Depressionen digital angehen |
Daniela Hüttemann |
23.02.2022 18:00 Uhr |
Online-Programme und Apps zur Vorbeugung und unterstützenden Behandlung von Depressionen basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie sollen helfen, die Symptomatik zu reduzieren. / Foto: Adobe stock/Kittiphan
Bei den verfügbaren Programmen handelt es sich um Apps oder Web-basierte Online-Therapieprogramme. Als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet und damit erstattungsfähig sind »Deprexis«, »Novego: Depressionen bewältigen«, »Selfapy Depression« und »Hello Better Diabetes und Depression«.
Achtung: Die DiGA sind nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung gedacht. Wichtig für die Betroffenen zu wissen: Die Teilnahme an den Online-Kursen beeinflusst nicht ihren Anspruch oder die Wartezeit auf einen klassischen Therapieplatz.
Alle vier DiGA basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie und sind als Online-Programme, nicht als App konzipiert. Sie können vor, während oder auch im Anschluss an eine klassische Psychotherapie verordnet werden. Der Kursverlauf wird nach Beantwortung eines ausführlichen Fragebogens auf die individuelle Problematik automatisch zugeschnitten.
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Die Lerninhalte werden per Text, Audios und Videos vermittelt. Zusätzlich gibt es eine Kontaktmöglichkeit zu einem Psychologenteam. Die als DiGA zertifizierten Online-Kurse dauern zwölf Wochen, wobei jede Woche ein neues Thema behandelt wird. Dazu gibt es Übungen, die das Wissen und neue Verhaltensweisen konsolidieren sollen. Dazu zählen das Erkennen und Umdeuten negativer Gedankenmuster, Aufforderungen zu mehr Bewegung und Aktivitäten, die Freude machen sowie Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen.
Deprexis war eines der ersten deutschsprachigen Angebote. Es ist indiziert bei Patienten mit leichter depressiver Episode bis hin zu rezidivierenden depressiven Störungen mit schweren Episoden, solange keine psychotischen Symptome auftreten. Damit ist es das einzige Programm, das auch bei schweren Depressionen zum Einsatz kommen darf. Anbieter ist die Hamburger Firma Gaia AG; den Vertrieb übernimmt das französische Pharmaunternehmen Servier.
Das Programm vermittelt Übungen und Techniken in zehn Themenbereichen, mit denen der Patient lernen soll, die depressive Phase eigenständig zu überwinden. Das Programm »führt mit Ihnen einen virtuellen, individuellen Dialog«, heißt es auf der Website. Dabei reagiert es interaktiv auf die momentanen Bedürfnisse des Anwenders, der regelmäßige positive Impulse per SMS oder E-Mail erhält. Als Zeitaufwand nennt die Website ein- bis zweimal wöchentlich mindestens eine halbe Stunde, um sich dann genügend Zeit zu lassen, die Übungen umzusetzen.
Deprexis ist bereits dauerhaft ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen, denn immerhin liegen 13 randomisierte, kontrollierte Studien vor. Von zwölf davon mit insgesamt 2901 Teilnehmern gibt es sogar eine Metaanalyse. Dort heißt es: »Demnach kann Deprexis eine klinisch relevante Verringerung der depressiven Symptome über einen Zeitraum von acht bis zwölf Wochen in einem breiten Spektrum der anfänglichen Symptomschwere ermöglichen.« Das Programm ist einmalig auf drei Monate ausgelegt und kostet für Selbstzahler und Privatpatienten 297,50 Euro.
»Novego: Depressionen bewältigen« kann bei leichten bis mittelschweren depressiven Episoden (auch rezidivierenden) verordnet werden. Es wird bereits seit mehr als zehn Jahren eingesetzt, ist allerdings bislang nur vorläufig ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Es gibt bereits drei Wirksamkeits-belegende Studien; eine weitere läuft noch.
Jede Woche wird ein neues Thema behandelt. Einmal pro Woche kann der Anwender ein Team aus 24 Psychologen kontaktieren; darüber hinaus gibt es eine 24-Stunden-Hotline bei akuten Krisen. Auf der zugehörigen Website gibt es zudem einen Blog mit zusätzlichen, frei zugänglichen Artikeln.
Das eigentliche Programm dauert ebenfalls drei Monate und kostet 249,00 Euro, steht den Anwendern aber für weitere zwölf Monate zur Verfügung, um die Inhalte zu festigen und dauerhafte Änderungen im Alltag herbeizuführen. Anbieter von Novego ist die Hamburger Firma IVP Networks.
Auch bei »Selfapy Depression« wird pro Woche ein Thema bearbeitet. Zu diesen zählen zum Beispiel eigene Kraftquellen, Tagesstruktur, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit oder Problemlösung im Alltag. Indiziert ist die Anwendung bei leichten bis mittelschweren Depressionen, auch rezidivierenden.
In Ergänzung zum Online-Programm gibt es anders als bei den anderen DiGA eine »Kursbegleiter-App«, in der sich allerdings die Kursinhalte nicht bearbeiten lassen. Vielmehr können die Anwender hier festhalten, was an jedem Tag gut oder schlecht gelaufen ist und welche Gefühle und Gedanken auftraten.
Selfapy bietet eine Begleit-App zum Online-Kurs gegen Depressionen an. / Foto: Selfapy
Die App fragt täglich, wie es dem Patienten geht. Durch das Tracking soll der Nutzer herausfinden, was die Stimmung positiv beeinflusst (Sport, soziale Kontakte usw.). Zudem ist ein persönlicher Psychologe für den Patienten per Nachrichtenfunktion ansprechbar und das System soll Warnzeichen für eine mögliche Verschlechterung inklusive Suizidgefahr erkennen.
Gemäß einer Studie der Charité Berlin mit 401 Teilnehmern half der Kurs, ihre Symptomatik um 40 Prozent zu reduzieren; bei zusätzlich wöchentlichen Telefongesprächen mit Psychologen für 25 Minuten sogar um 46,5 Prozent. Bei vier von zehn Teilnehmern reduzierte sich die Symptomatik sogar um mindestens 50 Prozent. Auch Angstsymptome wurden gelindert.
In einer Vergleichsgruppe mit depressiven Patienten auf der Warteliste für einen Therapieplatz und ohne weitere Intervention verbesserte sich die Symptomatik dagegen nur um 2 Prozent. Zudem hielten laut Nachbefragung die positiven Effekte auch drei Monate nach Kursabschluss noch an. Fünf weitere Studien laufen. Die 90-tägige Anwendung kostet 540 Euro. Laut Selfapy, das 2016 von zwei Psychologinnen in Berlin gegründet wurde, haben inzwischen mehr als 35.000 Menschen eines der verschiedenen Programme des Unternehmens absolviert.
Aktualisierung vom 11.04.2022: Der Selfapy Online-Kurs Depression wurde dauerhaft ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen.
Speziell für Diabetes-Patienten, egal ob Typ 1 oder 2, mit Depressionen als Komorbidität gibt es die DiGA »Hello Better Diabetes und Depression«. Der zwölfwöchige Kurs ist ähnlich konzipiert wie die vorher genannten, spricht aber eben auch Diabetes-spezifische Themen an, zum Beispiel der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Partnerschaft oder Ernährung. In einer Studie mit 254 Patienten sank der Schweregrad der Depression signifikant mehr als unter der Standardbehandlung allein.
Zum Kurs gehören ein Online-Tagebuch, eine Begleit-App und wiederholte Symptom-Checks. Auch hier wird dem Anwender ein persönlicher Psychologe zur Seite gestellt, der per Nachrichtenfunktion erreichbar ist. Anbieter ist das Get.On-Institut für Online-Gesundheitstrainings, das aus einem Forschungsprojekt der Leuphana-Universität Lüneburg hervorgegangen ist. Der Name wurde 2020 in Hello Better geändert.
Der Anbieter verspricht zu jeder absolvierten Kurseinheit eine schriftliche Rückmeldung des zuständigen Psychologen innerhalb von 24 Stunden. Der dreimonatige Kurs kostet 599,00 Euro und ist dauerhaft ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen.
»iFightDepression« ist ein Projekt des Europäischen Bündnisses gegen Depressionen, finanziell gefördert durch die EU-Kommission. Die umfangreiche Website www.ifightdepression.com informiert in mehreren Sprachen über die Erkrankung und den Umgang damit, auch für Angehörige und sogar Apotheker. Es gibt auch eine eigene Rubrik für junge Menschen.
Kern ist die Hilfe zum Selbstmanagement, allerdings lässt sich der kostenlose Online-Kurs (iFightDepression-Tool) nur nutzen, wenn der behandelnde Arzt oder Therapeut den Patienten begleitet. Das Programm ist für Menschen mit leichten bis mittelschweren Depressionen gedacht.
Die Techniker Krankenkasse (TK) hat einen eigenen, kostenlosen Online-Kurs für ihre Versicherten im Angebot: den »TK-DepressionsCoach«. Das Programm wurde gemeinsam mit der Freien Universität Berlin entwickelt, und der Nutzen in einer Studie mit mehr als 1000 Teilnehmern gezeigt. Hier soll in nur sechs Wochen ein neuer Umgang mit der Depression gefunden werden. Dazu gehören laut der TK intensive Schreibaufgaben und schriftliche Rückmeldungen eines persönlichen Therapeuten.
Eine weitere kostenfreie Alternative ist das Online-Programm »Moodgym«, das ursprünglich von der Australian National University entwickelt wurde. Dieses ist in erster Linie zur Vorbeugung depressiver Symptome gedacht. Es ist nicht zur Diagnose oder Behandlung klinischer Depressionen konzipiert, kann aber ergänzend zum Arzt oder Therapeuten (auch allein) absolviert werden. Hier steht kein persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Zu den Kursthemen gehören unter anderem der Zusammenhang von Gedanken und Gefühlen, Beziehungsprobleme und Stressbewältigung.
MoodGym (wörtlich übersetzt Fitnessstudio für die Stimmung) gibt es bereits seit 2001. Laut Anbieter haben sich seitdem weltweit mehr als eine Million Nutzer registriert. Das Programm ist wissenschaftlich evaluiert. Die deutsche Version wurde von der Universität Leipzig übersetzt, gesponsert von der AOK. Es steht aber allen Interessierten offen.
Daneben gibt es noch zahlreiche Möglichkeiten für Selbstzahler. Zwei Beispiele sind die Apps »Clay« und »MindDoc«. Clay vom Berliner Start-up Clay Health bezeichnet sich selbst als »Mental Health Training Club«. Die Idee dahinter ist eine ähnliche wie bei MoodGym: Die mentale Gesundheit lasse sich ebenso trainieren wie Muskeln, Verhaltensmuster lassen sich durch Übung ändern.
Ausgelobt ist Clay nicht zur Therapie, sondern zur Prävention von Depression, Angst und Panikattacken. Die App bietet ein individualisiertes Programm mit fünf Sessions pro Woche mit Übungen, Reflexionen und Wissensvermittlung. Laut Beschreibung gibt es einen Mix aus Psychotherapie-Inhalten und Achtsamkeitsübungen, außerdem Workshops, um sich besser kennenzulernen sowie Interaktionen in kleinen Gruppen. Zudem lassen sich 30-minütige 1:1-Coachings mit Psychologen buchen – laut App »ohne Wartezeit«.
In der Anfangsbefragung legt man seinen Schwerpunkt fest, zum Beispiel »Weg von depressiver Stimmung und negativen Gedanken«, »endlich meine Trennung verarbeiten« oder »Trauer und Verlust überwinden«. Zu den Themen zählen aber auch »Ängste und Panik kontrollieren«, sich einfach »nicht mehr ausgebrannt und emotional erschöpft fühlen« oder »mehr Ausgeglichenheit und Gelassenheit«. Dabei kann nur ein Ziel ausgewählt werden.
Dann folgen weitere Fragen, zum Beispiel, wo genau die Probleme liegen; im Falle depressiver Stimmung, ob und worüber man sich häufig Sorgen macht oder wie gut man schläft. Auch hier sind nur Einfach-Antworten möglich, sodass man automatisch priorisieren muss. Dann erstellt die App einen vier- bis sechswöchigen Plan und man muss sich ein Nutzerkonto anlegen. Das flexible Monats-Abo kostet 14,99 Euro pro Monat, wer sich länger festlegt, bekommt es günstiger.
MindDoc ist sowohl ein Online-Psychotherapie-Angebot der Schön-Klinik-Gruppe als auch eine App zur Selbsthilfe, deren Anbieter eine Tochterfirma ist (MindDoc Health). Die App wurde von Psychotherapeuten und dem Startup Aurora Health entwickelt und hieß ursprünglich »Moodpath«.
Die MindDoc-App hat neben Lektionen und Übungen auch ein Stimmungstagebuch. / Foto: Schön Klinik
MindDoc nennt sich »Dein Begleiter für psychische Gesundheit« und richtet sich neben Menschen, die »etwas über emotionale Gesundheit lernen möchten«, auch an Patienten mit leichten bis mittelgradigen Depressionen, Angst-, Ess- und Schlafstörungen. Auch hier geht es um die Erkennung problematischer und hilfreicher Muster und die Stärkung der eigenen Ressourcen. Die App stellt täglich Fragen zu Stimmung und Symptomen und gibt nach 14 Tagen eine ausführliche Empfehlung, wie es weitergehen soll und ob ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden sollte.
Die MindDoc-App ist als Medizinprodukt der Risikoklasse I eingestuft. Sie wirbt mit mehr als drei Millionen Downloads und guten Bewertungen. Das kürzeste Abo über drei Monate kostet 9,99 Euro pro Monat; auch hier wird es günstiger, wenn man sich direkt für einen längeren Zeitraum festlegt.
Wer eine solche DiGA oder App nutzen will, muss bereit und in der Lage sein, sich mit sich selbst und seinen Mustern und Ängsten sehr genau auseinanderzusetzen. Das kostet Zeit und Kraft. Daher ist sorgfältig abzuwägen, ob sie dem Patienten empfohlen werden können oder ob ihm zunächst geraten werden sollte, ein Gespräch mit seinem Hausarzt zu führen. Insbesondere Patienten mit suizidalen Gedanken müssen sofort Hilfe erhalten.
Angesichts der langen Wartezeit auf einen Psychotherapie-Platz können die Anwendungen und Online-Kurse jedoch den ein oder anderen Patienten die Zeit überbrücken helfen und erste Verbesserungen bringen – oder auch Menschen ohne bisher handfeste psychische Probleme in schwierigen Phasen helfen, einer Erkrankung vorzubeugen.
In der Serie »PZ App-Check« stellt die PZ digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) indikationsbezogen vor, ergänzt durch weitere aus Sicht der Redaktion empfehlenswerte Gesundheits-Apps. Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und es erfolgt keine detaillierte Bewertung. Geachtet wird etwa auf die Seriosität der Anbieter, die Verfügbarkeit sowohl für Apple- als auch Android-Nutzer und die Verfügbarkeit der App in deutscher Sprache. Bisher erschienen die Beiträge »Wegweiser im App-Dschungel«, »Welche Apps helfen beim Abnehmen?« und »Tinnitus entstressen«.