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Gute Erfahrungen macht das Essener Rückenschmerz-Zentrum bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen dagegen mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin und SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) wie Venlafaxin oder Duloxetin. »Diese Medikamente haben eine eigenständige schmerzreduzierende Wirkung«, betont Bingel. »Sie wirken über die noradrenerg vermittelte deszendierende Schmerzhemmung.« Ihren Patienten erklärt Bingel das als »eine Aktivierung der körpereigenen Schmerzbremse«.
Für die analgetischen Effekte werden deutlich niedrigere Dosierungen benötigt als zur Behandlung von Depressionen. Viele Schmerzpatienten leiden begleitend an depressiven Symptomen und/oder Schlafstörungen, die die Schmerzempfindlichkeit noch verstärken können. Hier nennt auch die Leitlinie von 2017 die Anwendung von Antidepressiva als »Kann-Empfehlung«.
Positive Aspekte sieht Bingel außerdem bei Antiepileptika vom Calciumkanal-Typ wie Gabapentin oder Pregabalin. Diese verschreibt sie gelegentlich bei Rückenschmerzen mit ausgeprägter neuropathischer Komponente – ebenfalls in niedriger Dosierung.
Jede medikamentöse Therapie sollte in regelmäßigen Abständen – in der Regel spätestens alle drei Monate – auf ihren Erfolg kontrolliert werden. »Viele Patienten nehmen aus Gewohnheit und Verzweiflung jahrelang Schmerzmittel ein, auch wenn’s nichts hilft«, weiß die Neurologin aus ihrer Praxis. Analgetika dürften immer nur als unterstützende Maßnahme dienen. Viel wichtiger sei es, die Betroffenen zu körperlicher Bewegung zu motivieren und auch psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Aspekte in den Blick zu nehmen.
Aufklärung und Edukation sind wichtige Grundpfeiler der Behandlung unspezifischer Rückenschmerzen. Patienten müssen erkennen, dass psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle für ihr Krankheitsgeschehen spielen. Von mindestens ebenso großer Bedeutung ist die Einsicht, dass körperliche Aktivität keine Schäden verursacht, sondern die Linderung der Beschwerden fördert. »Es gibt keine falsche Bewegung«, betont Bingel. »Körperliches Training ist die beste Prävention und entscheidend für die Besserung von Rückenschmerzen.«
Körperliche Aktivität ist die beste Prävention von Rückenschmerzen. / Foto: DAK/Schläger
Je nach individuellen physischen Voraussetzungen müssen manche Muskelgruppen eher gedehnt, andere durch Krafttraining gestärkt werden. Welche Form der Bewegungstherapie am effektivsten zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Funktionsfähigkeit beiträgt, ist aus Studien nicht abzuleiten. Entscheidend für die Auswahl sind nach Ansicht des Leitliniengremiums daher persönliche Präferenzen, Alltagsumstände, Fitness und die Anleitung durch einen Physiotherapeuten. Als zusätzliche Maßnahme haben sich Entspannungsverfahren, insbesondere die Progressive Muskelrelaxation, als wirksam erwiesen. Bei psychosozialen Risikofaktoren kann eine möglichst früh beginnende kognitive Verhaltenstherapie dazu beitragen, eine Chronifizierung und anhaltende Funktionseinschränkungen zu verhindern.
Kontraproduktiv ist dagegen alles, was eine passive Rolle der Patienten fördert. Dazu gehören beispielsweise Bettruhe, Stufenlagerung und medizinische Hilfsmittel wie Orthesen oder Schuheinlagen. Aufgrund fehlender Wirksamkeitsnachweise rät die Leitlinie auch ab von Kinesio-Taping, Kurzwellendiathermie, Interferenzstrom-, Laser- und Magnetfeldtherapie sowie perkutaner und transkutaner elektrischer Nervenstimulation (PENS, TENS).
Der Akupunktur bescheinigen einige Studien dagegen einen positiven Einfluss bei chronischen Rückenschmerzen. Aber auch sie sollte immer mit aktivierenden Maßnahmen kombiniert werden.