Den Ton im Ohr leiser machen |
Annette Rößler |
17.09.2021 13:30 Uhr |
Nicht immer empfinden Patienten Ohrgeräusche als störend. Fühlt sich der Patient beeinträchtigt, spricht man von einem dekompensierten Tinnitus. / Foto: Superbild
Unter einem Tinnitus versteht man die subjektive Wahrnehmung eines Ohrgeräusches ohne äußere akustische Stimulation. Der Ton beziehungsweise das Geräusch kann dauerhaft vorhanden sein oder intermittierend auftreten. »Wichtiger als diese Unterscheidung ist für Ärzte in der Praxis aber, ob der Tinnitus kompensiert oder dekompensiert ist, ob er also Krankheitswert hat und der Patienten sich gestört fühlt oder nicht«, sagte HNO-Arzt Dr. Frank Waldfahrer vom Universitätsklinikum Erlangen gestern bei einer Veranstaltung der Reihe Pharma-World bei der Expopharm Impuls.
In den meisten Fällen liege einem Tinnitus eine Störung im Innenohr auf Ebene der Haarzellen zugrunde. Diese Zellen können sich nicht regenerieren, das heißt, ein struktureller Schaden ist dauerhaft. »Es gibt aber auch reversible Schäden, die auf einer metabolischen Ursache beruhen. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, den Tinnitus rasch wieder verschwinden zu lassen«, informierte Waldfahrer.
Um die therapeutischen Möglichkeiten auszuloten und optimal zu nutzen, sollten Betroffene sich beim Auftreten eines Tinnitus möglichst rasch einem Arzt vorstellen. Zur Überbrückung könne die Apotheke aber bereits ein OTC-Präparat empfehlen, etwa Magnesium – wobei das protektiv besser wirke – oder Ginkgo biloba. »Eine vorläufige Therapie stört die Diagnostik nicht«, betonte der HNO-Arzt.
Ein Tinnitus kann durch Lärm verursacht sein oder ohne erkennbaren äußeren Auslöser auftreten. Im ersten Fall sei die Prognose besser als im zweiten und man könne unter Umständen sogar einfach nur abwarten, sagte Waldfahrer. Meist wird jedoch Cortison verordnet, und zwar jeweils 250 mg Prednisolon an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Bei ausbleibender Besserung besteht die Möglichkeit der intratympanalen Gabe eines Steroids, in der Regel Dexamethason. Nicht mehr State of the Art sind Pentoxifyllin, Naftidrofuryl und HAES. Alternativ oder begleitend zur Steroidtherapie kommt wiederum Ginkgo biloba infrage.
Ist das Ohrgeräusch nicht innerhalb von drei Monaten wieder verschwunden, hat sich der Tinnitus chronifiziert. Wie kann das passieren? Waldfahrer benutzte zur Erklärung das Bild eines alten Röhrenmonitors: »Wenn man darauf ein Bild eine längere Zeit stehen ließ, hatte es sich eingebrannt. Genau das passiert beim Tinnitus: Dadurch, dass das Innenohr dauernd einen bestimmten Ton produziert, brennt sich das ins Gehirn ein.« Die Chronifizierung sei also eine Zentralisierung, der Ton werde dann nicht mehr im Innenohr generiert, sondern im Gehirn. Ein chronischer Tinnitus sei somit eine Hirnfunktionsstörung. Von dieser sind in Deutschland etwa 3 Millionen Menschen betroffen.
Bei chronischem Tinnitus gibt es laut der abgelaufenen, aber noch immer angewendeten S3-Leitlinie keine spezifische Arzneimitteltherapie. Die stärkste Empfehlung hat die kognitive Verhaltenstherapie. Zur Symptomlinderung kommen Ginkgo biloba, Melatonin, Zink oder Nicotinamid (Vitamin B3) infrage, »wobei es die beste Evidenz aufgrund der Studienlage für Ginkgo gibt«, sagte Waldfahrer. Alle Studien seien mit EGb 761® (Tebonin®) gemacht worden, sodass die Empfehlung nur für dieses Präparat gelte. Die Dosierung von zweimal täglich 120 mg sei am besten wirksam und die Einnahme solle über mindestens zwölf Wochen erfolgen.
Auch Dr. Ursula Hagedorn, Apothekerin und Weiterbildungsdozentin für PTA und Apotheker, wies auf die wichtige Unterscheidung zwischen verschiedenen Phytopharmaka hin. »Wir Apotheker sind Naturwissenschaftler, das heißt: Wir mögen Studien. Deshalb empfehlen wir diesen Spezialextrakt und kämpfen dafür, dass nicht irgendwelche Präparate aus dem Drogeriemarkt verwendet werden.« Neben der kompetenten Beratung zur Arzneimitteltherapie sieht sie auch »das Schüren von Optimismus« als wichtige Aufgabe der Apotheker in der Betreuung von Tinnitus-Patienten. Es sei wichtig, Wege aufzuzeigen, »wie man aus dieser Falle herauskommen kann«.
Das Video dieser Gesprächsrunde sowie viele weitere Beiträge der Expopharm Impuls sind ab dem 20. September bis Mitte Januar nach Registrierung unter www.expopharm-impuls.de abrufbar.