Eine Kulturgeschichte des Bluts |
Jennifer Evans |
06.02.2020 13:00 Uhr |
Vorhang auf: Mythen um den »ganz besonderen Saft« finden seit jeher Eingang in die bildende Kunst, Literatur und Theater. / Foto: Foto: Adobe Stock/Butch
»Blut ist ein ganz besonderer Saft«, sagte Goethes Mephisto zu Faust, den er den Pakt zum Seelenverkauf mit Blut besiegeln ließ. Diesem Satz stimmen Mediziner sicher zu, wenn auch aus anderen Gründen. In der Geschichte der Wissenschaft spielt Blut eine besondere Rolle, aber es zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Kulturgeschichte.
Der Saft des Lebens ist mit vielen Mythen und Symbolen behaftet, seine Bedeutung hat sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, wie die Kulturtheoretikerin Professor Dr. Christina von Braun sowie Dr. Anne Flörcken, Oberärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie an der Berliner Charité, darlegten. In den abendlichen Gesprächsrunden in der Komischen Oper Berlin, die gemeinsam mit der Schering Stiftung veranstaltet werden, treffen Experten aus Kunst und Wissenschaft aufeinander. Ganz so wie in den Salons des 19. Jahrhunderts, die als gesellschaftliche Treffpunkte für Musik, Literatur, Politik und Wissenschaft galten.
Wie sich die Vorstellungen rund um den Saft des Lebens im Laufe der Zeit verändert haben, machte von Braun am Beispiel der Blutsbande deutlich. Während dieser Begriff im Westen mit leiblicher Verwandtschaft gleichgesetzt wird, sehen viele Kulturen das anders. Weltweit definiert sogar die Mehrheit der Menschen Verwandtschaft auf Basis dessen, mit wem jemand zusammenlebt, seine Nahrung, Erinnerungen, Emotionen und Rituale teilt. Dieser Gedanke findet sich von Braun zufolge bereits in der ursprünglichen mittelhochdeutschen Bedeutung des Wortes Verwandtschaft »sich hinwenden« oder »sich zuwenden« wieder, in der die Beziehung zwischen den Menschen im Vordergrund steht und nicht, ob verwandtschaftliches Blut durch ihre Adern fließt.
Die Ansicht, dass Blut dicker als Wasser ist, sei eine Erfindung westlicher Gesellschaften und »kulturgeschichtlich betrachtet sehr jung«, betont Braun. Die leibliche Verwandtschaft sei ausschlaggebend für Macht- und Eigentumsfragen gewesen. Umso wichtiger zu Zeiten, als die biologische Vaterschaft noch auf Vermutungen beruhte. Erst seit der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks im Jahr 1984 ist ihr Nachweis sicher. In der Geschichte hätten daher Schriftstücke wie Urkunden, Stammbäume oder Eigentumsgesetze als Hilfskonstruktionen gedient, um die Verwandtschaft zu dokumentieren, so die Kulturtheoretikerin. »Rote Tinte« nennt sie diese Blutslinie, die ausschließlich auf Dokumenten beruht.
Zudem war »in den westlichen Religionen die geschriebene Sprache maßgebend, unter anderem weil in monotheistischen Kulturen Schrift mit Männlichkeit und Oralität mit Weiblichkeit gleichgesetzt wurde«. Indem die patrilineare Blutslinie an Legitimität verlor, kam es dann allmählich auch zur ökonomischen Gleichberechtigung der Frau, erwähnt die Wissenschaftlerin eine parallele Entwicklung in der Kulturgeschichte.