Doch gefährlicher als gedacht? |
| Theo Dingermann |
| 22.12.2020 14:58 Uhr |
In Großbritannien breitet sich eine besorgniserregende Variante (Variant of Concern) des SARS-Coronavirus-2 aus. / Foto: Fotolia/vetkit
Gestern klang noch alles sehr beruhigend. Am Morgen äußerte sich der deutsche Corona-Experte Professor Dr. Christian Drosten im Deutschlandfunk zu der neuen SARS-CoV-2-Variante B.1.1.7 noch eher zurückhaltend. Er sei durch die Berichte aus Großbritannien nicht übermäßig besorgt. Allerdings betonte er auch, dass diese Einschätzung auf vorläufigen Erkenntnissen fußten. Danach sollten die Mutationen dem Virus nicht zwingend einen Vorteil gegenüber anderen Varianten verschaffen.
Heute war der Ton dann schon deutlich anders. So schrieb der deutsche Corona-Experte: »Das sieht leider nicht gut aus.« Zu dieser Anpassung seiner Einschätzung hatte Drosten das Studium eines Forschungsberichts von »Public Health England« veranlasst. Demzufolge bereitet vor allem eine Mutation mit der Bezeichnung N501Y, die sich in der Rezeptorbindestelle des Spike-Proteins befindet, Sorgen. Sie könnte den Daten zufolge dafür sorgen, dass das Virus besser an Zielzellen andocken kann, und damit die Übertragbarkeit des Erregers erhöhen.
Durch die neue Variante, die nun den offiziellen Namen »Variant of Concern«(VOC)-202012/01 trägt, könnte sich dem Bericht zufolge der R-Wert um 0,5 bis 0,7 erhöhen. Der R-Wert gibt an, wieviele weitere Menschen ein Infizierter ansteckt. Legt man diese Annahme zugrunde, so bedeutet dies für die konkrete Situation in Deutschland, dass der wöchentliche Durchschnitt an täglichen Neuinfektionen von derzeit 25.000 um etwa 15.000 steigen könnte.
Träfe diese Annahme zu, wäre es noch einmal wichtiger, die nicht pharmakologischen Maßnahmen in Form der AHA+A+L-Regeln zu beachten. Dies bedeutet: Abstand halten, Händehygiene beachten, Alltagsmaske tragen, die Corona-App verwenden und regelmäßig lüften. Denn bei einer möglichst konsequenten Expositionsprophylaxe ist auch eine noch so ansteckende Mutante machtlos.
In der heutigen Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts (RKI) erklärte RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler, dass er noch keine Erkenntnisse darüber habe, dass die neue Virusvariante hierzulande bereits nachgewiesen sei. Er halte die Wahrscheinlichkeit jedoch für hoch, dass die Mutation bereits im Land sei. Allerdings könne man die Bedeutung der Variante für das Infektionsgeschehen noch nicht einschätzen. Aber gerade deshalb, so Wieler, sei die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln so wichtig, um einer möglichen Verbreitung vorzubeugen.
Eine wichtige Frage ist, ob der am Montag in der EU zugelassene Covid-19-Impfstoff seine Wirksamkeit behält. Dazu äußerte sich Biontech-Chef Ugur Sahin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, er gehe davon aus, dass der Corona-Impfstoff seines Unternehmens auch gegen die in Großbritannien aufgetauchte neue Mutante des Virus wirkt.
Diese Zuversicht leitet Sahin aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ab, die in seinem Unternehmen bisher gesammelt wurden. »Wir haben den Impfstoff bereits gegen circa 20 andere Virusvarianten mit anderen Mutationen getestet. Die Immunantwort, die durch unseren Impfstoff hervorgerufen wurde, hat stets alle Virusformen inaktiviert«, so Sahin.
Letztlich ist dies allerdings bisher noch nicht bewiesen. »Wir müssen das jetzt experimentell testen. Das wird etwa zwei Wochen in Anspruch nehmen. Wir sind aber zuversichtlich, dass der Wirkungsmechanismus dadurch nicht signifikant beeinträchtigt wird«, so der Mainzer Forscher.
Würde sich die optimistische Haltung des Biontech-Chefs nicht bewahrheiten, käme erstmals ein Vorteil der Plattformtechnologien bei der Herstellung moderner Impfstoffe zum Zuge. Laut Sahin wäre das Unternehmen prinzipiell binnen sechs Wochen in der Lage, einen neuen Impfstoff gegen die in Großbritannien aufgetauchte Mutation des Virus herzustellen. Es muss dabei lediglich eine veränderte mRNA verwendet werden. »Das ist aber eine rein technische Überlegung«, so Sahin.
Es gehe dabei nicht nur um technische Fragen, sondern auch darum, wie etwa die Zulassungsbehörden dieses Präparat bewerten würden. Es sei aber sehr wahrscheinlich, dass der bereits hergestellte Impfstoff auch gegen
die neue Variante wirke.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.