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Desinformation

Die Tools der Leugner

Ob es der Klimawandel ist oder die Corona-Pandemie – Wissenschaftsleugnung gibt es immer wieder. Und sie funktioniert immer nach denselben Mechanismen, die unter dem Akronym PLURV zusammengefasst werden.
Theo Dingermann
06.04.2021  18:00 Uhr

Wer regelmäßig den NDR-Podcast »Das Coronavirus Update« verfolgt, der wurde in der letzten Folge am 30. März mit dem Akronym PLURV konfrontiert. In dieser 82. Folge stellte der Virologe Prof. Christian Drosten die PLURV-Methoden vor, nach denen Covid-Leugner oder Verharmloser ihre teils absurd irreführenden Informationen und Thesen verbreiten oder untermauern. Der Grund hierfür war die Beobachtung, dass sich die aktuellen Diskussionen immer weiter von den wissenschaftlichen Befunden entfernten, so Drosten. Die Fehlverwendung von wissenschaftlichen Argumenten in der politischen Debatte gehe fast in den Bereich von Wissenschaftsleugnung. »Die kennt man schon aus der Klimadebatte. Da tragen alle etwas bei. Die Medien haben einen großen Beitrag, die Politik hat einen großen Beitrag. Und dann gibt es gewisse soziale Gruppen, die so etwas befeuern«, sagte Drosten.

Die Grundprinzipien der Wissenschaftsleugnung werden unter PLURV zusammengefasst. Dies ist ein Akronym, das für die folgenden Begriffe steht:

  • P – Pseudoexperten
  • L – Logikfehler
  • U - Unerfüllbare Erwartungen
  • R – Rosinenpickerei
  • V – Verschwörungsmythen

P – Pseudoexperten

Irreführende Informationen können prinzipiell von jedem verbreitet werden. Besonders gefährlich sind diese Informationen, wenn sie von vermeintlichen Experten, die treffender als »Pseudoexperten« bezeichnet werden sollten, geäußert oder untermauert werden. Diese Pseudoexperten wirken auf den ersten Blick seriös und kompetent. Entweder handelt es sich um Gruppen, denen man Seriosität unterstellt, oder um Einzelpersonen, die meist einen Doktor- oder einen Professorentitel besitzen.

Drosten nennt hier als ein Beispiel das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) verfasste »Positionspapier von Wissenschaft und Ärzteschaft zur Strategieanpassung im Umgang mit der Pandemie«, in dem die Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktpersonennachverfolgung, die Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems, anhand dessen sowohl auf Bundes- als auch auf Kreisebene die aktuelle Lage auf einen Blick erkennbar wird, die Fokussierung der Ressourcen auf den spezifischen Schutz der Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben und eine Gebotskultur an Stelle einer Risikokommunikation gefordert wird. Zwar suggeriert diese Stellungnahme eine kompetente Basis, indem betont wird, dass sie von »Wissenschaftlern und Ärzten« verfasst wurde. Schaut man dagegen genauer hin, erkennt man augenblicklich, dass hier zwei genannte Virologen eine Meinung vertreten, die die große Mehrzahl der Experten in diesem Bereich als falsch oder nicht machbar ablehnt. Dies ist ein Problem der »false balance«, das dadurch gekennzeichnet ist, dass suggeriert wird, dass es ein Gleichgewicht zwischen der einen und der anderen Meinung gibt, was aber tatsächlich nicht stimmt.

Als zweites Beispiel führt Drosten die »Great Barrington Erklärung« an, in der »Epidemiologen für Infektionskrankheiten und Wissenschaftler im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens ernste Bedenken hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen der vorherrschenden Covid-19-Maßnahmen auf die physische und psychische Gesundheit« artikulieren und einen Ansatz zur Lösung des Problems präsentieren. Auch hier fehlt nach Meinung Drostens virologischer Sachverstand. Drosten bezeichnet die Initiatoren als »eine Gruppe von Pseudoexperten«, die alle nicht aus dem Fach sind, sich aber dennoch zu infektionsepidemiologischen Themen laut äußern.

Aber auch Einzelpersonen präsentieren sich als wissenschaftliche »Autoritäten«, obwohl sie bereits bei grober Nachforschung zu ihrem wissenschaftlichen Oeuvre leicht als Pseudoexperten zu identifizieren sind. Stellvertretend kann man hier den Arzt Wolfgang Wodarg nennen, der seit gut einem Jahr behauptet, bei der Coronavirus-Pandemie handele es sich um Panikmache. Seine Kompetenz untermauert Wodark dadurch, dass er sich als Lungenarzt, Internist und ehemaligen Leiter eines Gesundheitsamts in Schleswig-Holstein vorstellt.

Auch der emeritierte Mikrobiologieprofessors der Universität Mainz, Professor Dr. Sucharit Bhakdi, leugnet die Gefahren, die mit der Corona-Pandemie verbunden sind. Bhakdi kritisiert immer wieder die Reaktionen auf das Auftreten des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 scharf. »Ich finde sie grotesk, überbordend und direkt gefährlich«, sagt er mit Blick auf staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie. Nach seiner Meinung treten bei 99 Prozent der Infizierten lediglich leichte oder gar keine Symptome auf. Nur bei weniger als 1 Prozent komme es zum Ausbruch einer Krankheit.

Treten diese Personen beispielsweise in Talkshows oder Diskussionsrunden auf, sitzt ihnen bestenfalls ein anerkannter Experte gegenüber. Dieses 1 : 1-Verhältnis verschiebt die Realität, in der es eine Vielzahl von seriösen Experten, allerdings nur eine kleine Zahl von Leugnern und Verharmlosern gibt.

L – Logikfehler

Logikfehler werden gemacht, wenn beispielsweise entscheidende Faktoren verschwiegen werden, die Ursache für eine Situation sind, die viele Leugner als Argumente für ihre Thesen heranziehen.

Das »Präventionsparadox« ist hier von herausragender Bedeutung. Unter dem Präventionsparadox versteht man das Phänomen, dass Präventionsmaßnahmen, die erfolgreich greifen, das Problem kleiner erscheinen lassen als es ist, wenn zuvor einschneidende Maßnahmen durchgesetzt wurden. Dass diese Fehleinschätzung in der aktuellen Pandemie greift, ist erstaunlich. Denn es gibt eindrucksvolle Beispiele, die zeigen, was passiert, wenn man die Gefahren der Pandemie komplett ignoriert (zum Beispiel Brasilien) oder wenn man Maßnahmen ergreift, die nicht ausreichen, um die Bevölkerung vor schweren Krankheitsverläufen oder vor dem Tod zu schützen (zum Beispiel Schweden). Diese Beispiele werden von den Leugnern allerdings ignoriert oder mit fadenscheinigen Argumenten bagatellisiert.

Eine andere Strategie zielt darauf ab, einen Sachverhalt dadurch anzugreifen oder zu entwerten, dass man die Person angreift oder diffamiert, die den korrekten Sachverhalt vorbringt. Diese Strategie bezeichnet man als »ad hominem-Attacke«. Mit solchen Attacken sehen sich derzeit viele Virologen aber auch prominente Modellierer konfrontiert.

Oder man verwendet mehrdeutige Begriffe, die leicht missinterpretiert werden können und so beim Zuhörer irreführende Schlussfolgerungen induzieren. Als Beispiel nannte Drosten hier den Begriff Dauerwelle, der in den Friseursalon gehöre und in der Infektionsepidemiologie unbekannt sei.

Erreicht eine Diskussion einen kritischen Punkt, werfen Leugner gerne sogenannte »Blendgranaten«. Dies sind Totschlagargumente, die in den Raum gestellt werden, die aber ad hoc nicht seriös überprüfbar und damit zu entkräften sind. Eine dieser Blendgranaten ist die Behauptung, man hätte das Problem der Pandemie gelöst, wenn der besonders vulnerable Teil der Bevölkerung konsequent abgeschirmt würde. Dabei denkt man unwillkürlich an die Alters- und Pflegeheime, die tatsächlich massiv von der Pandemie betroffen waren. Das ist so gewollt, denn diese Leute verschweigen oder wissen es nicht besser, dass in Altersheimen nur etwa 15 Prozent der Alterskohorte über 80 Jahre lebt. Die Strategie, die auf den ersten Blick so einleuchtend erscheint, muss bei näherer Betrachtung als nicht umsetzbares Konzept eingestuft werden. Mit dieser Tatsache wurde auch Schweden unbarmherzig konfrontiert.

U - Unerfüllbare Erwartungen

Mit dieser Strategie konfrontieren Leugner und Querdenker die Experten, indem sie beispielsweise einen exakten Grad des zu erwartenden Erfolges einer Maßnahme verlangen. Wird auf diese Forderung seriös geantwortet, also nicht mit exakten Daten (zum Beispiel Reduktion um 50 Prozent), sondern mit einer Bandbreite (Reduktion um 30 bis 70 Prozent), gilt die Forderung als unbeantwortet und bestimmte Schutzmaßnahmen werden generell als nicht realisierbar abgewertet. Und sollten den Kritikern tatsächlich plausible Antworten präsentiert werden, werden die Forderungen verschärft. Diese Strategie firmiert unter der Bezeichnung »Verschieben der Torpfosten«.

In diese Kategorie fällt auch die bewusst falsche Bewertung verschiedener Testmethoden. Bekanntlich ist es nicht möglich, einen Test zu entwickeln, der zu 100 Prozent spezifisch und sensitiv ist. Dass Tests sowohl falsch positiv als auch falsch negativ ausfallen können, wird als Argument benutzt, eine umfassende Teststrategie prinzipiell zu kritisieren. Dabei wird unterschlagen, dass die derzeit zugelassenen Tests nur zu einem verschwindend geringen Prozentsatz ein falsches Resultat liefern. In der Diskussion wird hingegen der Eindruck erweckt, dass die Tests zu gleichen Prozentsätzen richtige oder falsche Ergebnis liefern.

Und schließlich ist auch die Forderung als unerfüllbar, aber auch als unerheblich, anzusehen, nach der man klar zu differenzieren hat, ob eine Person mit Corona oder an dem Coronavirus gestorben ist.

R – Rosinenpickerei

Bei der Rosinenpickerei werden Fakten bewusst lückenhaft dargestellt, wobei man das weglässt, was für die eigene Position ungünstig ist und das hervorhebt, von dem man glaubt, dass es die eigene Position unterstreicht. Das spricht gegen alle wissenschaftlichen Prinzipien, nach denen Hypothesen unvoreingenommen mit offenem Ergebnis geprüft werden. Wer hingegen einer Ideologie nachläuft, kann diese kritische Offenheit nicht gebrauchen. Beliebt sind hier Kasuistiken, die bekanntlich von sehr bedingter Aussagekraft und in der wissenschaftlichen Beweisführung wertlos sind.

Wenn eine Diskussion tendenziös geleitet wird, kann es ein probates Mittel sein, das Thema zu wechseln, wenn die Gefahr droht, dass eine unhaltbare Position in sich zusammenzustürzen droht.

V – Verschwörungsmythen

Schließlich gehören auch Verschwörungsmythen zu den Tools der Leugner, die in diesem Fall besonders klar als Querdenker zu bezeichnen sind. Es werden absurde Thesen aufgestellt und verbreitet, die erstaunlicherweise eine immer größer werdende Gruppe in unserer Gesellschaft erreichen. Eine subtile Form sei, Experten zu unterstellen, sie würden wirtschaftliche Vorteile aus einer Situation ziehen, etwa der Förderung bestimmter Corona-Tests.

Aus den USA schwappt mittlerweile die QAnon-Bewegung unverkennbar auf Deutschland über. Gerade weil die Motive dieser Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund so unklar definiert sind, finden sich unter diesem Dach auch etliche der kruden Thesen der Querdenkerbewegung. Unter anderem werden üble Machenschaften und geheime Bünde unterstellt, die nicht nur frei erfunden sind, sondern die auch keiner Plausibilitätsprüfung standhalten würden.

Wer sich unsicher ist, was von Außenseiterthesen zu halten ist, der sollte die Webportale »sciencefeedback«, »Health Feedback« oder »Coronavirus-Faktenchecks« zu Rate ziehen.

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