Erkrankungen im Wochenbett |
Bis zu 70 Prozent aller Mütter erleben in den ersten Tagen nach der Geburt den »Babyblues« (»Heultage«). Typisch sind emotionale Labilität, Müdigkeit und Reizbarkeit, ausgelöst durch den hormonellen Umstellungsprozess und den Schlafmangel. Diese Phase ist selbstlimitierend und klingt innerhalb von zehn Tagen ohne therapeutische Maßnahmen ab. Ein Gespräch mit einer einfühlsamen Bezugsperson wie der Hebamme oder einer erfahrenen Freundin kann helfen, gerade bei traumatisch empfundenen Geburten.
Im Gegensatz dazu ist die postpartale Depression eine klinisch relevante psychische Erkrankung, die bei etwa 10 bis 15 Prozent der Wöchnerinnen auftritt. Sie erfordert eine differenzierte Diagnostik, interdisziplinäre Betreuung und psychotherapeutische und/oder pharmakologische Therapie.
Die Apothekenteams können durch einfühlsame Gesprächsführung und niedrigschwellige Beratungsangebote einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung und Unterstützung psychisch belasteter Mütter leisten. Bereits ein Nachfragen zur emotionalen Verfassung (»Wie geht es Ihnen in der neuen Situation?«) kann erste Hinweise auf eine postpartale Belastung geben.
Ein weiterer Aspekt ist die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen. Die Frau muss wissen, dass ihre Beschwerden kein Ausdruck von mangelnder Leistungsfähigkeit oder Schwäche sind. Gute Beratung und Informationsmaterial in der Offizin können Frauen ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich hilft es, auf Unterstützungsangebote hinzuweisen, etwa auf Stillberatungen, Hebammen, Schreibaby-Ambulanzen, Selbsthilfegruppen oder Notfallkontakte.
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Die Symptome sind oft nur unterschwellig und können durch gesellschaftliche Erwartungen oder Scham kaschiert sein:
Wiederholte Aussagen wie »Ich schaffe das alles nicht« oder »Ich habe keine Verbindung zu meinem Baby« können auf eine behandlungsbedürftige postpartale Depression hinweisen. Auch Risikofaktoren sind zu beachten:
Bei Verdacht auf eine Depression sollte die Apotheke die Frau unbedingt zur Abklärung motivieren und an Frauenarzt und Hebamme verweisen. Diese nutzen häufig standardisierte Fragebögen wie die Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) zur Früherkennung. Je früher die Depression erkannt wird, desto schneller kann die Therapie beginnen.
Als Mittel der ersten Wahl wird die Psychotherapie, zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie, bei leichter bis mittelgradiger Symptomatik angewendet. Antidepressiva kommen erst bei schwererer Symptomatik zum Einsatz.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind die Mittel der Wahl. Sertralin oder Escitalopram sind die bevorzugten Arzneistoffe, denn es gibt eine gute Datenlage und es gehen nur geringe Konzentrationen in die Muttermilch über. Paroxetin ist ebenfalls geeignet, hat jedoch zusätzlich ein sedierendes Potenzial. Fluoxetin hat eine längere Halbwertszeit und führt beim Stillen zu potenziell höheren Wirkspiegeln beim Säugling. Deshalb sollte es nur verwendet werden, wenn die Frau nicht stillt.