Harter Lockdown und keine Lockerungen vor Mai |
Christina Hohmann-Jeddi |
01.04.2021 14:45 Uhr |
Als zweiter Ansatz wurde die Lockerung der Kontaktmaßnahmen (eine erfolgreiche Reduktion der Fallzahlen im April vorausgesetzt) um 20, 40 und 60 Prozent, also eine teilweise Rückkehr in das normale Leben, über einen längeren Zeitraum modelliert. Als mögliche Startpunkte der Lockerungen wurden der 1. Mai, 1. Juni beziehungsweise 1. Juli gewählt. In allen drei Szenarien werden der Analyse zufolge bei einem Start der Lockerungen im Mai die Intensivkapazitäten überschritten, bei Lockerungen um 40 und 60 Prozent sogar die Notfallreserve deutlich. Bei einer Lockerung um 60 Prozent könnten sich bis Juli etwa 70.000 Menschen in intensivmedizinischer Behandlung befinden. Erst ab dem 1. Juni führe eine Rückkehr der Kontaktzahlen um 20 Prozent nicht mehr zu einer Überschreitung der ITS-Kapazitäten. Eine Rückkehr um 40 beziehungsweise 60 Prozent zu den beiden späteren Zeitpunkten jedoch immer noch. Hier wird auch die Notfallreserve noch überschritten.
Das Fazit der RKI-Autoren: Der bisherige Stand der Durchimpfungen könne dem von der ansteckenden B.1.1.7-Virusvariante dominierten Infektionsgeschehen nicht viel entgegensetzen: »Trotz der Impfung von circa 10 Prozent der Bevölkerung mit mindestens einer Dosis ist die Impfkampagne noch nicht so weit vorangeschritten, um das Infektionsgeschehen wesentlich zu beeinflussen«, heißt es in der Veröffentlichung. An Lockerungen sei daher nicht so schnell zu denken. Die Modellierungen zeigten, »dass eine Vermeidung der Überlastung der ITS-Kapazitäten nur gelingt, sobald Lockerungen vorsichtig erst ab Mai/Juni 2021 und dann mit sukzessiver Steigerung des Grades der Lockerungen bis in den Spätsommer durchgeführt werden, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist«. Zum jetzigen Zeitpunkt könne nur noch ein früher weitgehender Lockdown eine Überlastung der Intensivkapazitäten vermeiden.
Einen harten Lockdown fordern Intensivmediziner schon länger. Der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, das die Bettenkapazität in Deutschlands Intensivstationen abbildet, Professor Dr. Christian Karagiannidis, warnt jetzt erneut vor einer Überfüllung der Intensivstationen innerhalb von vier Wochen. »Seit Mitte März sind unter dem Strich 1000 Intensivpatienten zusätzlich in den Krankenhäusern gelandet. Wenn sich diese Geschwindigkeit fortsetzt, sind wir in weniger als vier Wochen an der regulären Kapazitätsgrenze angelangt«, sagte Karagiannidis der »Rheinischen Post« (Donnerstag). Aktuell seien noch 1500 Intensivbetten für Covid-19-Patienten frei.
Karagiannidis, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) ist, betont: »Wir malen keine Schreckensbilder, unsere Warnungen sind von den Zahlen gedeckt. Es braucht jetzt dringend einen harten Lockdown für zwei Wochen, verpflichtende Tests an Schulen zweimal in der Woche und deutlich mehr Tempo bei den Impfungen in den Zentren und Arztpraxen.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.