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Leitlinie zur Peri- und Postmenopause

Differenziert intervenieren, aber wie?

Anfang 2020 wurde die S3-Leitlinie »Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen« veröffentlicht, die auch für das Beratungsgespräch in der Apotheke wichtige Informationen enthält. Hier einige Aspekte.
Ulrike Viegener
08.04.2020  08:00 Uhr

Die Leitlinie wurde von den deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe gemeinsam erarbeitet. Weitere Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Pharmakologie sowie die Gesellschaft für Phytotherapie, waren eingebunden.

Die Autoren der Leitlinie unterstreichen den hohen Beratungsbedarf von Frauen, die über eine Prävention beziehunsgweise Therapie von Wechseljahresbeschwerden nachdenken. Am häufigsten klagen Frauen in diesem Lebensabschnitt über vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche. Streng genommen sei nur für diese Beschwerden ein kausaler Zusammenhang mit der veränderten hormonellen Situation in der Menopause gesichert, heißt es in der Leitlinie. Für andere typische Wechseljahresbeschwerden wie Stimmungsschwankungen gelte dies nicht. Für Schlafstörungen und Erschöpfung beispielsweise sei belegt, dass sie im Lauf des Erwachsenlebens stetig zunehmen, und auch so lasse sich ein gehäuftes Auftreten um die Menopause erklären.

Hitzewallungen erleben viele Frauen als sehr belastend. In einer der zitierten Studien hatten Frauen mehr als sieben Jahre lang häufig, das heißt »an mehr als sechs Tagen in den letzten zwei Wochen«, mit diesem Symptom zu kämpfen (»JAMA Internal Medicine« 2015, DOI: 10.1001/jamainternmed.2014.8063). Vor diesem Hintergrund empfehlen die Leitlinienautoren, stärker belasteten Frauen eine Hormonersatztherapie anzubieten. Für nicht hysterektomierte Frauen sei eine Estrogen-Gestagen-Therapie mit adäquatem Gestagen-Anteil am effektivsten, wobei die Gestagen-Gabe zyklisch oder kontinuierlich erfolgen könne. Die Frequenz von Hitzewallungen lasse sich so um 75 Prozent reduzieren.

Selektive Serotonin- beziehungsweise Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI beziehungsweise SNRI) sowie Clonidin und Gabapentin sind bei vasomotorischen Beschwerden keine Medikamente der ersten Wahl. Die Studienergebnisse zur Wirksamkeit sind widersprüchlich. Unter SSRI und SNRI wurden zudem hohe Abbruchraten wegen Nebenwirkungen beschrieben.

Nutzen von Phytoestrogenen

Wie sieht es mit phytotherapeutischen Optionen aus? Zur Wirksamkeit von Phytoestrogenen wird ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2013 angeführt, der 43 Studien mit insgesamt 4364 Probandinnen berücksichtigt (DOI: 10.1002/14651858.CD001395.pub4). In den berücksichtigten Untersuchungen musste die tägliche Menge an Isoflavonen mindestens 30 mg betragen, die Quellen umfassten Sojaprodukte, Sojaextrakte, Rotklee- und Hopfenextrakte sowie Genistein-Präparate. Laut dem Review zeigt das Isoflavon Genistein in einer Dosis von 30 bis 60 mg pro Tag die zuverlässigste Wirkung. Isoflavon-Gemische in einer Dosis von mindestens 30 mg pro Tag waren in manchen Studien wirksam, in anderen nicht.

Eine Netzwerkanalyse des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) kommt dennoch zu einem positiven Ergebnis und bescheinigt Isoflavonen einen signifikanten Effekt. Hitzewallungen scheinen abzunehmen, nächtliche Schweißausbrüche dagegen bessern sich offenbar unter Isoflavonen nicht. Auch die Wirksamkeit anderer Phytoestrogene wie Leinsamenextrakt, Equol und Rheum rhaponticum lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen.

Die Bewertung von Cimicifuga racemosa basiert maßgeblich auf einem Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 (DOI: 10.1002/14651858.CD007244.pub2). Die Wirksamkeit von Traubensilberkerze bei vasomotorischen Wechseljahresbeschwerden ist demnach nicht gesichert, weil es kaum methodisch überzeugende Studien gibt. Im Vergleich zu Placebo zeigen mehrere Studien zwar eine Tendenz zur Wirksamkeit, aber keine Signifikanz. Zu einem anders lautenden Ergebnis kommt auch hier die NICE-Netzwerkanalyse, die einen signifikanten therapeutischen Effekt von Cimicifuga bei Hitzewallungen als dokumentiert ansieht.

Die Autoren der Leitlinie konstatieren, dass die Therapiesicherheit vieler Cimicifuga-Präparate ungewiss sei. Es seien ungeprüfte oder gar gepanschte Präparate auf dem Markt, deren Anwendung mit Sicherheitsrisiken wie Arzneimittelinteraktionen verbunden sei. Es sei wichtig, Frauen über die vorhandenen Qualitätsunterschiede aufzuklären und ihnen Cimicifuga-Präparate mit gesicherter Qualität, also registrierte Arzneimittel, zu empfehlen. Unter dieser Voraussetzung könne die Verträglichkeit laut einer großen Metaanalyse als gut gelten. Der Verdacht auf Hepatotoxizität habe sich nicht bestätigt; Hinweise auf estrogenartige Effekte hätten sich ebenfalls nicht ergeben.

Kontroverse Ansichten zu Cimicifuga

Insgesamt kommt die Leitlinie für Cimicifuga-Präparate zu einer Bewertung mit einem Evidenzgrad 1b und einem Empfehlungsgrad 0. Dieser Bewertung stimmte die Gesellschaft für Phytotherapie (GPT) nicht zu und gab ein Sondervotum ab, das in die Leitlinie aufgenommen, von den anderen Autoren aber nicht abgesegnet wurde. Die GPT sieht den Nutzen von zugelassenen Cimicifuga-Arzneimitteln als erwiesen an und empfiehlt ausschließlich deren Anwendung. Isopropanolischen Cimicifuga-Arzneimitteln bescheinigt die GPT  den Empfehlungsgrad A und ethanolischen den Empfehlungsgrad B. Den Evidenzgrad gibt sie mit 1b beziehungsweise 2b an.

Bei Frauen mit Brustkrebs sind Estrogene, Gestagene, Tibolon und Phytoestrogene zur Behandlung der vasomotorischen Beschwerden kontraindiziert. Umstritten ist hier den Leitlinienautoren zufolge, ob die Wirkung von Cimicifuga über Estrogenrezeptoren erfolgt oder nicht. Als Wirkmechanismen würden eine den selektiven Estrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) ähnliche Wirkung sowie antioxidative, antiinflammatorische und serotonerge Effekte diskutiert. Früher noch vermutete estrogenartige Effekte an Brust und Gebärmutter könnten aufgrund aktueller klinischer und experimenteller Daten für Cimicifuga-Arzneimittel ausgeschlossen werden (»The Journal of Steroid Biochemistry and Molecular Biology« 2014, DOI: 10.1016/j.jsbmb.2013.02.007). Insbesondere seien weder eine erhöhte Brustgewebsdichte noch eine vermehrte Epithelzellproliferation festgestellt worden (»Menopause« 2007, DOI: 10.1097/01.gme.0000230346.20992.34).

Vaginale Anwendung von Estrogenen

Bei urogenitalen Wechseljahresbeschwerden ist eventuell die vaginale Estrogentherapie eine Option. Das betrifft die symptomatische urogenitale Atrophie, bei der die lokale Anwendung auch begleitend zu einer niedrig dosierten systemischen Hormontherapie sinnvoll sein kann. Auch bei Harninkontinenz ist die vaginale Estrogentherapie wirksam und sollte hier begleitend zum Beckenbodentraining angeboten werden. Eine systemische Hormonersatztherapie kann dagegen eine bestehende Harninkontinenz verstärken oder eine Inkontinenz überhaupt erst auslösen. Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten sehen die Leitlinienautoren eine weitere Indikation für eine vaginale Estrogentherapie, die vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention ausprobiert werden sollte.

Ob eine vaginale Estrogentherapie, die zu einem Anstieg systemisch wirksamer Hormonspiegel führen kann, mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden ist, lässt sich nicht sagen. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte die Dosierung möglichst niedrig sein. Bereits eine ultraniedrig dosierte vaginale Estrogentherapie mit 0,03 mg Estriol zwei- bis dreimal pro Woche führt zu guten Resultaten und sollte laut der Leitlinie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit einem Anstieg des Brustkrebsrisikos verbunden sein.

Umfassende Beratung gefordert

Systemische Hormonersatztherapien haben je nach Wirkkomponenten und Applikationsart unterschiedliche Risikoprofile. Diesem wichtigem Aspekt wird in den Leitlinien ein eigenes Kapitel gewidmet. Frauen müssen ausführlich über das Für und Wider einer systemischen Hormonanwendung beraten werden, wird wiederholt betont. Grundsätzlich sollten transdermale Systeme bevorzugt werden, da sie günstigere Nutzen-Risiko-Profile zu haben scheinen als die orale Darreichung. Große randomisierte Doppelblind-Studien, die verschiedene Hormonpräparate und Applikationsformen verglichen, lägen allerdings nicht vor, räumen die Leitlinienautoren ein.

Eine ausgewogene Nutzen-Risiko-Beratung im individuellen Fall ist angesichts der Fülle von Daten eine echte Herausforderung. Vor allem die Women´s Health Initiative hat für große Verunsicherung gesorgt und die Aufdeckung methodischer Mängel dieser Studie hat die Sachlage nicht einfacher gemacht. Das letzte Wort zu Nutzen beziehungsweise nachteiligen Effekten von Hormonersatztherapien ist definitiv noch nicht gesprochen. Auch das macht die neue Leitlinie klar.

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