Fußball besser ohne Kopfball? |
Die Frage, inwiefern leichte Gehirnerschütterungen oder auch lediglich sich wiederholende leichte Zusammenstöße mit dem Kopf neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder schwere Schädel-Hirn-Traumata begünstigen können, ist derzeit nicht klar beantwortet. Auch die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE), die von sogenannten Kontaktsportarten wie dem Boxen, American Football oder Eishockey bekannt wurde, wird mit dem Fußball in Verbindung gebracht.
2019 hatte eine schottische Studie für Aufmerksamkeit gesorgt, weil sie für ehemalige Fußballprofis eine 3,45-mal höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Demenzerkrankung zu sterben, analysierte als für die Normalbevölkerung. Dabei verglichen die Wissenschaftler der Universität Glasgow die Todesursachen von 7676 früheren schottischen Fußballprofis, die zwischen 1900 und 1976 geboren wurden, mit einer dreimal so großen Kontrollgruppe mit gleichem Alter, Geschlecht und sozialem Status. Torhüter, die den Ball eher selten köpfen, hatten der Studie zufolge kein erhöhtes Risiko.
Der Kopf scheint weitaus sensibler und längerfristig auf Erschütterungen zu reagieren als bislang angenommen. Untersuchungen von Medizinern und Psychologen der Universitäten in Münster und Marburg zufolge leiden Betroffene noch nach sechs Jahren unter erheblichen Beeinträchtigungen ihrer kognitiven Fähigkeiten. Rund 40 Prozent der Teilnehmer, die zuvor eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hatten, zeigten mittelstarke bis starke Beeinträchtigungen in verschiedenen neuropsychologischen Bereichen wie Lernen und Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen wie Pläne schmieden, sich Ziele setzen oder Entscheidungen treffen. Auch depressive Symptome waren nach Gehirnerschütterungen häufiger.
Offenbar kann eine einzige leichte Gehirnerschütterung wichtige Hirnregionen atrophieren lassen, ein Vorgang der längere Zeit nur als Folge schwerer Verletzungen bekannt war. New Yorker Neuroradiologen wiesen diese strukturellen Veränderungen mit einem speziellen Verfahren der Magnetresonanztomographie auch bei Patienten nach, denen ein Jahr zuvor lediglich ein leichtes Schädeltrauma widerfahren war. Beeinträchtigt waren vor allem Hirnregionen, die die Stimmung regulieren und an komplexen Denkvorgängen beteiligt sind. In der Vergleichsgruppe atrophierte das Volumen dieser Hirnregionen im Verlauf eines Jahres nicht. Kognitive Tests, die die Wissenschaftler mit ihren Patienten machten, bestätigten die Ergebnisse der tomografischen Aufnahmen.
Vermutlich ist noch nicht einmal eine Gehirnerschütterung nötig, um dem Organ Schaden zuzufügen. Untersuchungen legen nahe, dass selbst bereits Köpfen beim Fußball geistige Einbußen mit sich bringen könnte. Das schließt zumindest Anne Sereno von der Universität in Texas aus ihren Untersuchungsergebnissen. Ähnlich sehen das Wissenschaftler der Universität München, die ihre Forschungsergebnisse im Journal JAMA veröffentlicht haben. Sie machten Veränderungen aus, »wie sie von Patienten mit Gehirnerschütterung bekannt sind, nur in leichterer Form«. Unter die Lupe genommen haben sie dazu die Gehirne von einem Dutzend Profifußballern, die bislang kein Schädeltrauma erlitten hatten, und mit denen von Profischwimmern, also Sportlern, bei denen Hirnverletzungen eher selten sind, verglichen. Mithilfe spezieller Bildgebungsverfahren konnten sie besonders in der weißen Substanz des Gehirns Veränderungen ausmachen, also jenen Teilen des Zentralnervensystems, die aus Nervenfasern bestehen.
Selbst bei leichten Gehirnerschütterungen braucht das Gehirn eine Pause, und sein Erholungsbedarf ist länger als angenommen. Es kann mitunter einige Wochen bis Monate dauern, bis sich alle Strukturen im Gehirn regeneriert haben. Die ausgedehnte Schonung ist auch deshalb so wichtig, weil ansonsten Spätfolgen wie chronische Kopfschmerzen, kognitive Leistungseinbußen oder Depressionen im Bereich des Möglichen liegen.
Das Problem: Eine Gehirnerschütterung und ihre Symptome wie Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen werden häufig unterschätzt. Der Gang zum Arzt wird versäumt. Vielleicht auch deshalb, weil sich bei milderem Ausmaß der Gehirnstauchung – und das ist in rund 80 Prozent der Fälle so – die Behandlung auf die Linderung der Symptome beschränkt. Außer Ruhe für das Gehirn lässt sich nicht viel tun. Dazu gehört auch, äußere Reize wie Musik, Computer, Lernen oder berufliche Tätigkeiten gänzlich zu meiden. Bei Bedarf nehmen Arzneimittel die Kopfschmerzen und die Übelkeit.