Gezähmtes Gift als Opioid-Ersatz |
Daniela Hüttemann |
20.06.2019 14:00 Uhr |
Der Schwarzflecken-Kugelfisch (Arothron nigropunctatus) ist einer der häufigsten Kugelfische in den Korallenriffen des Indopazifik. Wie andere Vertreter seiner Gattung produziert er nennenswerte Mengen Tetrodotoxin. / Foto: Adobe Stock/Grigory Bruev
Tetrodotoxin (TTX) ist ein hoch potentes Neurotoxin, das in vielen Meerestieren wie Kugel- und Igelfischen, Molchen, Schnecken und Seesternen gefunden wurde. Die Struktur des zwitterionischen Alkaloids mit Guanidin-Teilstruktur wurde bereits 1964 von US-Chemiker und Nobelpreisträger Professor Dr. Robert B. Woodward aufgeklärt.
Tetrodotoxin blockiert spannungsaktivierte Natriumkanäle, die auch in Nervenzellen vorkommen und unter anderem an der Übertragung von Schmerzreizen beteiligt sind. Es kommt zu motorischen und sensiblen Lähmungen. Im Prinzip ist es damit ein potenzielles Narkosemittel. In sehr geringen Mengen wirkt es aber auch sehr gut schmerzlindernd. Bislang ist es jedoch noch nicht gelungen, das Gift als sicheres Arzneimittel einzusetzen.
Wissenschaftlern der Harvard Medical School in Boston ist es nun gelungen, winzige Mengen Tetrodotoxin in eine langsam freisetzende Formulierung zu bringen, die effizient in Neuronen penetrieren kann und das Toxin dort hoch selektiv freigibt. Im Fachjournal »Nature Communications« berichtet das Team um Studienleiter und Anästhesist Professor Dr. Daniel Kohane jetzt über einen erfolgreichen Einsatz an Ratten.
Bereits zuvor hatte Kohanes Arbeitsgruppe mit verschiedenen Formulierungen für Toxine experimentiert, bei denen die Wirkstofffreigabe von Ultraschall und Infrarotlicht getriggert werden soll. Die beiden Erstautoren Chao Zhao und Andong Liu experimentierten dafür mit verschiedenen Nervengiften und Polymer-Formulierungen. Ziel war es, eine möglichst lange Nervenblockade ohne neurotoxische Effekte zu erreichen.
Für die neue Studie verwendeten sie erstmals Tetrodotoxin, packten es jedoch nicht wie in vorangegangenen Versuchen in Partikel, sondern sorgten für eine chemische Bindung des Toxins an ein Polymer-Rückgrat. Im Körper wird diese Bindung nur sehr langsam per Hydrolyse gelöst, sodass die Freisetzung des Wirkstoffs langsam und sicher erfolgen soll. Zudem verwendeten sie einen chemischen Penetrations-Förderer, um die Partikel besser ins Nervengewebe zu bekommen. Dadurch konnten die Forscher noch geringere Mengen Tetrodotoxins einsetzen. »Sowohl der Penetrations-Enhancer als auch die reversible Bindung des Toxins ans Polymer sind essenziell um eine verlängerte Freisetzung zu erreichen«, erklärt Liu.
Sie injizierten diese Formulierung Ratten in der Nähe des Ischiasnervs. Damit erreichten sie eine Nervenblockade für bis zu drei Tagen – bei minimalen lokalen oder systemischen Nebenwirkungen und ohne offensichtliche Zeichen für Gewebeschäden. In Menschen könnte die Wirkung sogar noch länger anhalten, sagt Studienleiter Kohane. »Wir könnten langanhaltende Nervenblockaden zum Beispiel bei Patienten mit krebsbedingten Schmerzen erreichen, mit Sicherheit über Tage, vielleicht sogar über Wochen«, hofft der Forscher. Ob es sich wirklich um eine echte Alternative zu Opioiden bezüglich Sicherheit und Verträglichkeit handelt, muss natürlich zuvor erst in weiteren präklinischen Studien überprüft werden, bevor es mit Studien an Menschen losgehen kann. Damit liegt eine klinische Anwendung noch in weiter Ferne.