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Praxisgebühr
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Debatte um höhere Selbstbeteiligung von Kassenpatienten

Wie sind steigende Milliardenkosten für die medizinische Versorgung unter Kontrolle zu bekommen? Im Gespräch ist eine höhere Selbstbeteiligung von Kassenpatienten. 
AutorKontaktdpa
Datum 29.12.2025  12:15 Uhr

In der Diskussion um die Kassenbeiträge hat sich die Vorsitzende der »Wirtschaftsweisen« Monika Schnitzer für eine höhere Selbstbeteiligung von Kassenpatienten und eine Praxisgebühr ausgesprochen. Es müsse auch über Therapien für eine bestimmte Gruppe beraten werden, sagte sie.

»Wir müssen die Prävention stärken. Aber wir werden auch die Selbstbeteiligung erhöhen müssen«, sagte Schnitzer angesichts steigender Kassenbeiträge der »Rheinischen Post«. »Eine Praxisgebühr ist sinnvoll, wenn es gelingt, sie bürokratiearm einzuziehen. Statt die Ärzte damit zu belasten, könnten die Krankenkassen sie einziehen«, sagte Schnitzer. Die Ökonomin warnte vor weiteren Beitragssteigerungen. »Der Beitrag droht auf 25 Prozent zu steigen. Das Gesundheitssystem muss effizienter werden.« Dafür sollten etwa Homöopathie und andere Kassenleistungen ohne Evidenz gestrichen werden.

Schnitzer hinterfragt Behandlungen im hohen Alter

Schnitzer regte auch an, Behandlungen im höheren Alter zu hinterfragen. »Wir werden immer älter und gerade im ganz hohen Alter steigen die Gesundheitskosten enorm an. Wir müssen diskutieren, ob es in einem solch hohen Alter sinnvoll ist, alle verfügbaren, aber häufig auch sehr belastenden Therapien anzuwenden«, sagte sie.

Millionen Versicherte müssen 2026 mit höheren Zusatzbeiträgen rechnen. Nach einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox mit Stand 23. Dezember haben schon 31 Krankenkassen einen Anstieg für ihre Kunden angekündigt. Betroffen sind etwa Versicherte der zwei großen bundesweiten Krankenkassen. Bei der Techniker Krankenkasse (TK) steigt der Zusatzbeitrag von 2,45 Prozent auf 2,69 Prozent. Die DAK-Gesundheit erhöht ihn von 2,8 Prozent auf 3,2 Prozent.

KGV-Vorsitzender fordert »Kontaktgebühr«

Auch Verbandsvertreter machen angesichts stark steigender Kosten für die Gesetzlichen Krankenkassen Vorschläge zulasten von Patientinnen und Patienten. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, forderte in der »Bild«-Zeitung eine »Kontaktgebühr« bei jedem Arztbesuch. »Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden. So könnte die Einnahmebasis der Kassen erhöht werden«, sagte Gassen. Die Gebühr müsse sozialverträglich gestaltet werden, damit niemand überfordert werde.

Der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, forderte in der »Bild«: »Die Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten sollte verdoppelt werden: von zehn auf 20 Euro am Tag. Das ist angemessen.« Das bringe den Krankenkassen zusätzlich rund 800 Millionen Euro im Jahr. Auch Patientinnen und Patienten, die künftig ohne vorherige telefonische Beratung die Notfallzentren der Krankenhäuser aufsuchen, sollten laut Gaß zur Kasse gebeten werden. »Wer künftig ohne Kontaktaufnahme und Beratung durch die Leitstelle die Notfallzentren an den Krankenhäusern nutzt, sollte dafür eine Gebühr bezahlen. Ich finde 30 bis 40 Euro angemessen«, sagte er.

Breite Ablehnung zu Gebühr für Praxisbesuche

Patientenvertreter und Krankenkassen weisen hingegen Rufe nach neuen oder höheren Gebühren für Praxisbesuche und Klinikaufenthalte scharf zurück. »Patienten und gesetzlich Krankenversicherte sind schon jetzt die Melkkühe der Nation«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Zusatzbeiträge, Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen und Selbstzahlerleistungen spülten jährlich mehrere zehn Milliarden Euro in die Kassen auch der ambulant-ärztlichen Versorgung. »Die Kosten steigen, weil allein die Praxen in diesem Jahr ein Einnahmen-Plus von fast zehn Prozent zu verzeichnen haben«, sagte Brysch. Doch Qualität spiele dabei keine Rolle. »Weiterhin wird für gute oder schlechte Leistung das gleiche Geld bezahlt.«

Der Sozialverband Deutschland nannte Forderungen nach einer »Kontaktgebühr« für Arztbesuche unsolidarisch und sozial ungerecht. »Sie würde besonders chronisch kranke Menschen und Menschen mit geringem Einkommen treffen, die auf eine verlässliche medizinische Versorgung angewiesen sind«, sagte Vorstandschefin Michaela Engelmeier.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen kritisierte, der stete Ruf aus der Ärzteschaft nach einer Extra-Gebühr nur dafür, dass man überhaupt Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin habe, sei ein offenkundiges Ablenkungsmanöver. »Statt über Reformen zu sprechen, die dann auch die Ärzteschaft betreffen würden, wird auf die Patientinnen und Patienten verwiesen«, sagte Sprecher Florian Lanz. Das Gesundheitssystem gebe pro Tag mehr als eine Milliarde Euro aus. Da brauche es keine zusätzlichen Einnahmen, sondern Reformen, die den extremen Ausgabenanstieg sinnvoll bremsten.

Die schwarz-rote Bundesregierung will im neuen Jahr eine Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung angehen. Ziel ist, den zuletzt immer schnelleren Ausgabenanstieg für die Versorgung zu begrenzen und weitere Beitragsanhebungen zu vermeiden. Eine Expertenkommission soll bis März Vorschläge zur Stabilisierung ab dem Jahr 2027 vorlegen. Bis Ende 2026 sollen weitergehende Reformvorschläge folgen. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte deutlich gemacht, dass es um mehr Effizienz und Steuerung gehen soll. Alle Einnahmen und Ausgaben sollen auf den Prüfstand. Es werde Veränderungen »für alle« geben, sagte sie.

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