Cannabis-Fertigarzneimittel gegen Rückenschmerz wird geprüft |
Daniela Hüttemann |
26.08.2021 18:00 Uhr |
Für chronische Rückenschmerzen lässt sich oft keine konkrete Ursache mehr finden. Therapiert wird multimodal, darunter Bewegung, aber auch eine adäquate medikamentöse Schmerztherapie. / Foto: Getty Images/gilaxia
Ein Kritikpunkt an der Therapie mit Medizinal-Cannabis ist die große Variabilität bei den angebotenen Produkten. Aus evidenzbasierter Sicht ist ein standardisiertes Fertigarzneimittel zu bevorzugen. Das vereinfacht Handling und auch die Kostenerstattung.
Bislang gibt es jedoch nur wenige Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis und diese haben ein sehr enges Indikationsspektrum (siehe Kasten). Die Off-Label-Verordnung dieser Präparate ist mitunter schwierig. Zudem gibt es noch kein zugelassenes Fertigarzneimittel auf Basis eines Cannabis-Vollextrakts. Das bayerische Unternehmen Vertanical will nun eine Therapielücke für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen schließen – ein Markt mit immerhin 25 Millionen Patienten allein in Europa. Vertanical bietet bereits standardisierte Cannabis-Vollextrakte für die Herstellung von Rezepturarzneimitteln in der Apotheke sowie die Reinsubstanz Dronabinol und THC-reiche Cannabisblüten an.
Die Firma hat nun im Mai eine Phase-III-Studie mit einem neuen Fertigarzneimittel gestartet, an der mehr als 800 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen an rund 100 qualifizierten Schmerzzentren in Deutschland und Österreich teilnehmen sollen. »Wir wollen ein Schmerzmittel etablieren, das eine potente und verträgliche Alternative zur Behandlung mit Opioiden darstellt«, erklärte Dr. Clemens Fischer, Gründer von Vertanical und Mediziner, zum Studienauftakt. Ehrgeiziger Plan ist, Opioid-Analgetika in Zukunft weltweit zu ersetzen. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Die ersten Ergebnisse der Studie erwartet die Firma in der zweiten Jahreshälfte 2022. Mit einer Zulassung gegen chronische Rückenschmerzen ist also nicht vor 2023 zu rechnen.
Das Präparat hat bisher noch keinen Markennamen und läuft unter dem Kürzel VER-01. Es handelt sich um einen Cannabis-Vollextrakt in einer flüssigen Zubereitung in Sesamöl zur oralen Anwendung, teilte Vertanical der Pharmazeutischen Zeitung auf Nachfrage mit. Er basiert auf einer eigenen Züchtung. Das genaue Verhältnis der Hauptcannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) wollte die Firma noch nicht verraten, da man derzeit noch eine Patentierung der Pflanze prüfe. Man habe diese aus mehr als 500 Pflanzengenetiken für ein bestmögliches Therapieergebnis speziell bei Rückenschmerzen selektiert. Laut Studienprotokoll enthält das Arzneimittel 21 mg THC pro Gramm Arzneimittel.
Besonderes Augenmerk wurde auf das Terpen-Profil der Pflanze gelegt – ein Novum, denn bislang werden die Terpene bei der Auswahl auch bei Medizinal-Cannabis kaum berücksichtigt. Dabei sind sich Experten einig, dass auch sie über die Wirkeffekte mitbestimmen. So betont auch Vertanical gegenüber der PZ: »Das gesamte Wirkspektrum ergibt sich aus dem konkreten Zusammenspiel aller Wirkstoffe und ihrer Profile in unserer individuell entwickelten Cannabis-Pflanze.« Chronische Schmerzpatienten könnten von der antidepressiven und durchschlaffördernden Wirkung bestimmter Terpene wie β-Caryophyllen und Myrcen profitieren.
Der Effekt, Langzeitsicherheit und ein mögliches Abhängigkeitspotenzial werden nun bei Patienten mit chronischen (länger als drei Monate anhaltenden) nicht-spezifischen Kreuzschmerzen in einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie über bis zu 18 Monate geprüft. Die Probanden leiden unter mindestens mittelschweren Schmerzen (mindestens vier auf einer Skala von null bis zehn) und haben zuvor auf eine optimierte Therapie mit Nicht-Opioid-Analgetika wie Ibuprofen, ASS oder Metamizol nicht ausreichend angesprochen oder diese war für sie nicht geeignet. Es werden derzeit noch Probanden gesucht, die mehr Informationen über die Teilnahme unter www.studie-rueckenschmerzen.de finden.