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Blutarmut

Eisenmangel unterdrückt Bildung wichtiger Immunzellen

Bei Eisenmangel geht nicht nur die Zahl der roten Blutkörperchen, sondern auch der bestimmter Immunzellen, den neutrophilen Granulozyten, zurück. Das zeigen Studien, die jetzt im Journal »Science Advances« erschienen sind.
PZ
06.10.2022  18:00 Uhr

Der Eisenstoffwechsel im Körper ist komplex reguliert. Die Eisenversorgung der Zellen wird dabei von den beiden Proteinen IRP-1 und IRP-2 gesteuert. Fehlt es der Zelle an Eisen, so kurbeln IRP-1 und IRP-2 die Produktion der verschiedenen Eisentransporter-Proteine an, die Eisen in die Zelle aufnehmen. IRP-1 und IRP-2 sorgen ebenfalls dafür, dass es nicht zu einem ebenso gefährlichen Eisen-Überschuss kommt.

Die beiden Proteine sind lebenswichtig: Mäuse, denen sie während der Embryonalentwicklung fehlen, sterben noch im Mutterleib. Doch was passiert, wenn bei erwachsenen Mäusen IRP-1 und IRP-2 ausfallen? Ein Team um Dr. Bruno Galy am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat dies nun an Mäusen untersucht, deren IRP-Produktion im gesamten Körper durch die Injektion eines Wirkstoffs abgeschaltet werden kann. Wie erwartet trat ein ausgeprägter Rückgang der roten Blutkörperchen auf, die außerdem aufgrund des Hämoglobin-Mangels nur ein Miniaturformat erreichten. Das berichten die Forschenden um Galy in »Science Advances«.

Überrascht war das Team jedoch darüber, dass auch die Zahl der weißen Blutkörperchen extrem zurückging, wobei dies hauptsächlich einem Mangel an neutrophilen Granulozyten geschuldet war. Diese auch als Neutrophile bezeichneten Immunzellen machen beim Menschen bis zu zwei Drittel der weißen Blutkörperchen aus und sind wichtiger Bestandteil der angeborenen Immunabwehr. Der Grund für den Rückgang ist eine Entwicklungsblockade im blutbildenden System: Die Vorläuferzellen im Knochenmark entwickeln sich nicht mehr zu reifen Neutrophilen, da der Differenzierungsprozess eisenabhängig ist. Andere weiße Blutkörperchen, etwa die Monozyten, waren nicht von der IRP-abhängigen Entwicklungsblockade betroffen.

Eisenmangel als zweischneidiges Schwert

»Diese starke Eisen-Abhängigkeit der Granulozyten-Differenzierung war bislang unbekannt und könnte sich auch auf die Immunabwehr von bakteriellen Krankheitserregern auswirken«, sagt Studienleiter Galy in einer Pressemitteilung des DKFZ. Interessanterweise ist Eisenmangel eine bekannte Verteidigungsstrategie des Körpers bei bakteriellen Infekten: Viele Krankheitserreger sind abhängig von Eisen. Um ihre Vermehrung zu bremsen, hortet der Körper das Spurenelement in bestimmten Zellen, die als Vorratskammer dienen. So erschwert er den Erregern den Zugriff auf die wertvolle Ressource.

Tatsächlich konnte Galy und sein Team in einer weiteren Publikation in der gleichen Ausgabe des Journals die Vermutung bestätigen: Eisenmangel im Blutserum, wie er typischerweise bei Infektionen auftritt, führt bei Mäusen zu einem Rückgang der Neutrophilen und schränkt ihre Fähigkeit ein, Bakterien zu bekämpfen, zeigen die Autoren der Studie.

»An den Mäusen konnten wir beobachten, dass Eisenmangel offenbar das angeborene Immunsystem moduliert. Er unterdrückt die Granulozytenreifung und drosselt außerdem die Abwehrkraft der Neutrophilen«, sagt Galy. Ihm zufolge ist die Limitierung des verfügbaren Eisens somit ein zweischneidiges Schwert: Einerseits verhindert der Körper dadurch die Ausbreitung von Bakterien. Anderseits leidet darunter die Funktion eines wichtigen Arms des angeborenen Immunsystems.

Nicht nur Infektionen, sondern auch Entzündungen führen oft zu Eisenmangel und damit zu einer Anämie. Krebspatienten, deren Erkrankung mit chronisch-entzündlichen Veränderungen einhergeht, sind daher oft von Blutarmut betroffen, was ihre Lebensqualität stark einschränken kann. »Als Nächstes wollen wir klären, ob auch der Eisenmangel bei chronischen Entzündungen die Funktion der Immunabwehr beeinträchtigt«, erklärt Galy.

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