Europa im Epizentrum der Pandemie |
Das derzeitige Tempo der Virus-Übertragungen in den 53 Ländern der WHO-Region Europa ist laut dem Regionaldirektor Hans Kluge besorgniserregend. / Foto: Adobe Stock/Bojanikus
»Wir befinden uns an einem weiteren kritischen Punkt des Wiederauflebens der Pandemie«, sagte der Regionaldirektor der WHO Europa, Hans Kluge, am Donnerstag auf einer online übertragenen Pressekonferenz. Das derzeitige Tempo der Virusübertragungen in den 53 Ländern der WHO-Region Europa sei sehr besorgniserregend. Es sei nicht die Zeit für Selbstgefälligkeit.
Im Laufe der vergangenen vier Wochen habe Europa einen Anstieg der Neuinfektionszahlen um mehr als 55 Prozent gesehen, sagte Kluge. In der vergangenen Woche seien 59 Prozent aller weltweit nachgewiesenen Coronainfektionen und 48 Prozent aller damit in Verbindung stehenden Todesfälle auf die Region entfallen. Für die Zunahme gebe es zwei Gründe: unzureichende Impfzahlen sowie die Lockerung von Corona-Beschränkungen. »Europa ist zurück im Epizentrum der Pandemie, wo wir schon vor einem Jahr waren«, sagte Kluge. Der Unterschied sei heute jedoch, dass man nun mehr Werkzeuge und Mittel zur Verfügung habe, um den Schaden für Gemeinschaften und die Gesellschaft zu mildern und zu verringern. Zu diesen Werkzeugen zählte Kluge in erster Linie die Impfstoffe gegen Covid-19.
»Die Impfstoffe retten weiterhin Tausende und Tausende Leben.« Die Länder in Europa und Zentralasien befänden sich in ihren Impfkampagnen jedoch in unterschiedlichen Phasen: Durchschnittlich nur 47 Prozent der Menschen in der Region seien bislang vollständig geimpft – und während acht Länder auf über 70 Prozent kämen, liege die Quote in zwei anderen bei unter 10 Prozent. Die in Kopenhagen ansässige WHO Europa zählt 53 Länder zur europäischen Region. Darunter sind neben der EU auch östlichere Teile des Kontinents wie Russland, die Ukraine und die Türkei.
In Deutschland hat die vierte Coronawelle bisher nicht gekannte Höhen erreicht: Die Gesundheitsämter meldeten einen Rekordwert von 33.949 Neuinfektionen binnen eines Tages – so viele wie bisher noch nie im Verlauf der Pandemie. Das gab das Robert-Koch-Institut (RKI) am Donnerstag bekannt. Es blieb vorerst offen,
inwiefern der Feiertag Allerheiligen eine Rolle bei der Erfassung spielte. Der bisherige Rekord lag bei 33.777 Fällen am 18. Dezember 2020.
Bundesweit stieg die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen laut RKI auf 154,5. Damit hat sich der Wert innerhalb von 16 Tagen in etwa verdoppelt. Es gibt aber regionale Unterschiede: In Sachsen und Thüringen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz über 330, in Schleswig-Holstein und im Saarland unter 80. Fachleute weisen darauf hin, dass angesichts von rund zwei Drittel vollständig geimpften Einwohnern das Gesundheitssystem mehr Infektionen bewältigen kann. Denn Geimpfte habe seltener schwere Symptome, wenn sie sich anstecken. Die Zahl der Coronapatienten auf Intensivstation stieg schon auf über 2200. Bisheriger Höchststand waren mehr als 5700 im Januar.
Experten sehen verschiedene Gründe für mehr Ansteckungen. So gibt es akut weniger Beschränkungen im öffentlichen Leben: Schulen und Kitas sind geöffnet, private Zusammenkünfte und auch größere Veranstaltungen sind möglich. Zudem verlagert sich das Leben in der kälteren Jahreszeit wieder mehr nach drinnen, wo die Infektionsgefahr durch die dominierende, ansteckendere Delta-Variante größer ist. Zudem schwächt sich der Immunschutz nach einigen Monaten ab. Geimpfte sind dann anfälliger für eine Infektion, auch wenn sie weiterhin gut vor einem schweren Verlauf geschützt sind.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.