Herz und Kreislauf im Klimastress |
Auch die Luftverschmutzung zählt zu den Killern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass weltweit jährlich 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung verursacht werden, wobei kardiovaskuläre Ereignisse wie eine Erkrankung der Herzkranzgefäße oder ein Herzinfarkt, die Hauptursache darstellen. Wie das Expertenteam um den Atmosphärenforscher und Direktor am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie, Jos Lelieveld, und Kardiologe Münzel von der Universitätsmedizin Mainz im European Heart Journal berichtet, verursacht vor allem mit Feinstaub belastete Atemluft pro Jahr weltweit 8,8 Millionen Sterbefälle (9).
Münzel betont, dass dies sogar mehr Todesfälle seien als die 8 Millionen durch Rauchen verursachten. Die Luftverschmutzung führt zu einer Senkung der globalen Lebenserwartung um durchschnittlich 2,9 Jahre, verglichen mit einer Minderung um 2,2 Jahre durch Rauchen und um 0,3 Jahre durch Gewalt und Kriege, wobei die letztere Zahl derzeit deutlich ansteigt.
Schadstoffbelastete Luft enthält verschiedene Gase und feste Partikel wie Stickoxide, Schwefeldioxid, Ozon und Feinstaub. Diese können Entzündungen, oxidativen Stress und Schäden an den Blutgefäßen verursachen. Schon eine kurze Exposition gegenüber diesen Schadstoffen erhöht das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz. Besonders gefährlich ist Feinstaub mit einer Partikelgröße unter 2,5 Mikrometern (PM 2,5), da er tief in die Lunge und den Blutkreislauf eindringen kann und dort Entzündungen und oxidativen Stress verursacht (10, 11).
»Wir wissen heute, dass Ultrafeinstaub unter 0,1 µm direkt über das Riechorgan das Gehirn erreicht und dort subakute Entzündungen auslöst. Größere Partikel kommen über die Lunge in den Blutstrom und lösen dort oxidativen Stress aus«, erläutert Münzel. Feinstaub bestehe aus einem Kohlenstoffkern, von dessen Größe in erster Linie die Durchdringungsfähigkeit abhänge. Die Toxizität der Partikel wiederum werde durch die Oberflächenbeladung bestimmt. Das sind in erster Linie Übergangsmetalle, reaktive Aldehyde, Nitrit, Nitrat, Endotoxine oder Viren, wie in den letzten Jahren das Coronavirus.
»Darüber hinaus kennen wir die stark giftigen Wirkungen von Schwermetallen, halogenierten Kohlenwasserstoffen und neuerdings auch Mikro- und Nanoplastik auf das kardiovaskuläre System, auch wenn uns noch viel Detailwissen fehlt. Gerade bei den Herz-Kreislauf-Wirkungen von Mikro- und Nanoplastik steht die Umweltforschung noch am Anfang«, führt der Klimakardiologe weiter aus.
Naturdünger mit reichlich Schadpotenzial / Foto: Adobe Stock/Gina Sanders
Auch Gülle kann einen bemerkenswerten Einfluss auf die Luftverschmutzung und das daraus resultierende Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Gülle ist eine Mischung aus Tierexkrementen, Urin und Wasser, die in der Landwirtschaft häufig als Düngemittel verwendet wird. Wird sie auf Felder aufgebracht, wird Ammoniak freigesetzt, der mit anderen Schadstoffen in der Atmosphäre reagieren kann, um feine Partikel (PM 2,5) zu bilden. Neben PM 2,5 kann Gülle auch andere Schadstoffe in die Luft abgeben, zum Beispiel Stickstoffoxide und Schwefeldioxid, die ebenfalls zur Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen können.
Über welche pathophysiologischen Mechanismen eine verschmutzte Luft zum Entstehen einer koronaren Herzkrankheit (KHK) beiträgt, ist noch nicht vollständig verstanden, aber Entzündungen und oxidativer Stress spielen eine Schlüsselrolle. »Entzündungen und oxidativer Stress schaden den Endothelzellen, die die Blutgefäße auskleiden – ein Prozess, der langfristig zur Entwicklung von Arteriosklerose führen kann«, berichtet Münzel. Der Experte sieht vor allem die Feinstaubentwicklung aufgrund von Überdüngung kritisch, die in Deutschland für einen großen Teil der vorzeitigen Feinstaubtodesfälle verantwortlich sei.