Auch Verbandsvertreter machen angesichts stark steigender Kosten für die Gesetzlichen Krankenkassen Vorschläge zulasten von Patientinnen und Patienten. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, forderte in der »Bild«-Zeitung eine »Kontaktgebühr« bei jedem Arztbesuch. »Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden. So könnte die Einnahmebasis der Kassen erhöht werden«, sagte Gassen. Die Gebühr müsse sozialverträglich gestaltet werden, damit niemand überfordert werde.
Der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, forderte in der »Bild«: »Die Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten sollte verdoppelt werden: von zehn auf 20 Euro am Tag. Das ist angemessen.« Das bringe den Krankenkassen zusätzlich rund 800 Millionen Euro im Jahr. Auch Patientinnen und Patienten, die künftig ohne vorherige telefonische Beratung die Notfallzentren der Krankenhäuser aufsuchen, sollten laut Gaß zur Kasse gebeten werden. »Wer künftig ohne Kontaktaufnahme und Beratung durch die Leitstelle die Notfallzentren an den Krankenhäusern nutzt, sollte dafür eine Gebühr bezahlen. Ich finde 30 bis 40 Euro angemessen«, sagte er.
Patientenvertreter und Krankenkassen weisen hingegen Rufe nach neuen oder höheren Gebühren für Praxisbesuche und Klinikaufenthalte scharf zurück. »Patienten und gesetzlich Krankenversicherte sind schon jetzt die Melkkühe der Nation«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Zusatzbeiträge, Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen und Selbstzahlerleistungen spülten jährlich mehrere zehn Milliarden Euro in die Kassen auch der ambulant-ärztlichen Versorgung. »Die Kosten steigen, weil allein die Praxen in diesem Jahr ein Einnahmen-Plus von fast zehn Prozent zu verzeichnen haben«, sagte Brysch. Doch Qualität spiele dabei keine Rolle. »Weiterhin wird für gute oder schlechte Leistung das gleiche Geld bezahlt.«
Der Sozialverband Deutschland nannte Forderungen nach einer »Kontaktgebühr« für Arztbesuche unsolidarisch und sozial ungerecht. »Sie würde besonders chronisch kranke Menschen und Menschen mit geringem Einkommen treffen, die auf eine verlässliche medizinische Versorgung angewiesen sind«, sagte Vorstandschefin Michaela Engelmeier.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen kritisierte, der stete Ruf aus der Ärzteschaft nach einer Extra-Gebühr nur dafür, dass man überhaupt Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin habe, sei ein offenkundiges Ablenkungsmanöver. »Statt über Reformen zu sprechen, die dann auch die Ärzteschaft betreffen würden, wird auf die Patientinnen und Patienten verwiesen«, sagte Sprecher Florian Lanz. Das Gesundheitssystem gebe pro Tag mehr als eine Milliarde Euro aus. Da brauche es keine zusätzlichen Einnahmen, sondern Reformen, die den extremen Ausgabenanstieg sinnvoll bremsten.
Die schwarz-rote Bundesregierung will im neuen Jahr eine Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung angehen. Ziel ist, den zuletzt immer schnelleren Ausgabenanstieg für die Versorgung zu begrenzen und weitere Beitragsanhebungen zu vermeiden. Eine Expertenkommission soll bis März Vorschläge zur Stabilisierung ab dem Jahr 2027 vorlegen. Bis Ende 2026 sollen weitergehende Reformvorschläge folgen. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte deutlich gemacht, dass es um mehr Effizienz und Steuerung gehen soll. Alle Einnahmen und Ausgaben sollen auf den Prüfstand. Es werde Veränderungen »für alle« geben, sagte sie.