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Studie zu Nebenwirkungen

Deutsche ignorieren den Beipackzettel

Jeder zweite Deutsche hat von Medikamenten schon einmal unerwünschte Arzneimittelwirkungen gehabt. Doch viele ignorieren den Beipackzettel oder nehmen die Risiken bewusst in Kauf. Das hat eine von dem Münchener Unternehmen Medikura Digital Health in Auftrag gegebene Studie ergeben.
Jennifer Evans
15.05.2019  10:40 Uhr

In Europa sterben jährlich rund 200.000 Menschen an den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen. In Deutschland haben 6 Millionen Patienten Beschwerden nach der Einnahme von Medikamenten. Das berichtet das Unternehmen Medikura Digital Health, das auch die Melde- und Informationsplattform www.nebenwirkungen.de betreibt, und nun die Ergebnisse seiner repräsentativen Studie vorgestellt hat.

Demnach liest nur ein Viertel der 1535 befragten Deutschen zwischen 25 und 60 Jahren jedes Mal vor der Einnahme von Rx-Medikamenten die Packungsbeilage und informiert sich über bekannte Nebenwirkungen. Bei rezeptfreien Mitteln ist es nur jeder Fünfte. Und knapp jeder Zehnte gab an, den Beipackzettel bei rezeptfreien Medikamenten niemals zu lesen. Bei den Rx-Präparaten schauen 5 Prozent nie auf die Hinweise in der Packungsbeilage. »Die Vermutung liegt nahe, dass die Gebrauchsinformationen von vielen Patienten als zu lang und zu kompliziert empfunden werden«, meinen die Unternehmensgründer und Verantwortlichen der Studie.

Allgemeine Sorgen vor Arzneimittelrisiken äußerten immerhin 70 Prozent der Umfrageteilnehmer. Aufgrund dessen hat die Hälfte der Befragten bereits auf Alternativmedizin zurückgegriffen. Als alarmierendes Ergebnis wertet das Unternehmen, dass nur ein Bruchteil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen überhaupt gemeldet werden. Demnach gab es im Jahr 2017 lediglich 28.000 Erstmeldungen. Und das, obwohl 40 Prozent der Befragten angaben, den Fall weitergeben zu haben. 85 Prozent berichteten direkt an den Arzt, 20 Prozent an den Apotheker und 12 Prozent an den Hersteller.

Weil aber letztlich hierzulande weniger als 1 Prozent der unerwünschten Arzneimittelwirkungen überhaupt offiziell erfasst werden, scheint der Meldeprozess wohl gewisse Hürden aufzuweisen – so ein Fazit der Studie. Das gelte es künftig zu ändern, heißt es. Denn durch fehlende Informationen über Nebenwirkungen von Medikamenten entstünden selbst bei Experten Wissenslücken. Eine verbesserte Datengrundlage hätte noch einen weiteren Vorteil: Sie könnte dazu beitragen, das Risiko-Nutzen-Profil eines Medikaments besser zu bewerten und daraus spezifische Behandlungsempfehlungen etwa für Risikogruppen abzuleiten. »Für die Zukunft der personalisierten Medizin ist diese Entwicklung ein Muss«, heben die Verantwortlichen hervor.

51 Prozent der Befragten fehlen Informationen zu Nebenwirkungen

Insgesamt fühlt sich nur rund die Hälfte der Studienteilnehmer ausreichend über die Folgen von Nebenwirkungen aufgeklärt. »Es scheint also hinsichtlich dieser Thematik ein Problembewusstsein bei den Deutschen zu geben, gleichzeitig allerdings auch ein Handlungsdefizit«, so lautet eine weitere Bilanz der Ergebnisse. Immerhin knapp 60 Prozent der Befragten wären bereit, in Zukunft unerwünschte Arzneimittelwirkungen online zu melden. Daraus leitet das Unternehmen ab, dass eindeutig ein »Wunsch nach einem einfachen digitalen Meldeservice für Patienten« besteht.

Ziel muss es demnach sein, insgesamt die Lesemüdigkeit mit Blick auf die Packungsbeilagen zu überwinden. Davon profitiere nicht nur die Arzneimittelsicherheit, sondern dieser Schritt stärke zudem das Vertrauen in die Pharmahersteller, heißt es. Letztere kommen nämlich nicht so gut davon: Nicht einmal ein Drittel der Umfrageteilnehmer schätzt das Vertrauen in Pharmahersteller als »hoch« oder »sehr hoch« ein. Vor diesem Hintergrund überrascht die Verantwortlichen umso mehr, wie wenig ausgeprägt die Bereitschaft der Betroffenen ist, beobachtete Nebenwirkungen zu melden.

Medikura Digital Health betreibt die Online-Plattform nebenwirkungen.de. Die Plattform stellt eine digitale Infrastruktur für die Echtzeit-Überwachung von Arzneimitteln bereit, die Patienten, medizinische Fachkreise und Arzneimittelhersteller verbindet. Patienten können sich zum einen über Nebenwirkungen informieren und zum anderen Verdachtsfälle direkt an die Hersteller melden. Auf Wunsch können auch der Arzt, Apotheker oder andere medizinische Fachkreise in die Meldung eingebunden werden. Im Gegenzug können die Hersteller Rückfragen an alle Beteiligten stellen.

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