Comeback der Fischöl-Kapsel |
Annette Rößler |
06.10.2021 07:00 Uhr |
Fetter Seefisch, zum Beispiel Hering, ist reich an Omega-3-Fettsäuren wie Eicosapentaensäure (EPA). EPA ist der aktive Metabolit von Icosapent-Ethyl. / Foto: Adobe Stock/Gorodenkoff
Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) sind mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren, die in hohen Konzentrationen in fettem Seefisch wie Lachs oder Hering enthalten sind. Präparate mit EPA und DHA, landläufig als Fischöl-Kapseln bezeichnet, waren bis 2019 in Deutschland und mehreren anderen europäischen Ländern zur Rezidivprophylaxe nach einem Herzinfarkt und zur Senkung hoher Triglyceridwerte zugelassen. Die erste Indikation verloren sie jedoch, nachdem die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) 2018 in einem Review keinen überzeugenden Beleg dafür finden konnte.
Kurz darauf erschienen im renommierten »New England Journal of Medicine« allerdings die Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie, die für kardiovaskuläre Risikopatienten einen deutlichen Vorteil durch die Einnahme der modifizierten EPA Icosapent-Ethyl belegten (DOI: 10.1056/NEJMoa1812792). Zwei Jahre später ist Icosapent-Ethyl (Vazkepa® 998 mg Weichkapseln, Amarin) nun neu auf dem Markt verfügbar. Die Indikation lautet: zur Reduzierung des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse bei mit Statinen behandelten erwachsenen Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko und erhöhten Triglyceridwerten sowie nachgewiesener kardiovaskulärer Erkrankung oder Diabetes und mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor.
Obwohl erhöhte Triglyceridwerte demnach eine Voraussetzung für die Anwendung sind und sich das Lipidprofil unter Icosapent-Ethyl bessert, ist dies laut Fachinformation wahrscheinlich nicht der Hauptwirkmechanismus. Daneben spielen offenbar entzündungshemmende und antioxidative Effekte, eine Reduzierung der Makrophagen-Akkumulation, eine Verbesserung der endothelialen Funktion, eine Verkleinerung und Stabilisation atherosklerotischer Plaques sowie eine Thrombozytenaggregationshemmung eine Rolle. Ein multifaktorielles Geschehen also.
Täglich sollen zweimal zwei Kapseln, also insgesamt vier Kapseln zu oder nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Sie sollten im Ganzen geschluckt werden. Vazkepa enthält neben dem aus Fischöl gewonnenen Wirkstoff unter anderem Sorbitol und Phospholipide aus Sojabohnen. Menschen mit hereditärer Fructoseintoleranz oder einer Allergie auf Soja oder Erdnuss dürfen das Arzneimittel daher nicht anwenden. Bei Überempfindlichkeit gegen Fisch oder Schalentiere ist Vorsicht geboten. In der Schwangerschaft sollte die Anwendung vorsichtshalber vermieden werden; in der Stillzeit sind die Vorteile für die Mutter gegen mögliche Nachteile für das Kind abzuwägen und es ist eine Entscheidung über das Weiterführen/Pausieren/Absetzen von Icosapent-Ethyl beziehungsweise das Abstillen zu treffen.
Mit Blick auf die thrombozytenaggregationshemmende Wirkkomponente überrascht es nicht, dass die häufigste unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) von Icosapent-Ethyl in der Zulassungsstudie Blutungen waren. Sie traten unter Verum bei 11,8 Prozent der Behandelten auf gegenüber 9,9 Prozent unter Placebo. Hieran ist insbesondere dann zu denken, wenn der Patient zusätzlich andere Blutverdünner wie Acetylsalicylsäure oder orale Antikoagulanzien erhält.
Eine weitere wichtige UAW von Icosapent-Ethyl ist Vorhofflimmern oder Vorhofflattern, das bei 5,8 Prozent der behandelten Probanden auftrat (4,5 Prozent unter Placebo). Besonders gefährdet waren Patienten mit einer entsprechenden Vorgeschichte (12,5 versus 6,3 Prozent). Häufig kam es zudem zu einem peripheren Ödem (7,8 Prozent), Obstipation (5,4 Prozent), Muskel- und Skelettschmerzen (4,3 Prozent), Gicht (4,3 Prozent) und Ausschlag (3,0 Prozent.
Wirksamkeit und Sicherheit von Vazkepa konnten in der bereits erwähnten REDUCE-IT-Studie gezeigt werden. An ihr nahmen 8179 Patienten mit moderat erhöhten Triglyceridwerten teil, die ein Statin einnahmen und entweder an einer bestätigten kardiovaskulären Erkrankung wie koronarer Herzkrankheit litten oder Diabetiker waren und zusätzlich weitere Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen aufwiesen. Zu Letzteren zählten etwa Bluthochdruck, niedriges HDL-Cholesterol oder Rauchen. Jeweils die Hälfte der Probanden erhielt zweimal täglich zwei Kapseln Vazkepa oder Kapseln mit einem Mineralöl, die als Placebo dienten. Die mediane Beobachtungszeit betrug 4,9 Jahre.
Der Unterschied zwischen den beiden Studienarmen im primären Endpunkt – Zeit bis zum ersten Auftreten von kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Koronarrevaskularisation oder Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris – war statistisch signifikant. Insgesamt war das relative Risiko für diese Ereignisse um 25 Prozent reduziert. Im Einzelnen wurden die Risiken für einen Herzinfarkt um 31 Prozent, einen Schlaganfall um 28 Prozent und kardiovaskulären Tod um 20 Prozent gesenkt (sekundäre Endpunkte).
Zwischen diesen kardiovaskulären Outcomes und der Entwicklung der LDL-Cholesterol- und Triglyceridwerte im Studienverlauf bestand dabei keine oder nur eine geringe Korrelation. Das zeigt, dass die Annahme wahrscheinlich richtig ist, dass die Wirkung von Icosapent-Ethyl auf die Blutfette für die beobachteten Effekte nur zu einem geringen Teil verantwortlich ist.
Nachdem es mehrere Untersuchungen gab, in denen eine Supplementierung von Omega-3-Fettsäuren keinen kardiovaskulären Benefit gebracht hat, lässt die Zulassung von Icosapent-Ethyl aufhorchen. Das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen, etwa Herzinfarkt und Schlaganfall, konnte mit Vazkepa im Vergleich zu Placebo in einer großen Studie deutlich gesenkt werden. Zugelassen ist der Ethylester der Eicosapentaensäure nun zur Senkung des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse bei Erwachsenen, die mit Statinen behandelt werden und ein hohes Herz-Kreislauf-Risiko und erhöhte Triglyceridspiegel aufweisen und bereits an einer kardiovaskulären Erkrankung leiden oder Diabetes mit mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor haben. Das heißt, das Kollektiv möglicher Patienten, die von Vazkepa profitieren könnten, ist groß. Vorläufig kann Icosapent-Ethyl als Sprunginnovation eingestuft werden.
Die Erfolge in der REDUCE-IT-Studie führen Wissenschaftler darauf zurück, dass eine hohe Dosierung von Icosapent-Ethyl zum Einsatz kam und anders als bei vielen anderen Fischöl-Kapseln keine Docosahexaensäure (DHA) in der Studienmedikation enthalten war, die den LDL-Wert steigern könnte. Die erzielten Erfolge müssen in weiteren Untersuchungen aber unbedingt bestätigt werden und können auf andere Omega-3-Präparate auf keinen Fall übertragen werden.
Zu klären ist noch, welchen Effekt der Einsatz von Mineralöl-Kapseln in der Placebogruppe hatte. Im »New England Journal of Medicine« räumen die Autoren ein, dass es dadurch möglicherweise zu Verzerrungen gekommen sein könnte, zum Beispiel weil Mineralöle die Statin-Resorption negativ beeinflusst haben könnten. Dagegen spricht jedoch, dass die beobachteten Effekte von der Entwicklung des LDL-Cholesterols weitgehend unabhängig waren. Beachtet werden sollte ferner das in der Fachinformation thematisierte erhöhte Risiko für Vorhofflimmern.
Sven Siebenand, Chefredakteur