Eine Kulturgeschichte des Bluts |
Jennifer Evans |
06.02.2020 13:00 Uhr |
Weniger erfolgreich verlief eine Blutspende, die Papst Innozenz VIII. Ende des 15. Jahrhunderts auf seinem Sterbebett anordnete. Drei junge Männer sollten ihm ihr eigenes, »reines« Blut zum Trinken geben. Was diese nicht wussten: Um dem sterbenden Papst ihre volle Lebenskraft zu übertragen, blutete man sie völlig aus. Der Aderlass kostete sie das Leben und rette auch den Heiligen Vater nicht vor dem Tod. Als Therapieform hat sich der Aderlass aber bis ins 19. Jahrhundert gehalten.
Die Voraussetzungen für erfolgreiche Bluttransfusionen schaffte erst die Entdeckung des geschlossenen Blutkreislaufs Anfang des 17. Jahrhunderts sowie die der Blutgruppen im Jahr 1901. Dennoch ist die moderne Medizin in Sachen Bluttransfusion eher zurückhaltend.
Flörcken erläutert: »Weil das Blut eines Menschen so persönlich ist, kann man damit Schaden anrichten.« Zudem belaste man damit das bereits geschwächte Immunsystem eines kranken Empfängers zusätzlich mit den fremden Zellen. Zwar enthalte der rote Saft einige gemeinsame Merkmale, dennoch unterscheide er sich von Mensch zu Mensch sehr stark, etwa durch diverse Oberflächenantigene. Aber auch Geschlecht, Körpergröße und Lebensumfeld können unterschiedliche Zusammensetzungen des Bluts hervorrufen. Bergvölker beispielsweise wiesen unter anderem andere zelluläre Anteile sowie einen anderen Sauerstoffgehalt auf als Stadtmenschen, berichtet Flörcken. Die Wissenschaft verstehe derzeit lediglich Bruchteile davon, wie die Zellen im Blut interagierten.
Mit Blick auf die Kulturwissenschaft ist es Braun zufolge kein Zufall, dass Faust sein Dokument mit dem eigenen Blut unterschrieb. Es verlieh einem abstrakten Schriftstück »Realcharakter«. Der Gedanke, dass Wahrheit sichtbar sein muss, bestimmt auch die Medizin. »Dafür kommen heute immer mehr bildgebende Verfahren zum Einsatz«, erklärt von Braun. Einig sind sich die beiden Wissenschaftlerinnen darin, dass Blut seine Magie bis heute nicht verloren hat – wenn auch die Genomforschung zunehmend an seine Stelle tritt.