Früh erkennen, gezielt behandeln |
Annette Rößler |
14.01.2024 08:00 Uhr |
Feinmotorische Bewegungen fallen Patienten mit Parkinson im Verlauf der Erkrankung zunehmend schwerer. / Foto: Getty Images/Alex Potemkin
Die Parkinson-Krankheit oder auch Morbus Parkinson ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung, die nach dem Erstbeschreiber, einem Londoner Arzt namens James Parkinson (1755 bis 1824), benannt ist. Dieser veröffentlichte 1817 eine Arbeit unter dem Titel »An Essay on the Shaking Palsy« (»Eine Abhandlung über die Schüttellähmung«), in der er Symptome und Verlauf der Erkrankung sehr genau beschrieb. Parkinson vertrat darin nicht nur die Auffassung, dass Tremor und Bewegungsstörungen dieselbe Ursache haben, sondern sah diese zudem bereits in einer Erkrankung des Gehirns und nicht etwa der Muskeln.
Was James Parkinson ebenfalls bereits erkannte, ist, dass der von ihm beschriebenen Symptomatik eine lange Prodromalphase vorausgeht, in der andere Symptome wie Schlafstörungen auftreten können. Diese könne bis zu 20 Jahre dauern, hieß es im vergangenen November bei einer Pressekonferenz auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin, bei der die neue S2k-Leitlinie »Parkinson-Krankheit« vorgestellt wurde. Neben der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) waren weitere 18 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen am Konsensusprozess beteiligt, der von der DGN koordiniert wurde.
Laut der DGN ist die sporadische Parkinson-Krankheit (PK) eine Lewy-Körperchen-Krankheit, die zu einem Parkinson-Syndrom führt. Die bislang gängige Bezeichnung »idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)« soll möglichst nicht mehr verwendet werden, da es laut DGN »eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Fällen« gibt, die nicht idiopathisch sind. So seien mittlerweile bestimmte Mutationen bekannt, die das Erkrankungsrisiko drastisch erhöhen, und auch verschiedene Umweltfaktoren würden als treibende Faktoren diskutiert.
In Deutschland sind derzeit 250.000 bis 300.000 Menschen an Parkinson erkrankt. Der Erkrankungsgipfel liegt nach dem 60. Lebensjahr; nur selten (in etwa 8 Prozent der Fälle) treten erste Symptome bereits vor dem 40. Lebensjahr auf.
Was die Neurodegeneration in Gang setzt, ist zumeist unbekannt. Ein gestörter Abbau von fehlgefaltetem α-Synuclein in Lysosomen, aber auch eine Dysfunktion der Mitochondrien scheinen beteiligt zu sein. Die Genetik kann eine Rolle spielen, ist aber bei weniger als 10 Prozent der Patienten allein ursächlich. So erhöhen Mutationen im Glucocerebrosidase-Gen das Risiko, während Mutationen im α-Synuclein-Gen, beispielsweise PARK1, direkt krankheitsauslösend sein können. Genetische Befunde haben laut der Leitlinie derzeit noch keinen Einfluss auf die Therapie.
Die Fallzahlen steigen seit Jahren deutlich stärker, als es für die Alterserkrankung Parkinson infolge des demografischen Wandels zu erwarten wäre. Das gilt weniger für reiche Länder als vielmehr für Länder mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen und Bildungsstandard. Eine wahrscheinliche Erklärung hierfür sind laut der DGN bestimmte Schadstoffe und Umwelttoxine, die die Erkrankung zwar nicht direkt auslösen, aber das Risiko erhöhen können. Hierzu zählen unter anderem Lösungsmittel wie Trichlorethylen (TCE), Pestizide wie MPTP und Rotenon, aber auch Glyphosat, Schwermetalle wie Mangan, Blei und Quecksilber, Luftschadstoffe wie Feinstaub und Kohlenmonoxid sowie Weichmacher wie Bisphenol A. Der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson ist laut DGN mittlerweile so gut belegt, dass die Erkrankung in Frankreich bei Personen, die etwa in Weinbaugebieten beruflich gegenüber Pestiziden exponiert waren, als Berufskrankheit anerkannt ist.
Eine Parkinson-Symptomatik mit einer identifizierbaren, nicht genetischen Ursache wird als symptomatisches oder auch sekundäres Parkinson-Syndrom bezeichnet. Mögliche Auslöser sind unter anderem lysosomale Speicherkrankheiten, traumatische Gehirnverletzungen, Schlaganfall, Hirntumor oder Enzephalitis. Auch Arzneistoffe wie Chlorpromazin, Haloperidol und Metoclopramid, die antidopaminerg wirken, können ein sekundäres Parkinson-Syndrom auslösen (medikamenteninduzierter Parkinsonismus).
Lewy-Körperchen sind kleine, runde Proteinablagerungen im Zytoplasma von Nervenzellen. Bei Patienten mit PK bestehen sie aus verklumptem α-Synuclein. Dieses Protein ist normalerweise löslich, kommt vor allem in den Synapsen von Neuronen vor und ist wahrscheinlich an der Ausschüttung von Neurotransmittern beteiligt. Eine Fehlfaltung von α-Synuclein führt dazu, dass das Protein aggregiert. Es entstehen Lewy-Körperchen und die betroffenen Nervenzellen gehen zugrunde. Bei erblichen Formen der PK können die Lewy-Körperchen auch fehlen.
Bei der Parkinson-Krankheit sterben Neuronen ab, die von der Substantia nigra ins Corpus striatum reichen und dort Dopamin freisetzen. Die Substantia nigra ist ein Kernkomplex im Mittelhirn, der reich an Neuromelanin und dadurch dunkel gefärbt ist. Das Neuromelanin ist ein Nebenprodukt bei der Synthese von Dopamin. Die Substantia nigra enthält bei der Geburt etwa 400.000 Zellen, die im Laufe des Lebens nach und nach absterben. Beim gesunden Menschen gehen etwa 2400 dieser Neuronen pro Jahr verloren; bei Patienten mit Parkinson-Krankheit deutlich mehr.
Wenn mindestens die Hälfte der Neuronen abgestorben und der Dopamingehalt im Corpus striatum um mindestens zwei Drittel reduziert ist, kommt es zu den typischen Parkinson-Symptomen. Diese betreffen die Kontrolle von gezielten Bewegungen, weil das Corpus striatum eine wichtige Schaltstelle hierfür ist, und umfassen:
Typisch sind zudem eine Haltungsinstabilität mit erhöhter Sturzneigung, eine starre Mimik und ein kleinschrittiger Gang.
Die PK ist somit eine klinische Diagnose. Welche Kriterien erfüllt sein müssen, um sie zu stellen, hat die internationale Fachgesellschaft Movement Disorder Society (MDS) 2015 definiert. Demnach müssen eine Bradykinesie sowie Rigor und/oder Tremor vorliegen; zudem muss sich die Symptomatik bei Gabe von Levodopa bessern. Verlässliche Biomarker zur Diagnosestellung gibt es noch keine. Der Nachweis von fehlgefaltetem α-Synuclein im Liquor oder im Blut gelang zwar schon mit verschiedenen Tests, doch wurde deren Verlässlichkeit noch nicht in größeren Studien überprüft.
Bereits bei Diagnosestellung sollen neben den motorischen auch nicht motorische Symptome berücksichtigt werden. Diese kommen zustande, wenn neben Dopamin auch die Konzentration von anderen Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin oder Acetylcholin verändert ist. Möglich sind psychische und sensorische Veränderungen wie Depression, Kribbeln, Taubheit und Störungen des Schmerzempfindens sowie vegetative Symptome wie eine gestörte Blutdruck- und Wärmeregulation, Blasenentleerungsprobleme sowie eine beeinträchtigte Sexualfunktion.
Riechstörungen sind häufig ein Frühzeichen von Parkinson. Betroffene können bestimmte Gerüche nicht mehr erkennen oder unterscheiden. / Foto: Adobe Stock/Markus Schröder
In der ersten, präklinischen Phase der Erkrankung hat der neurodegenerative Prozess bereits begonnen, aber es treten noch keine spezifischen Symptome auf. Dagegen kommt es in der zweiten Phase zu Prodromalsymptomen, die bereits einen Hinweis auf die zugrunde liegende PK geben können. Besonders spezifisch sind dabei eine Geruchsstörung oder eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung, doch auch unspezifische Symptome wie Obstipation und Stimmungsschwankungen, Depression oder Reizbarkeit zählen dazu. Eine klinisch manifeste PK mit den typischen motorischen Symptomen ist schließlich die dritte Phase der Erkrankung.
Da die abgestorbenen Neuronen nicht wiederbelebt werden können, ist eine kausale Behandlung oder Heilung nicht möglich. Die Therapie zielt darauf ab, die Dopaminwirkung in den betroffenen Hirnarealen zu verstärken. Dies lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen:
Levodopa ist seit mehr als 30 Jahren die Standardtherapie bei PK, sollte aber nach Möglichkeit nicht gleich zu Beginn eingesetzt werden, da es zur Entwicklung von motorischen Komplikationen beiträgt. Begonnen wird die Therapie daher laut Leitlinie vor allem bei jüngeren Patienten bevorzugt mit einem Dopaminagonisten oder einem MAO-B-Hemmer als Monotherapie. Patienten, die von Anfang an Levodopa benötigen, sollten es aber laut Leitlinie auch erhalten.
Bei den Dopaminagonisten werden ergoline von nicht ergolinen Wirkstoffen unterschieden. Ergoline Substanzen haben als Grundstruktur Ergolin, einen stickstoffhaltigen Tetrazyklus, der typisch für die Mutterkornalkaloide ist. Ergoline Dopaminagonisten sind Bromocriptin, Cabergolin, Pergolid und Lisurid. Ihr Einsatz wird grundsätzlich nicht mehr empfohlen, da sie als Nebenwirkung eine Fibrose der Herzklappen verursachen können, die nicht reversibel ist.
Nicht ergoline Dopaminagonisten sind chemisch heterogen. Ihre Wirkung bei Parkinson beruht vor allem auf der Aktivierung von Dopamin-D2-Rezeptoren im Corpus striatum. Therapeutisch eingesetzt werden Pramipexol, Ropinirol, Piribedil und Rotigotin sowie Apomorphin, das jedoch nur zur subkutanen Injektion oder Infusion sowie als Sublingualfilm zur Verfügung steht und daher eine Sonderstellung einnimmt.
Laut Leitlinie lässt sich aus der Literatur keine eindeutige Empfehlung für einen der Wirkstoffe aufgrund überlegener Wirksamkeit ableiten, sodass praktische Überlegungen die Substanzauswahl steuern sollten. So sind Pramipexol und Ropinirol als Retardformulierungen und Rotigotin als transdermales Pflaster verfügbar, was jeweils eine einmal tägliche Anwendung ermöglicht. Ropinirol wird über CYP1A2 verstoffwechselt, sodass bei gleichzeitiger Gabe mit Induktoren oder Inhibitoren dieses Enzyms die Ropinirol-Dosis angepasst oder ein Wechsel auf einen anderen Dopaminagonisten erwogen werden sollte. Pramipexol wird größtenteils unverändert über die Niere ausgeschieden, was bei eingeschränkter Nierenfunktion nachteilig, bei Leberinsuffizienz aber vorteilhaft gegenüber anderen Dopaminagonisten sein kann.
Potenzielle Nebenwirkungen von Dopaminagonisten sind Impulskontrollstörungen und Halluzinationen. Sie können ein Absetzen erforderlich machen.
Dopamin ist auch der zentrale Neurotransmitter im Belohnungssystem des Gehirns. Dies ist wohl der Grund dafür, dass es bei einer medikamentösen Verstärkung der Dopaminwirkung durch Dopaminagonisten zu Impulskontrollstörungen (IKS) kommen kann.
Laut Leitlinie sind von IKS in Studien zwischen 14 und 18,5 Prozent der Parkinson-Patienten betroffen. Am häufigsten sind Spielsucht, pathologisches Kaufverhalten, Hypersexualität und Binge Eating. Die Störungen können zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung und auch erst deutlich nach dem Beginn einer Therapie mit einem Dopaminagonisten auftreten.
Ein Absetzen des Dopaminagonisten bessert die Symptomatik. Allerdings darf dies nicht schlagartig passieren, sondern die Dosis sollte schrittweise reduziert werden. Denn nicht wenige Patienten (15 bis 24 Prozent) entwickeln nach dem Absetzen ein Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS) mit Symptomen wie bei einem Entzug von Psychostimulanzien: Angst, Depression, Agitation, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Fatigue, Suchtverlangen, orthostatische Hypotension, Schwitzen, Hitzewallungen, Übelkeit, Schwindel und generalisierte Schmerzen. Da es keine spezifische Therapie gegen ein DAWS gibt, sollte bei schweren und anhaltenden Beschwerden erwogen werden, den Dopaminagonisten in einer niedrigen Dosis wieder einzusetzen.
Monoaminoxidasen (MAO-A und MAO-B) sind mitochondriale Enzyme, die Monoamine abbauen. Als Monoamine werden verschiedene Neurotransmitter und Neuromodulatoren bezeichnet, die als strukturelle Gemeinsamkeit eine Aminogruppe aufweisen, die über eine Ethylgruppe mit einem aromatischen Ring verknüpft ist. Zu den Monoaminen zählen neben Dopamin unter anderem Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin sowie das biogene Amin Tyramin. Letzteres ist vor allem in gelagerten und fermentierten Nahrungsmitteln wie reifem Käse, Rotwein oder Schokolade enthalten und wirkt als indirektes Sympathomimetikum.
Normalerweise wird Tyramin durch MAO in der Darmschleimhaut abgebaut, bevor es aufgenommen wird. Werden die MAO durch nicht selektive Inhibitoren blockiert, kommt es nach dem Verzehr von tyraminreichen Nahrungsmitteln zu einem Blutdruckanstieg (Tyramin- oder auch Käseeffekt). Um das zu vermeiden, werden bei Parkinson-Patienten Wirkstoffe eingesetzt, die selektiv die MAO-B hemmen, nämlich Rasagilin, Selegilin und Safinamid. Sie führen zu einem Anstieg des Dopaminspiegels im Corpus striatum, haben in zugelassenen Dosierungen aber keinen Tyramineffekt.
Verglichen mit Levodopa sind MAO-B-Hemmer weniger stark wirksam. Eine Monotherapie mit einem MAO-B-Hemmer zu beginnen, ist deshalb nur ratsam, wenn die Symptomatik noch nicht zu stark ausgeprägt ist. In diesen Fällen ist es aber eine gute Option, denn es gibt Hinweise darauf, dass MAO-B-Hemmer das Fortschreiten der Erkrankung verzögern könnten.
Für die Monotherapie sowie bei Wirkfluktuationen unter Levodopa in Kombination mit diesem sind Rasagilin und Selegilin zugelassen. Safinamid hemmt nicht nur MAO-B, sondern auch spannungsabhängige Natrium- und Calciumkanäle und hat zudem antiglutamaterge Effekte. Es ist nur für Patienten im mittleren bis späten Stadium der PK zugelassen und kommt dann in Kombination mit Levodopa bei Wirkfluktuationen zum Einsatz.
Levodopa (L-3,4-Dihydroxyphenylalanin oder auch L-Dopa) ist eine Vorstufe von Dopamin, die im Gegensatz zu diesem die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Im ZNS wird Levodopa durch enzymatische Decarboxylierung in Dopamin umgewandelt. Der Abbau findet jedoch auch in der Peripherie statt, sodass nur ein Bruchteil der peroral verabreichten Levodopa-Menge das ZNS erreicht.
Levodopa wird daher bei oraler Gabe immer fix mit einem der beiden peripher wirksamen Dopa-Decarboxylase-Hemmer (DDI) Carbidopa oder Benserazid kombiniert. Laut Leitlinie sind beide als gleichwertig anzusehen, da es keine vergleichenden Studien gibt.
Beweglichkeit, Koordination und Gleichgewicht zu trainieren, ist ein wichtiges Ziel der Physiotherapie bei Parkinson-Krankheit. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Levodopa wird nach oraler Gabe rasch resorbiert und auch rasch wieder ausgeschieden (Eliminationshalbwertszeit 0,6 bis 1,3 Stunden). Das Ausmaß der Resorption hängt davon ab, ob im Darm die Transportersysteme für neutrale Aminosäuren frei sind oder nicht. Eiweißreiche Nahrung behindert die Aufnahme von Levodopa in den Körper. Unretardierte Präparate mit Levodopa plus DDI werden daher in der Regel auf mehrere Gaben über den Tag verteilt und müssen im zeitlichen Abstand zu eiweißreichen Mahlzeiten eingenommen werden. Auch Levodopa in retardierten Darreichungsformen interagiert mit der Nahrung, weshalb deren Anwendung in der Leitlinie nicht für tagsüber, sondern lediglich während der Nacht empfohlen wird.
Nach mehrjähriger Levodopa-Therapie nimmt die Wirkung bei den meisten Patienten ab: Die Symptome verstärken sich gegen Ende eines Dosisintervalls, wenn der Levodopa-Spiegel sinkt (Wearing-off- oder End-of-Dose-Akinesie). Auch kommt es zu sogenannten motorischen Fluktuationen, in denen sich Zeiträume mit guter Wirksamkeit (On-Phasen) mit Intervallen mit unzureichender Symptomkontrolle abwechseln (Off-Phasen). Dies geschieht zunehmend häufiger und unvorhersehbarer. Hinzu kommen Dyskinesien zum Zeitpunkt der maximalen Levodopa-Wirkung: unwillkürliche Bewegungen von Gesicht, Rumpf und Extremitäten.
Um Off-Phasen zu kupieren, steht Levodopa auch in inhalativen Formulierungen zur Verfügung. Da diese keinen DDI enthalten, dürfen sie nur bei Patienten angewendet werden, die auch orale Darreichungsformen mit Levodopa plus DDI einnehmen.
Die anfängliche Monotherapie soll von einer Kombinationstherapie abgelöst werden, wenn die Wirksamkeit bei mittlerer Erhaltungsdosis unzureichend ist oder so gravierende Nebenwirkungen auftreten, dass eine für die Symptomkontrolle notwendige Dosierung nicht erreicht werden kann. Hatte der Patient zunächst einen MAO-B-Hemmer erhalten, sollten bevorzugt ein Dopaminagonist oder Levodopa hinzugegeben werden. War er zunächst auf einen Dopaminagonisten eingestellt, sollte eine Kombination mit Levodopa erfolgen. Bei einer anfänglichen Levodopa-Monotherapie sollte zusätzlich ein Dopaminagonist gegeben werden.
Eine weitere Substanzklasse, deren Hinzunahme zu einer Levodopa-Therapie insbesondere bei Fluktuationen empfohlen wird, sind Hemmstoffe der Catechol-O-Methyl-Transferase (COMT). Dieses Enzym O-methyliert Levodopa, Dopamin und andere Catecholamine und leitet so deren Abbau ein.
Verfügbare COMT-Hemmer sind Opicapon, Entacapon und Tolcapon. Laut Leitlinie sind alle COMT-Hemmer wirksam zur Reduzierung der Off-Zeit bei Patienten mit Fluktuationen. Opicapon und Entacapon sollen aber bevorzugt werden, weil Tolcapon potenziell lebertoxisch ist und ein engmaschiges Sicherheitsmonitoring erfordert.
Entacapon wird bis zu zehnmal täglich zu jeder Levodopa-Einnahme dazugegeben. Opicapon wird nur einmal am Tag gegeben, und zwar mindestens eine Stunde vor oder nach Levodopa. Somit erfordert der Einsatz von Opicapon einen zusätzlichen Einnahmezeitpunkt, was nachteilig sein kann. Tolcapon wird bis zu dreimal täglich gegeben.
Wirkstoff(e)/Darreichungsform | Einzeldosis [mg]* | Faktor** |
---|---|---|
Levodopa | ||
Levodopa | 100 | 1 |
retardiertes Levodopa | 133 | 0,75 |
Levodopa/Carbidopa-Intestinalgel | 90 | 1,11 (Morgen- und Erhaltungsdosis) |
Levodopa/Carbidopa/Entacapon-Intestinalgel |
90 70 |
1,11 (Morgendosis) 1,46 (Erhaltungsdosis) |
Foslevodopa/Foscarbidopa-Infusionslösung (s.c.) | 141 | 0,71 |
COMT-Hemmer*** | ||
Entacapon | (LD x 0,33) + LD | |
Tolcapon | (LD x 0,5) + LD | |
Opicapon | (LD x 0,5) + LD | |
Dopaminagonisten | ||
Pramipexol**** | 1 | 100 |
Ropinirol | 5 | 20 |
Rotigotin | 3,3 | 30 |
Piribedil | 100 | 1 |
Apomorphin (s.c.) | 10 | 10 |
MAO-B-Hemmer | ||
Selegilin (oral) Selegilin (sublingual) |
10 1,25 |
10 80 |
Rasagilin | 1 | 100 |
Safinamid | 100 bis 150 | 0,66 bis 1 |
Andere | ||
Amantadin | 100 | 1 |
*) entspricht 100 mg Levodopa
**) Faktor, mit dem die Dosis des Wirkstoffs multipliziert werden muss, um die Äquivalenzdosis an nicht retardiertem Levodopa zu berechnen
***) COMT-Hemmer werden meistens mit Levodopa (LD) kombiniert. Ihre Äquivalenzdosis errechnet sich, indem man die Levodopa-Gesamtdosis (retardiert und nicht retardiert) mit dem entsprechenden Wert multipliziert und zur Levodopa-Gesamtdosis addiert
****) bezogen auf das Salz (Pramipexoldihydrochlorid-1-Wasser)
Weitere Abschnitte der Leitlinie betreffen spezielle Therapiesituationen. So wird Amantadin zur Reduktion von Levodopa-induzierten Dyskinesien empfohlen, wobei die anticholinergen und halluzinogenen Nebenwirkungen des NMDA-Rezeptor-Antagonisten zu beachten sind. Als Monotherapeutikum in der frühen PK soll Amantadin nicht eingesetzt werden.
Die Anticholinergika Biperiden, Bornaprin, Metixen und Trihexyphenidyl sollen, obwohl sie bei Parkinson zugelassen sind, laut der Leitlinie nicht mehr eingesetzt werden, weil sie verglichen mit Therapiealternativen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Profil aufweisen. Nur noch in absoluten Ausnahmefällen kann die Gabe eines Anticholinergikums bei anderweitig nicht behandelbarem Tremor erwogen werden.
Prinzipiell empfiehlt die Leitlinie, die medikamentöse Einstellung des Patienten anhand der Symptome Akinesie und Rigor vorzunehmen, da der Tremor sich dann meist auch bessert. Bei fortbestehendem Tremor ist eine Erhöhung der Levodopa-Dosis zu erwägen, wobei hierbei das Risiko motorischer Komplikationen beachtet werden muss. Auch Betablocker kommen für die Therapie von PK-bedingtem Tremor in Betracht; dies ist allerdings eine Off-Label-Anwendung.
Als belastende Begleiterscheinungen der Parkinson-Krankheit beziehungsweise der Therapie können vielfältige Probleme den Patienten plagen, darunter Schmerzen, Blasenfunktionsstörungen, erektile Dysfunktion, Obstipation, orthostatische Hypotonie, Schlafstörungen wie Restless-Legs-Syndrom, schlafbezogene Atmungsstörungen, aber auch zirkadiane Rhythmusstörungen, affektive Störungen wie Depression, Angst oder Fatigue, Impulskontrollstörungen, Psychose, Delir sowie Sprech- und Schluckstörungen. Die Leitlinie gibt hier jeweils spezifische Empfehlungen oder verweist auf andere Leitlinien, die das jeweilige Symptom betreffen.
Zudem geht die PK häufig auch mit einer Abnahme der Kognition einher. Bei bis zu einem Drittel der Patienten (19 bis 36 Prozent) liege bereits zum Zeitpunkt der klinischen Diagnosestellung eine leichte kognitive Störung (Parkinson’s Disease with Mild Cognitive Impairment, PD-MCI) vor. Nach einer Krankheitsdauer von mehr als 12 bis 15 Jahren habe mehr als die Hälfte der Patienten eine Demenz entwickelt, heißt es in der Leitlinie.
Auf das frühzeitige Erkennen von kognitiven Problemen der Patienten sei besonderes Augenmerk zu richten. Für Patienten mit PD-MCI wird kognitives Training sowie zwei- bis dreimal pro Woche 45 bis 60 Minuten aerobes Ausdauertraining empfohlen. Das Antidementivum Rivastigmin soll erst bei Parkinson-Demenz angewendet werden. Donepezil ist – im Off-Label-Gebrauch – eine mögliche Alternative, während von der Anwendung von Galantamin abgeraten wird.
Selbstständiges Autofahren hat für viele Menschen einen sehr hohen Stellenwert. Dies ist häufig auch Patienten mit PK möglich, obwohl sie bereits in frühen und mittleren Stadien der Erkrankung im Durchschnitt unsicherer fahren als gesunde Gleichaltrige. Der behandelnde Arzt muss die Frage nach der Fahrtüchtigkeit gegenüber dem Patienten thematisieren und diesen auch regelmäßig entsprechend untersuchen. Berufsfahrer, zum Beispiel von Bus, Taxi oder Lkw, müssen ihren Beruf in der Regel ab Diagnosestellung aufgeben.
Erstmals findet sich in der Leitlinie auch ein Kapitel zur Therapie in Schwangerschaft und Stillzeit. Mit begrenzten Erfahrungen wird Levodopa, gegebenenfalls kombiniert mit Carbidopa, bei Schwangeren empfohlen, während von Dopaminagonisten und MAO-B-Hemmern abgeraten wird. Eine strikte Kontraindikation in der Schwangerschaft besteht für Amantadin und Benserazid. Frauen sollten unter einer medikamentösen Therapie nicht stillen.
Sind die Möglichkeiten der oralen Pharmakotherapie ausgeschöpft, stehen verschiedene invasive Optionen zur Verfügung. In der Leitlinie wird betont, dass Patienten spätestens beim Auftreten erster Fluktuationen über diese Möglichkeiten aufgeklärt werden sollten, um gemeinsam mit ihrem Arzt den weiteren Verlauf der Therapie zu planen. Ernsthaft zu erwägen ist eine invasive Therapie dann, wenn pro Tag mindestens fünf Einnahmezeitpunkte von Levodopa erforderlich sind, die Off-Phasen sich auf mindestens zwei Stunden pro Tag addieren oder störende Dyskinesien auf mindestens eine Stunde pro Tag.
So kann dem Patienten über eine Arzneistoffpumpe subkutan kontinuierlich Apomorphin verabreicht werden. Dies ist insbesondere zur Reduktion von Off-Phasen und bei Dyskinesien empfehlenswert. Die benötigte Dosis ist individuell unterschiedlich; üblich sind Tagesdosen von 20 bis 40 mg.
Koordinationstraining und soziale Interaktion: Tischtennis ist als Sportart für Parkinson-Patienten besonders gut geeignet. / Foto: Getty Images/zeljkosantrac
Auch ist es möglich, Levodopa kontinuierlich über eine Sonde in den Dünndarm zu verabreichen und so motorische Fluktuationen zu reduzieren, die mit einer oralen Therapie nicht (mehr) in den Griff zu bekommen sind. Für diese Anwendung stehen ein Levodopa/Carbidopa-Intestinalgel (LCIG, Duodopa®) und ein Levodopa/Entacapon/Carbidopa-Intestinalgel (LECI, Lecigon®) zur Verfügung. Großer Vorteil der Intestinalgele sind die konstanten Wirkspiegel, die mit ihnen erreicht werden; nachteilig ist, dass dafür eine Jejunalsonde gelegt werden muss.
Diesbezüglich stellt die seit Kurzem erhältliche Produodopa®-Infusionslösung eine Weiterentwicklung dar. Enthalten sind Levodopa-Monophosphat (Foslevodopa) und Carbidopa-Monophosphat (Foscarbidopa) im Verhältnis 20:1. Die Phosphatierung erhöht die Löslichkeit der beiden Wirkstoffe; im Körper wird jeweils das Monophosphat abgespalten. Produodopa ist zur kontinuierlichen subkutanen Infusion bestimmt. Hersteller Abbvie betont den Vorteil, dass damit keine Operation zum Legen der Dünndarmsonde mehr nötig ist.
Ein etabliertes Verfahren ist auch die tiefe Hirnstimulation (THS). Dabei werden eine oder zwei dünne Elektroden in einer Operation im Gehirn platziert, die über feine, unter der Haut liegende Kabel mit einem sogenannten Hirnschrittmacher verbunden sind. Dies ist ein Gerät, das regelmäßig schwache elektrische Impulse an die Elektroden aussendet und zumeist unter der Haut am Schlüsselbein des Patienten platziert wird. Welche Zielregion im Gehirn am besten geeignet ist, um die Symptome des Patienten zu lindern, ist individuell unterschiedlich.
Pro Jahr erhalten in Deutschland einige Hundert Parkinson-Patienten einen Hirnschrittmacher. Es gibt keine Altersgrenze; der Gesundheitszustand des Patienten sollte aber so gut sein, dass er den Eingriff voraussichtlich gut übersteht. Laut der DGN gibt es inzwischen Erfahrungen, dass ein Hirnschrittmacher bis zu elf Jahre gegen motorische Symptome wirksam ist, aber die Entwicklung einer Demenz nicht hinauszögern kann.
Kommen eine Pumpentherapie oder eine THS nicht infrage, kann bei schwer zu kontrollierenden Wirkfluktuationen eine bestimmte Hirnregion – nämlich der Globus pallidus, der an der Bewegungskontrolle beteiligt ist – operativ zerstört werden (Pallidotomie). Dabei werden radiochirurgische Verfahren (Gamma-Knife oder auch Cyber-Knife) wegen des hohen Komplikationsrisikos nicht mehr empfohlen. Ein relativ neues ablatives Verfahren, das keine Operation erfordert, ist der MRT-gesteuerte fokussierte Ultraschall (MRgFUS). Es scheint laut Leitlinie vor allem bei Tremor sehr gut wirksam zu sein, soll aber vorerst nur in Studien angewendet werden.
Als unterstützende Ansätze, die Patienten bei der Bewältigung ihres Alltags helfen können, werden schließlich auch Physiotherapie, Ergotherapie und künstlerische Therapien genannt. Letztere können etwa Tanztherapie, Tai-Chi oder musikunterstütztes rhythmisches Gangtraining umfassen. Sie können Patienten helfen, die Bewegungssteifigkeit zu überwinden und ihre Lebensqualität verbessern.
Annette Rößler studierte Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und erhielt 2002 die Approbation als Apothekerin. Sie arbeitete mehrere Jahre in Krankenhaus- und verschiedenen öffentlichen Apotheken in Schweden und Deutschland. Nach Volontariat bei der Springer-Medizin-Verlagsgruppe und Tätigkeit als Redakteurin im Newsroom der Ärzte Zeitung wechselte sie 2011 in das Berliner Büro der Pharmazeutischen Zeitung.