»Für die Apotheker wird sich bald eine Weiche stellen« |
Teleclinic-CEO und Gründerin Katharina Jünger spricht im Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung über die Beweggründe, ihr Unternehmen an den Schweizer Konzern Zur Rose zu verkaufen. / Foto: Teleclinic
Pharmazeutische Zeitung: Liebe Frau Jünger, Sie haben Ihr Unternehmen im Juli für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag an die Zur-Rose-Gruppe verkauft. Wie heftig war die Kritik aus dem Apothekenmarkt?
Katharina Jünger: Schon sehr heftig. Es war auch eine sehr emotionale Entscheidung für mich, aber ich musste sie treffen – auch weil ich eine Verantwortung für meine Mitarbeiter habe.
PZ: Wie meinen Sie das?
Jünger: Obwohl wir in den vergangenen 18 Monaten immer weiter gewachsen sind, kamen wir an den Punkt, an dem wir uns nach einem starken Partner umschauen mussten, der unsere Vision bezüglich einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung in Deutschland teilt und vorantreibt. Wir haben mit Zur Rose/Doc Morris schon häufiger Gespräche geführt, in der Vergangenheit aber immer abgebrochen – gerade weil die bisherige Strategie nicht im Einklang mit unserer eigenen war. Als wir aber bei Zur Rose die strategische Absicht erkannt haben, unsere Ziele und Wachstumspotenziale zu unterstützen und voranzutreiben, haben wir uns für diesen Schritt entschieden.
PZ: In einem Interview mit der DAZ haben Sie noch im März dieses Jahres gesagt, dass Sie die Apotheken brauchen, weil 70 Prozent Ihrer Verordnungen an Vor-Ort-Apotheken gehen. Eine Zusammenarbeit mit Doc Morris komme daher nicht in Frage. Inwiefern hat sich die Strategie des Konzerns geändert, dass Sie Ihre Meinung so drastisch geändert haben?
Jünger: Erst einmal möchte ich festhalten, dass zu dem Zeitpunkt, als ich das sagte, keinerlei Verhandlungen mit Zur Rose bestanden. Auch Doc Morris hat erkannt, dass es im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitsmarkts keinen Sinn macht, wenn man sich strategisch gegen die Apotheken positioniert. Vielmehr liegt die Ausrichtung des Konzerns auf dem Aufbau eines offenen und unabhängigen Marktplatzes, der eine partnerschaftliche Zusammenarbeit ermöglicht. Zur Rose hat uns in den Verhandlungen zugesichert, als Verkäufer auf dem zukünftigen Marktplatz und bei den verschiedenen eRx-Kooperationen bei elektronischen Rezepten keinen Bonus auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu geben. Das war uns sehr wichtig, weil es keine ungleichen Wettbewerbsbedingungen geben darf. Wir sind uns mit Zur Rose einig: Auch in Zukunft brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Apotheken, die eine schnelle Versorgung vor Ort sicherstellen.
PZ: Eine Abrechnung der Teleclinic-Rezepte über die Krankenkassen ist ja noch nicht möglich. Die Verordnungen werden derzeit also noch privat ausgestellt. Bislang hatten Sie eine Kooperation mit dem Apotheken-Dienstleister apotheken.de. Über diese Kooperation konnten Kunden ihre privaten E-Rezepte an etwa 6000 Apotheken senden. Apotheken.de hat die Zusammenarbeit mit Ihnen sehr plötzlich nach der Übernahme beendet. Wie sehr wirkt sich das auf Ihr aktuelles Geschäft aus?
Jünger: Vor der Coronakrise gingen etwa sieben von zehn Rezepten in die Apotheke. Während der Corona-Maßnahmen lag der Versandanteil zwar kurzzeitig bei 50 Prozent, danach wählten die Kunden aber wieder häufiger die Apotheken vor Ort aus. Aufgrund der letzten Entwicklungen bleibt für die Rezeptabwicklung derzeit nur die deutsche Versandapotheke Mache, die weiterhin mit uns zusammenarbeitet. Aber wir arbeiten bereits an neuen Lösungen.
PZ: An welchen denn?
Jünger: Wir stellen derzeit eine neue Möglichkeit der Rezeptweiterleitung auf die Beine. Die Patienten können sich dann wieder eine Vor-Ort-Apotheke aussuchen. Der Apothekeninhaber erhält dann per Mail eine Benachrichtigung, dass ein Teleclinic-Patient sein Rezept, das eine qualifizierte ärztliche Signatur trägt, bei ihm einlösen möchte. Das ist für den Patienten aber auch für uns natürlich viel aufwändiger im Vergleich zu dem Mechanismus, den wir vorher mit unserem Kooperationspartner etabliert hatten.
Jünger: Wie gesagt, das ist eine Übergangslösung. Außerdem ist es nach wie vor so, dass der Patient auf die Apotheke vor Ort bestehen kann. Nur müsste das Rezept dann per Post versendet werden. In jedem Fall entscheidet der Patient, was mit dem Rezept passiert und nicht wir.
PZ: Zurück zur Übernahme von Zur Rose. Sie kennen das sogenannte »Edikt von Salerno«? Wie stellen Sie sicher, dass die ärztliche Verordnung und die Abgabe in der Apotheke unabhängig voneinander funktionieren?
Jünger: Ganz einfach: Eine gegenseitige Beeinflussung ist rechtlich nicht zulässig. Teleclinic ist und bleibt neutral. Der Kunde wird immer entscheiden können, wo er seine Rezepte einlösen möchte. Genau aus diesem Grund haben wir auch beispielsweise mit Pharmafirmen oder Krankenversicherungen nicht verhandeln wollen. Im Übrigen möchte ich festhalten, dass auch das Pro-AvO-Bündnis sich gerade mit »Fernarzt« verbunden hat.
PZ: Für die Apotheker ist Zur Rose alles andere als »neutral«. Worauf basieren Ihre Hoffnungen, dass es im Markt überhaupt Apotheken geben wird, die mit Doc Morris und der Teleclinic zusammenarbeiten wollen?
Jünger: Ich bin mir sicher, dass es heute genügend Apotheken gibt, die die Zeichen der Zeit erkennen und neue Kooperationen zulassen. Für die Apotheker wird sich bald eine Weiche stellen: Entweder sie werden sich gegen digitale Versorgungsmodelle stemmen oder sie sind bereit, in innovativen Kooperationen mit anderen Partnern die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Es ist doch klar, dass mit dem E-Rezept eine Automatisierung bestimmter Prozesse einhergeht. Der Versandanteil wird steigen. Ich würde es begrüßen, wenn die Apotheker sich öffnen und sich diesem Wandel nicht entgegenstellen. Aber diese Haltung liegt nicht nur bei den Apothekern vor. Das haben wir auch im Übernahmeprozess gemerkt.
PZ: Wie meinen Sie das?
Jünger: In Deutschland ist die Bereitschaft weiterhin viel zu gering, in innovative Konzepte aus dem Bereich Digital Health zu investieren. Das liegt einerseits daran, dass es viel zu wenig Wagniskapital gibt. Andererseits schreckt der extrem regulierte deutsche Markt viele Investoren ab. Das liegt aber auch am »Mindset« vieler Marktteilnehmer, die sich vor Veränderungen noch zu sehr fürchten. Erst ab einer Größe, die wir mit der Teleclinic erreicht hatten, kommen dann strategische Investoren oder privates Beteiligungskapital (Private Equity) ins Spiel und damit wird die Finanzierung leichter.
PZ: Eine weitere Kritik aus dem Markt an den Online-Arztpraxen ist ja, dass es oftmals möglich ist, ein Rezept nur nach dem Ausfüllen eines Fragebogens zu erhalten. Ist das auch bei Ihnen so?
Jünger: Auch dies ist ein Vorurteil. Unsere Online-Beratungen sind inzwischen vollumfänglich über die GKV abrechenbar. Und da gilt für uns die Vorgabe, dass die Beratung GKV-Versicherter nur erfolgen darf, wenn ein Arzt per Video zugeschaltet wird. Sollte der Arzt einem GKV-Versicherten ein Arzneimittel verordnen wollen, muss er sich also vorher mit ihm per Video in Verbindung gesetzt haben. Bei Privatversicherten sind die Regelungen etwas anders. Hier gibt es beispielsweise bei der Ausstellung von Folgerezepten die Möglichkeit, einen Fragebogen auszufüllen. Aber auch hier erfolgt die Verordnung nur, wenn ein Arzt sich die Angaben des Patienten vorher angeschaut hat.
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