Hauptsache abseits der Norm |
Jennifer Evans |
08.11.2018 14:24 Uhr |
Win-win-Situation für Jung und Alt: Marit Meinhold (Mitte) mit Margarethe Klages (links) und Renate Heumann in der Seniorenresidenz Tertianum in Konstanz. Foto: Tertianum Premium Residences
Rund jede fünfte Person in Deutschland ist derzeit 65 Jahre oder älter. Das entspricht nach Angaben des Statistischen Bundesamts einem Anteil von 21,4 Prozent der Gesamtbevölkerung, Tendenz steigend. Diese Entwicklung erfordert zukunftstaugliche Wohn- und Lebensformen. Besonders, weil viele Senioren heute ein klassisches Pflegeheim ablehnen. Lieber wollen sie selbstbestimmt leben – aber nicht allein. Gute nachbarschaftliche Kontakte und ein verantwortungsvolles Miteinander sind für sie wichtig.
Für die sogenannten Silver-Ager stehen verschiedene Wohnformen zur Wahl. Da wären beispielsweise Senioren-WGs, in denen sie ein eigenes Zimmer oder eine eigene Wohnung beziehen, aber sich meist Küche und Gemeinschaftsräume teilen. In einigen WGs wird zusammen gekocht, in anderen bringt ein Lieferservice das Essen. Manchmal kommt sogar Pflegepersonal ins Haus. Seltener sind derzeit noch ganze Wohnprojekte, für die sich eine Gruppe älterer Menschen zusammentut und ein ganzes Quartier oder Dorf gründet. Ein Beispiel ist Uhlenbusch am Plönersee. Auf rund fünf Hektar Land entstand dort in den vergangenen zwei Jahren ein Seniorendorf mit 30 Holzhäuschen, Gärten, Werkstätten, einem kleinen Lebensmittelladen und einer Weidefläche von rund 15 000 Quadratmetern. Der Gedanke dahinter: in einer Gemeinschaft von Gleichaltrigen aktiv und selbstbestimmt leben.
Jedes Konzept steht und fällt natürlich mit den richtigen Mitbewohnern oder Nachbarn. Diesem Problem haben sich Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München gewidmet. Zusammen mit Psychologen entwickelten sie eine Methode, die gleichgesinnte Senioren zusammenbringt. »Die Gold WG« nennt sich die entsprechende Plattform im Internet. Für die Treffer passender Mitbewohner spielen neben gemeinsamen Interessen und Vorlieben auch ähnliche Wertvorstellungen sowie die finanzielle Ausgangssituation der Interessenten eine Rolle. Ziel der Initiatoren ist es, das WG-Leben wieder als »zeitgemäßen Lifestyle« für die Generation Gold zu etablieren.
Neue Wohnformen abseits der Norm sind auf dem Vormarsch. Und außerdem eine echte Alternative zur stationären und ambulanten Versorgung älterer Menschen, wie aus einer wissenschaftlichen Untersuchung des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung hervorgeht, die kürzlich 53 Wohnprojekte für pflegebedürftige Menschen unter die Lupe nahm. Eine Ortsgemeinde etwa baute als Genossenschaft Räumlichkeiten für betreutes Wohnen ganz nach den Wünschen der Betroffenen. Als Träger war die Genossenschaft für Pflegedienst, Ernährung, Betreuung und Physiotherapie der Bewohner verantwortlich. Das ermöglichte den Senioren, im gewohnten Umfeld zu bleiben.
Für immer mehr Silver-Ager sind auch Mehrgenerationenhäuser eine Option. Idealerweise bietet schon die Architektur Raum für Begegnungen. Die Hausgemeinschaften sollen sich außerdem gegenseitig helfen, beispielsweise beim Einkaufen, Autowaschen, bei Haus- und Gartenarbeit sowie bei der Kinderbetreuung. Es geht um mehr Toleranz und weniger Einsamkeit. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert solche Mehrgenerationenhäuser. Bis 2020 sollen rund 550 dieser Gebäude mit einen Zuschuss von je 30.000 Euro unterstützt werden.
Ebenfalls eine Win-win-Situation für Jung und Alt ist das Projekt »Wohnen für Hilfe«. In mehr als 20 deutschen Städten können Studierende bei Rentnern einziehen und diese im Gegenzug bei Haus- und Gartenarbeit unterstützen. Die Faustregel: Pro Quadratmeter Wohnraum, eine Stunde Hilfe im Monat. Meist vermitteln die Studentenwerke die Zimmer und prüfen gleichzeitig, ob beide Parteien für die WG geeignet sind. Entscheidende Auswahlkriterien sind Respekt und Offenheit.