Cannabis auf Rezept wirkt kaum, macht aber abhängig |
Annette Rößler |
23.03.2022 18:00 Uhr |
In den USA läuft eine Therapie mit medizinischem Cannabis deutlich unkontrollierter ab als in Deutschland. / Foto: Getty Images/Jupiterimages
Cannabis zu medizinischen Zwecken wird in Deutschland seit 2017 zwar legal, aber in den meisten Indikationen ohne eine Zulassung eingesetzt. Am häufigsten wird die Droge dabei laut einer Auswertung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aus dem Jahr 2019 zur Behandlung von Schmerzen verordnet; zwei von drei der mit Cannabis behandelten Patienten waren Schmerzpatienten. Wie bei anderen Arzneimitteln auch müssen die Darreichungsform, die Art der Anwendung und die Dosis auf dem Rezept angegeben sein.
In den USA, wo Cannabis als Medikament mittlerweile auch in 36 Bundesstaaten legalisiert wurde, sind die Regeln deutlich laxer. Patienten können sich dort von einem speziellen »Cannabis-Arzt«, der üblicherweise nicht der behandelnde Hausarzt ist, ein Attest holen und damit gegen eine Gebühr von circa 50 US-Dollar (45,50 Euro) eine sogenannte Medical Marijuana Card (MMC) erwerben. Die Cannabis-Ärzte erteilten diese Atteste nach einer lediglich flüchtigen Untersuchung, gäben keine Empfehlungen für alternative Therapien und verfolgten das weitere Schicksal des Patienten nicht nach, heißt es in einer Pressemitteilung des Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston.
Patienten, die im Besitz einer MMC sind, dürfen damit Cannabis zu medizinischen Zwecken kaufen, besitzen und anbauen. Wie sie die Droge anwenden und dosieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Die Medizinalhanf-Industrie befinde sich »in der Tat außerhalb regulatorischer Standards, die für die meisten Gebiete der Medizin gelten«, heißt es dazu vom MGH.
Forscher des MGH um den Psychiater Dr. Jodi M. Gilman haben in einer offenen Studie mit 186 Patienten untersucht, wie erfolgreich diese freizügige Art der Anwendung von Cannabis ist. Alle Probanden hatten bereits ein Attest für eine MMC erhalten, und zwar aufgrund von chronischen Schmerzen, Insomnie, Angststörungen oder Depression. 105 Teilnehmer erwarben daraufhin sofort eine MMC und begannen die Cannabis-Therapie, während 81 Teilnehmer damit noch zwölf Wochen warteten.
Im »JAMA Network Open« berichtet das Team um Gilman, dass der unmittelbare Therapiestart in den ersten zwölf Wochen verglichen mit der Wartegruppe zwar zu einer geringfügigen Besserung der Schlafprobleme der Patienten führte, sich aber Schmerzen, Angst- und depressive Symptome nicht signifikant besserten. In der Sofortstartergruppe waren zudem etwas mehr Symptome einer Cannabis-Gebrauchsstörung (CUD) zu verzeichnen und doppelt so viele Patienten (17,1 versus 8,6 Prozent) entwickelten eine CUD, die den Diagnosekriterien des DSM-V genügte. In den meisten Fällen war diese jedoch nur leicht ausgeprägt.
Besonders anfällig für eine CUD, also eine Abhängigkeit, waren Patienten mit Angststörungen oder Depression. Laut Gilman stellen diese in den USA die Mehrheit der Anwender von medizinischem Cannabis – ein großer Unterschied zu Deutschland, wo psychiatrische Indikationen deutlich seltener Verordnungsgrund sind als chronische Schmerzen. Dies und die Tatsache, dass die Cannabis-Therapie in den USA offenbar weitaus unkontrollierter abläuft als hierzulande, schränken die Aussagekraft der Studie für deutsche Leser ein.
Denn gerade in den psychiatrischen Indikationen fehlen laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2019 noch Belege dafür, dass Cannabis überhaupt wirkt. Nebenwirkungen der Therapie, zu denen auch eine Gewöhnung zählt, waren dagegen in der BfArM-Erhebung einer der Gründe dafür, dass mehr als jeder dritte Patient eine Cannabis-Therapie wieder abbrach.