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Demenz-Erkrankungen

Infektionen könnten Risiko für Neurodegeneration erhöhen

Bestimmte Virusinfektionen sind mit einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen assoziiert. Insgesamt 22 solche Erreger-Erkrankungs-Paare identifizierten US-amerikanische Forschende mithilfe von zwei europäischen Biobanken.
Christina Hohmann-Jeddi
23.01.2023  09:00 Uhr

Schon seit Längerem wird vermutet, dass Infektionen sich auch auf die Gesundheit des zentralen Nervensystems auswirken können. Für das Epstein-Barr-Virus (EBV) wurde bereits ein Zusammenhang mit der neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose (MS) nachgewiesen. Auch für Coronavirus-Infektionen werden neurologische Folgen diskutiert. Gezielt auf die Suche nach solchen Zusammenhängen zwischen Virusinfektionen und neurodegenerativen Erkrankungen begab sich nun ein Team um Kristin Levine mithilfe von Daten aus zwei nationalen Biobanken. Die Ergebnisse sind im Fachjournal »Neuron« erschienen.

Anhand der finnischen Biodatenbank FinnGen identifizierte das Team zunächst 45 virale Expositionen, wie eine virusinduzierte Lungenentzündung oder Enzephalitis, die mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer, amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Demenz, vaskuläre Demenz, Parkinson und MS assoziiert waren. 22 dieser Zusammenhänge wurden anhand der britischen UK Biobank repliziert, darunter auch die Verbindung zwischen EBV und MS.

Der stärkste Zusammenhang bestand zwischen viral bedingter Enzephalitis (Gehirnentzündung) und der Alzheimer-Erkrankung. Eine Grippeinfektion mit Lungenentzündung erhöhte das Risiko für fünf der sechs untersuchten neurodegenerativen Erkrankungen, heißt es in der Publikation. Aber auch mit Magen-Darm-Infektionen und dem Kontakt mit dem Varicella-zoster-Virus wurden verschiedene Assoziationen gefunden. Bei manchen Paaren war das Risiko für eine solche Diagnose auch bis zu 15 Jahre nach der Infektion noch erhöht.

Impfungen könnten vor neurodegenerativen Erkrankungen schützen

Da einige Viruserkrankungen wie Influenza durch Impfungen zu verhindern sind, könnten diese den Autoren zufolge dazu beitragen, das Risiko für eine neurodegenerative Erkrankung zumindest in Teilen zu senken. Der Virologe Professor Dr. Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen gibt jedoch zu bedenken: »Bevor man jetzt zum Schutz vor neurodegenerativen Erkrankungen Impfungen empfiehlt, wäre es wichtig zu zeigen, dass die Impfungen in der Tat die Häufigkeit neurodegenerativer Erkrankungen reduzieren.«

Zusätzlich müsse für eine Risiko-Nutzen-Analyse überprüft werden, wie viele Personen geimpft werden müssten, um einen Fall einer neurodegenerativen Erkrankung zu verhindern. Die Studie sei ein wichtiger Anstoß für weitere Forschung; unmittelbare Konsequenzen für Impfempfehlungen ergäben sich laut Überla daraus jedoch nicht.

Für die Qualität der Studie spreche, dass die Zusammenhänge in zwei unabhängigen Datenbanken nachweisbar waren. Ein kausaler Zusammenhang sei aber damit nicht bewiesen. »Es könnte beispielsweise auch sein, dass Personen, die dazu neigen, schwere Virusinfektionen durchzumachen, auch ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen haben.«

Die Studie sei »sehr relevant«, urteilt Professor Dr. Martin Korte, Leiter der AG Neuroinflammation und Neurodegeneration am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. »Sie wird besonders relevant, wenn man eine Idee davon hat, wie diese Zusammenhänge zustande kommen könnten.« So konnte seine Arbeitsgruppe in Mausmodellen zeigen, dass insbesondere eine Grippeinfektion über eine starke Anregung des Immunsystems auch das Immunsystem im Gehirn aktiviert, unter anderem Mikrogliazellen. Diese stehen im Verdacht, Nervenzellen zu schädigen, wenn sie über Wochen und Monate aktiv sind. »Unsere Hypothese ist, dass diese Neuroinflammation das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen kann«, so Korte.

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