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Mikrobiom

Darmbakterien an Depressionen beteiligt

Das Darmmikrobiom hat einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit. Doch viele Zusammenhänge sind noch unklar. Aktuelle Daten gibt es nun zu der Frage, welche Rolle das Mikrobiom bei der Ausbildung einer Depression spielt.
Theo Dingermann
15.02.2022  09:00 Uhr

Dass Mikroorganismen auch ohne Vorliegen einer klassischen Infektion unsere Gesundheit stören können, zeigen unter anderem die Auswirkungen, die vom Mikrobiom ausgehen. Milliarden von Bakterien in und auf unserem Körper bilden Ökosysteme, die in einem bestimmten Gleichgewicht für die Gesundheit des Organismus wichtig sein können, die aber auch große gesundheitliche Probleme verursachen können, wenn die Homöostase gestört wird.

Darauf weist nun ein nachrichtlicher Artikel im Fachjournal »Science« hin. Anlass dieses Artikels ist eine Teilauswertung einer großen Studie aus Finnland, der sogenannten FINRISK-Studie, für die seit mehr als 40 Jahren in der finnischen Bevölkerung Risikofaktoren für chronische, nicht übertragbare Krankheiten erhoben werden.

Die Daten von 5959 Teilnehmern dieser Studie analysierte ein australisches Wissenschaftlerteam um Professor Dr. Guillaume Méric und Erstautor Youwen Qin von der Universität Melbourne. Die Forschenden korrelierten die Genotypen der Probanden mit den mikrobiellen Darmmetagenomen sowie den Ernährungs- und Gesundheitsdaten. Die Datenbasis umfasste die Jahre 2002 bis 2018. Ihre Ergebnisse publizierten die Wissenschaftler nun im Fachjournal »Nature Genetics«.

Das Team suchte nach Hinweisen darauf, wie die Ernährung und das genetische Programm eines Menschen das Mikrobiom beeinflussen. Es zeigte sich, dass zwei Abschnitte des menschlichen Genoms einen starken Einfluss auf die Zusammensetzung der mikrobiellen Besiedlung zu haben scheinen. Der eine enthält das Gen für das Enzym β-Galactosidase, das Milchzucker in Galactose und Glukose spaltet. Der andere bestimmt die Blutgruppe.

Interessanter sind sicherlich die Ergebnisse des zweiten Teils der Arbeit. Hier untersuchte das Team, welche genetischen Varianten die Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Mikroben beeinflussen könnten, und welche dieser Varianten mit 46 häufigen Krankheiten in Verbindung stehen.

In Bezug auf eine Depression schienen die zwei Bakteriengattungen Morganella und Klebsiella eine wichtige Rolle zu spielen, berichten die Forscher. Eine von ihnen, Morganella, war im Rahmen einer mikrobiellen Untersuchung von 181 Studienteilnehmern, die später eine Depression entwickelten, deutlich erhöht.

»Das ist wirklich spannend«, sagt Professor Dr. Jeroen Raes, ein Mikrobiologe an der KU Löwen, Belgien, der nicht an der Studie beteiligt war. »Das Schöne an dieser Arbeit ist, dass die Forschergruppe eine quantitative Korrelation zwischen dem Vorhandensein des Bakteriums und den Patienten mit Depressionen herstellen konnten.«

Beeindruckt von den Ergebnissen der Studie äußert sich auch Professor Dr. Jack Gilbert von der University of California, San Diego, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war, gegenüber »Science«: Diese Studie liefere »einen wirklich soliden Beweis dafür, dass dieser Zusammenhang von großer klinischer Bedeutung sein könnte«.

Morganella-Bakterien wurden bereits in früheren Studien mit Depressionen in Verbindung gebracht. 2008 fielen sie Forschern auf, die nach einem möglichen Zusammenhang zwischen Depressionen und Entzündungen suchten. Diese Wissenschaftler stellten fest, dass depressive Menschen stärkere Immunreaktionen auf Substanzen zeigten, die von Morganella und anderen gramnegativen Bakterien im Darm produziert werden, als nicht depressive Menschen. Die neueste Studie scheine also ein weiterer Hinweis dafür zu sein, dass eine durch Darmmikroben verursachte Entzündung die Stimmung beeinflussen kann, so Gilbert.

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