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Zu den sogenannten »yellow flags«, die das Risiko für eine Chronifizierung erhöhen, zählen Depressivität, eine hohe Stressbelastung, niedriger Sozialstatus, Neigung zum Katastrophisieren und die Überzeugung, dass körperliche Aktivität die Schmerzerkrankung verschlimmert. Arbeitsplatzbezogene Faktoren umfassen beispielsweise häufige körperliche Schwerarbeit, Vibrationsexposition, gleichförmige Körperhaltung, berufliche Unzufriedenheit, Mobbing und mangelnde Anerkennung.
Relativ schwach ist dagegen die Evidenz für den Einfluss von Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, Rauchen, geringe körperliche Kondition und reichlicher Alkoholgenuss. Offenbar kann auch die persönliche Einstellung des ärztlichen und therapeutischen Personals zur Chronifizierung beitragen: Vermitteln die Behandelnden, dass eine Heilung durch passive Maßnahmen, Spritzen und Krankschreibung erreichbar sei, unterstützen sie das Angst-Vermeidungs-Verhalten der Patienten. Verstärkt wird das durch die häufige Überdiagnostik und die »somatische Fixierung«, also die Überzeugung, dass hinter den Beschwerden eine schwere körperliche Ursache stecken muss.
Weil sie für den Krankheitsverlauf so wichtig sind, sollten die psychosozialen und arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren schon bei der Anamnese berücksichtigt werden, empfehlen die Leitlinien mit hoher Konsensstärke. Nach vier Wochen Schmerzdauer raten sie bei unzureichendem Therapieerfolg zum Einsatz eines standardisierten Screening-Instruments, beispielsweise dem Start-Back-Tool; das ist ein einfacher Fragebogen, mit dem das Chronifizierungsrisiko abgeschätzt werden kann. Spätestens nach zwölf Wochen ist ein multidisziplinäres Assessment angezeigt. Dazu gehört neben der ärztlichen Beurteilung die Expertise eines Physiotherapeuten und eines Psychotherapeuten oder Psychiaters.
Bei Kindern und Jugendlichen kann eine zusätzliche Familienberatung oder psychologische Diagnostik und Behandlung bereits beim ersten Arztkontakt sinnvoll sein, spätestens aber drei bis sechs Wochen nach Therapiebeginn.