollte ein Präparat über eine Positivmonographie der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes verfügen oder durch klinische Studien geprüft sein. Von den Ödemprotektiva besitzen nur Roßkastaniensamen, Mäusedornwurzelstock und Steinkleekraut eine positiv bewertete Monographie. Aber: Nur der Roßkastanie wird der Status einer eigenständigen Therapie zuerkannt. Der Effekt von Mäusedorn und Steinklee wird nur als "unterstützende Therapie" beschrieben. Was klinische Studien betrifft, können laut Venen-Manual nur zwei Präparate (Venostasin®/Aescin und Venoruton®/Oxerutin) auf moderne kontrollierte Studien verweisen, in denen Wirksamkeitsparameter wie Ödemreduktion und Besserung subjektiver Symptome mit validierter Meßmethodik geprüft wurden.

Roßkastaniensamen (Hippocastani semen)

Voraussetzung für die antiexsudative und ödemprotektive Wirkung von RKSE ist der standardisierte Extrakt und die zweimal tägliche Dosis von 50 Milligramm Aescin in retardierter Darreichungsform, so die aktuelle Monographie zu RKSE. Standardisierter Trockenextrakt muß danach mindestens 16 und höchstens 20 Prozent Triterpenglykoside, berechnet als wasserfreies Aescin, enthalten. Aescin, der Hauptwirkstoff, ist ein Saponingemisch vom Triterpenglykosidtyp. Die Wirkungen des Gesamtextraktes entsprechen nicht denen von Aescin, weil außer Aescin wohl noch andere Koeffektoren die Wirkung vermitteln. Als Saponin kann Aescin den Magen reizen; deshalb empfiehlt sich die retardierte Variante.

Aescin verringert die bei CVI-Patienten bis zu 120 Prozent erhöhte Aktivität lysosomaler Enzyme um etwa dreißig bis sechzig Prozent, so daß der Abbau von Gerüstsubstanz im Kollagen der Venenwände gehemmt wird. Dadurch sinkt die Gefäßpermeabilität und die Filtration von kleinmolekularen Proteinen, Elektrolyten und Wasser in das Interstitium wird behindert. Aescin inhibiert die Enzymfreisetzung, indem es die Lysosomenmembran stabilisiert. In gleicher Weise erhöht Aescin die Resistenz von Kapillarwänden: Aescin komplexiert das an den Grenzflächen von zellulären und lysosomalen Membranen häufig vorkommende Cholesterin. Die Lipophilie erhöht sich, der Durchtritt für hydrophile Stoffe wie Wasser oder Proteine wird erschwert.

Flavonderivate, hauptsächlich Oxerutine

Flavonderivate leiten sich chemisch von Rutin ab. Erst durch halbsynthetische Umwandlung in wasserlösliche Rutoside werden sie resorbierbar und können für die perorale Arzneitherapie genutzt werden. Von diesen teilsynthetischen Stoffen haben das ß-Hydroxyethylrutosid (Oxerutin) und Troxerutin (Gemisch aus Tri- und Tetrahydroxyethylrutin) die größte Bedeutung. Hesperidin, ein natürliches Flavonoid, kommt meist in Form des teilsynthetisch abgewandelten Trimethylhesperidinchalkon (TMHC) zum Einsatz. Der vierte Wirkstoff im Bunde der Flavonoide ist Diosmin, das ohne Abwandlung verwendet wird. Umfangreiche Untersuchungen existieren nur zu Oxerutin, dessen Ausgangsflavonoide aus dem Japanischen Schnurbaum gewonnen werden.

Die empfohlenen Tagesdosen werden mit 600 bis 1200 mg für Oxerutine und Troxerutin, 300 bis 800 mg für TMHC und 400 bis 700 mg für Diosmin angegeben. Neuere Untersuchungen für Oxerutin zeigen jedoch, daß die Dosis 1000 mg (2 mal 500 mg) betragen muß, um einen antiödematösen Effekt zu erzielen. Das entspricht in etwa 100 mg Aescin. Bezüglich der Dosierung liegt der Hase im Pfeffer: Viele Fertigpräparate sind unterdosiert. Ein Effekt kann nicht erwartet werden.

Eine doppelblinde, randomisierte, multizentrische Studie mit 137 weiblichen CVI-Patienten Schweregrad II vergleicht die therapeutische Äquivalenz von Oxerutin in zwei verschiedenen Dosierungen und RKSE (100 mg Aescin/d). Die Behandlungsdauer betrug 12 Wochen, gefolgt von einer sechswöchigen Nachbeobachtungsphase bei allen drei Behandlungsgruppen. Die Oxerutintherapie erfolgte entweder mit täglich 1000 mg oder als Initial- und Erhaltungsdosiskonzept, das heißt die ersten vier Wochen täglich 1000 mg, gefolgt von 500 mg pro Tag über die verbliebenen acht Wochen. Oxerutin als Initial- und Erhaltungsdosiskonzept war therapeutisch äquivalent mit RKSE. Durch die Erhaltungsdosis wurde der initial erzielte Therapieerfolg stabilisiert. Oxerutin in einer Tagesdosierung von 1000 mg war RKSE numerisch überlegen, verfehlte das Signifikanzniveau aber knapp. Oxerutin wies allerdings eine höhere Responderrate von 74,6 Prozent im Vergleich zu RKSE von 57,6 Prozent auf. Das veranlaßte die Autoren der Studie zur Aussage, die beiden Ödemprotektiva zwar als äuivalent anzusehen - mit einem Trend zugunsten von Oxerutin.

Der Wirkungsmechanismus von Flavonoiden scheint wie bei Aescin in einer unspezifischen Membranstabilisierung zu liegen. Zusätzlich intervenieren Oxerutine jedoch auch bei entzündlichen Prozessen, weil sie zum einen Sauerstoffradikale abfangen und zum anderen die Aktivität von Makrophagen steigern. Flavonoide vermitteln ihre Wirkung im Vergleich zu Aescin stärker im Gewebe und nicht so sehr an der Gefäßwand.

PZ-Titelbeitrag von Elke Wolf, OberurselTop

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