Der Mensch als Schöpfer |
28.05.2010 14:57 Uhr |
Von Theodor Dingermann und Ilse Zündorf / Künstliche Organismen zu erschaffen, ist eines der erklärten Ziele der synthetischen Biologie. Für Furore sorgte jetzt die Nachricht des Genforschers J. Craig Venter, dass er eine synthetische Zelle hergestellt hat. Wie ist das Experiment einzuordnen? Wo liegen die Chancen und Risiken des neuen Forschungsgebietes?
Die synthetische Biologie ist einer der jüngsten Sprosse moderner Lebenswissenschaften. Sie präzise zu definieren, muss scheitern, denn die Übergänge zu »klassischen« Lebenswissenschaften sind fließend. Es war die große Innovation der Gentechnologie, die beiden Standarddisziplinen »Biochemie« und »Genetik« methodisch und intellektuell miteinander zu verbinden. Während Biochemiker Stoffwechselwege und die in diesen involvierten Biomoleküle nach Aufschließen der Zellen oder Organismen in möglichst isolierter Form studierten, versuchten Genetiker die Prozesse des Lebens an lebenden Organismen verstehen zu lernen, wobei sie allerdings Organismen studierten, deren genetische Information sie verändert (mutiert) hatten.
Das neu geschaffene Bakterium Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0.
Foto: University of California, San Diego
Arbeiteten Biochemiker auf der Exekutionsebene (Proteine, Kohlenhydrate, Lipide) außerhalb einer funktionierenden Zelle, arbeiteten Genetiker auf der Instruktionsebene (der Informationsebene) im lebenden Organismus. Miteinander sprachen Biochemiker und Genetiker kaum. Teilweise verstanden sie nicht einmal die Sprache der jeweils anderen Fachdisziplin.
1973 gelang es Cohen und Boyer [1] erstmals, ein DNA-Molekül, also das Zielmolekül der Genetiker, mit den Methoden der Biochemie im Reagenzglas zu verändern und dann dessen neue Funktion in einer lebenden Zelle mit Methoden der Genetik zu analysieren. Das war die Geburtsstunde der Molekularbiologie oder Gentechnologie, die den Lebenswissenschaften einen sagenhaften Schub verlieh und der im Jahre 2001 spektakulär in der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms kulminierte [2-4].
Diese extrem erfolgreiche und produktive Entwicklung ging aus technologischer Sicht ziemlich chaotisch vonstatten. Zunächst baute sich jeder beteiligte Wissenschaftler selbst das zusammen, was er für seine Arbeit brauchte. Mit der Zeit etablierten sich Firmen, die nützliche Werkzeuge, wie Enzyme, Vektoren, Trennmaterialien, Transformationskits oder komplexe Maschinen wie DNA-Synthesizer oder DNA-Sequencer anboten. Aber eine »Ordnung« im Sinne klassischer Ingenieurswissenschaften war nicht zu erkennen.
Genau hier setzt die synthetische Biologie an, deren Konzept darin besteht, biologische Systeme und Organismen mithilfe standardisierter Bausteine und ingenieurswissenschaftlicher Prinzipien neu zu entwickeln. BioBricks heißen die Legosteine der synthetischen Biologie. Dies sind DNA-Schnipsel, die die Information für bestimmte Funktionen tragen. Ausgestattet mit standardisierten Verbindungselementen können sie wie Schalter, Rohre und Scharniere kombiniert werden, um daraus maßgeschneiderte – teils völlig neue – Biomoleküle zu machen. Werden diese funktionsfähig in einen Organismus integriert, vermitteln sie diesem neue Eigenschaften. Die Extrapolation dieses »Steckprinzips« ist die Schaffung eines völlig neuen Organismus, der nur noch die Funktionen ausführt, die im »Entwurf« seines Konstrukteurs stehen. In dieser extremen Ausprägung geht die synthetische Biologie deutlich über das hinaus, was gentechnisch bis heute erreicht wurde. Synthetische Biologie in ihrem Extrem wird den Sprung von der gentechnischen Manipulation hin zur synthetischen Kreation vollziehen.
Künstliches Leben erschaffen
Zwei Lager verfolgen diese Ziele mit unterschiedlichen Strategien:
Der Top-down-Ansatz beschreitet den Weg »vom Belebten zum Künstlichen«. In lebenden Systemen werden vorhandene Komponenten entfernt oder verändert, und neue, nach ingenieurwissenschaftlichen Standards konzipierte Komponenten hinzugefügt. Dadurch wird das biochemisch/physiologische Potenzial eines Organismus teils erheblich erweitert.
Die Bottom-up-Strategie beschreitet den Weg »vom Leblosen zum Lebendigen«. Es werden Systeme generiert, die nach teils völlig neuen Prinzipien funktionieren. So wird zum Beispiel daran gearbeitet, mithilfe von Nukleobasen die DNA-Struktur so zu verändern, dass daraus ein modifizierter genetischer Code entsteht.
Erkundigt man sich auf der Internetseite syntheticbiology.org, der Homepage einer Gruppe von Forschern und Laboratorien, die Biologie nach »offenen und ethischen Prinzipien« modifizieren wollen, so liest man hier, dass unter synthetischer Biologie (i) das Design und die Konstruktion neuer biologischer Teile, Schalter und Systeme und (ii) der Umbau existierender, natürlicher biologischer Systeme für einen nützlichen Zweck zu verstehen ist.
Im Wesentlichen werden in der synthetischen Biologie drei Ziele verfolgt: Zum einen das Design und die Herstellung standardisierter biologischer Bausteine (»BioBricks«), zum anderen die Entwicklung völlig neuer Biomoleküle, für die es in der Natur keinerlei Vorbilder gibt, und zuletzt die Herstellung eines Organismus mit minimalen Grundeigenschaften, der eine Art universelle Hardware darstellt, die man mit neuer Software ausstattet, die von der Hardware dann exekutiert wird. Das Ziel dieser Übung ist es, maßgeschneiderte Organismen mit exakt vorhersagbaren (nützlichen) Eigenschaften zu kreieren.
J. Craig Venter hat die erste Zelle mit synthetischem Genom geschaffen.
Foto: Hurd
Die aktuellen Nachrichten zu J. Craig Venters »erster synthetischen Zelle, die je geschaffen wurde« (5) könnten nahelegen, dass alle diese Ziele nun erreicht seien. Dies ist aber nicht der Fall. Venter hat nicht etwa einen neuen und schon gar nicht einen »Minimalorganismus« geschaffen. Er hat vielmehr den Mikroorganismus Mycoplasma mycoides mit einer neuen Version seines eigenen genetischen Programms versehen, das die Wissenschaftler seiner Firma J. Craig Venter Institute (JGVI) mithilfe von 1000 DNA-Sequenzen mit einer Länge von jeweils 1080 Basenpaaren komplett neu synthetisiert hatten.
Dies können sie dadurch beweisen, dass sie in die DNA kleine, teils witzige Zusatzinformationen wie E-Mail-Adressen und Namen der beteiligten Forscher sowie einige berühmte Zitate als informative Wasserzeichen integriert hatten. Somit ist der »neue« Mycoplasma-Stamm tatsächlich nicht identisch mit dem alten Stamm, weshalb man ihm auch den neuen Namen Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 gegeben hat. Am Projekt arbeiteten 20 Forscher mehr als zehn Jahre, und es entstanden dabei Kosten in Höhe von etwa 40 Millionen Dollar. Das mag ineffizient und teuer klingen. Für einen »technischen Prototypen« ist das jedoch durchaus nicht ungewöhnlich.
Venter ist vom Nutzen seiner Arbeit überzeugt. »Dies ist ein sehr machtvolles Instrument, um die Biologie nach unseren Wünschen neu zu formen«, sagte er. »Es gibt eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten.« Aber noch ist man in der synthetischen Biologie noch weit davon entfernt, tatsächlich einen Minimalorganismus mit einem ausgefeilten Zusatzprofil zu schaffen.
Ein machtvolles Instrument
Doch wie steht es mit den anderen Zielen der synthetischen Biologie? So nimmt das Konzept des Designs von BioBricks sehr konkrete Formen an. Bemerkenswert ist, dass diese building blocks von einer gemeinnützigen Institution, der BioBricks Foundation am Massachusetts Institute of Technology (MIT) definiert, gesammelt und verwaltet werden (http://bbf.openwetware.org). BioBricks werden in Form von Plasmiden aufbewahrt und bereitgestellt. Neu hierbei ist, dass besonders strenge Regeln (ähnlich der DIN-Standards) beim Design zu beachten sind, um ein Zusammenkoppeln verschiedener BioBricks zu erleichtern.
Die BioBricks selbst können von unterschiedlicher Komplexität sein. Die einfachsten codieren zum Beispiel nur für ein Protein oder enthalten eine DNA-Sequenz, die für einen bestimmten Genregulierungsschritt steht, während kompliziertere BioBricks bereits für kompliziertere Funktionen codieren, analog zu einem elektronischen Schaltkreis. Hierzu gehören etwa Module, die ein Leuchtprotein einschalten, sobald eine bestimmte Chemikalie in der Umgebung ist, oder Oszillatoren, die einen zeitlich präzisen Wechsel in der Aktivität verschiedenfarbiger Leuchtproteine programmieren.
Besonders bekannt ist der Einsatz der BioBricks im jährlichen iGEM-Wettbewerb (International Genetically Engineered Machine), in dem Studententeams aus BioBricks innovative biologische Systeme zusammensetzen. Erfolgreiche iGEM-Projekte der vergangenen Jahre entwickelten etwa Bakterien, die Minz- oder Bananenduft produzieren oder die vor Arsen in der Umgebung mit einer pH-Wert-Änderung warnen. Im letzten Jahr wurde hier auch eine Gruppe von Studenten der Universität Heidelberg für ihr Projekt »Ecolicence to Kill« ausgezeichnet (www.uni-heidelberg.de/media/biologie/igem.html). Ihnen war es gelungen, mithilfe eines synthetisch biologischen Ansatzes das Erbgut von Bakterien so umzubauen, dass sie gezielt andere Keime oder Tumorzellen aufspüren und abtöten können.
Ein Ziel der synthetischen Biologie ist es, einen neuen genetischen Code zu entwickeln.
Foto: Roche
Auch der zweite Aspekt der synthetischen Biologie, künstliche Biomoleküle zu entwickeln, zeigt beachtliche Erfolge. Hier wird das kreative Potenzial deutlich, das die synthetische Biologie bereithält. Produkte in diesem Bereich sind Aminosäuren, die es natürlicherweise nicht gibt, neuartige Transfer-RNAs, mit deren Hilfe sich nicht-proteinogene Aminosäuren in Proteinketten einbauen lassen und die Schaffung ganz neuer DNA-Basen, die sich in Gensequenzen einfügen lassen und zusammen mit anderen artifiziellen Komponenten einen neuen genetischen Code bilden.
Jede Technologie – und erst recht jede neue Technologie – wirft ethische Fragen auf und so auch die synthetische Biologie. Die wesentlichen bioethischen Herausforderungen rund um das Forschungsgebiet lassen sich in drei Themenkategorien einteilen: Als Erstes sind Schäden durch freigesetzte synthetische Organismen zu nennen. Man unterscheidet hier zwischen »biosafety« und »biosecurity«. Dabei umfasst der Begriff biosafety alle »Risiken und Nebenwirkungen«, die durch unbeabsichtigte Interaktionen der künstlichen Lebewesen mit der natürlichen Umwelt verursacht werden könnten. Der Begriff biosecurity beinhaltet den gezielten Missbrauch biologischer Systeme, insbesondere für terroristische Zwecke. Ein weiterer Aspekt ist die Gerechtigkeit (Patente, Handel, Monopole). Hier zeichnen sich zwei Extreme ab: Zum einen die Strategie Venters, der technologisch und hinsichtlich der eingesetzten Ressourcen extrem voranprescht, um daraus ein lukratives Geschäft zu entwickeln. Zum anderen die BioBricks Foundation am MIT, die nach der open source-Philosopie arbeitet und alle von ihr entwickelten und gesammelten Komponenten frei verfügbar macht. Das größte Potenzial für Dissense hat der letzte Aspekt: die Erschaffung künstlichen Lebens. Schließlich ist die synthetische Biologie der aggressivste experimentelle Ansatz auf die Frage, was Leben eigentlich ist und wie wir damit umgehen wollen.
Joachim Boldt, Oliver Müller und Giovanni Maio bringen dies in ihrem 2009 erschienen Buch »Synthetische Biologie. Eine ethisch-philosophische Analyse«1 wie folgt auf den Punkt: »Der für die Versuchsanordnung methodisch reduzierte Lebensbegriff, den die synthetische Biologie verwendet, kann dazu führen, ›Leben‹ zu unterschätzen und suggeriert daher möglicherweise eine Kontrollierbarkeit von Lebensprozessen, die so nicht gegeben ist. Zentrale Begriffe und Metaphern der Synthetischen Biologie – living machine, artificial cell – sind rein semantisch höchst problematisch und implizieren ontologisch ein Bild des Lebendigen als Artefakt. Dieses Verwischen der Grenze zwischen Lebendigem und Technischem kann weitreichende Folgen haben für Einschätzung und Umgang mit Lebendigem. Dies wiederum kann zu einer Änderung des menschlichen Selbstverständnisses führen. Die Vorstellung des Menschen als eines Technikers, als Homo faber, scheint durch die synthetische Biologie erweitert zu werden; der Mensch scheint hier zum Homo creator zu werden, scheint also nicht nur ein Produzent von Artefakten oder ein Manipulator natürlicher Prozesse, sondern ein veritabler ›Schöpfer‹ von Leben zu sein.«
Mehr als Spielerei
Es gilt sachlich zu bleiben bei der Diskussion um die synthetische Biologie. Einer fatalistischen Ablehnung allen technischen Fortschritts, ohne ihn realistisch in dieser globalen Welt aufhalten zu können, stehen riesige Probleme gegenüber, auf deren Lösung Betroffene sehnlichst warten.
Die synthetische Biologie – besonders in der aktuellen Form des geglückten Venter-Experiments – als Spielerei abzutun, wird dem Potenzial dieser neuen Forschungsrichtung nicht gerecht. Es bedarf manchmal auch Visionäre, die auch akzeptieren, als plattes Feindbild zu fungieren, um Entwicklungen anzustoßen, die selbst sie nicht vorhergesehen haben. /
<typolist type="1">
Cohen, S.N., et al., Construction of biologically functional bacterial plasmids in vitro. Proc Natl Acad Sci USA. 70 (1973): 3240-3244.
Venter, J.C., et al., The sequence of the human genome. Science 291 (2001): 1304-1351.
Lander, E.S., et al., Initial sequencing and analysis of the human genome. Nature 409 (2001): 0-921.
International Human Genome Sequencing Consortium: Finishing the euchromatic sequence of the human genome. Nature 431(2004): 931-945.
Venter, J.C., et al., Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome. Science, DOI: 10.1126/science.1190719 (2010).
1) Dieses Buch kann kostenlos aus dem Netz heruntergeladen werden unter: www.ekah.admin.ch/de/dokumentation/publikationen/beitraege-zur-ethik-und-biotechnologie/synthetische-biologie-eine-ethisch-philosophische-analyse/index.html