Bundesrat sieht im EU-Pharmapaket Gefahren für Apotheken |
Jennifer Evans |
24.11.2023 16:00 Uhr |
Die Mitglieder des Bundesrats haben heute mit großer Mehrheit eine umfangreiche Stellungnahme zum EU-Pharmapaket abgenickt. Darin geht es auch um den Apothekensektor. / Foto: Bundesrat
Seit April 2023 liegt das 500-Seiten starke EU-Pharmapaket auf dem Tisch. Die EU-Kommission hat dafür in den vergangenen Monaten viel Kritik abbekommen. Am heutigen Freitag stand die Reform des europäischen Arzneimittelrechts schließlich auf der Tagesordnung des Bundesrats. Seine Anmerkungen zu dem Reformvorschlag der EU-Kommission fallen ebenfalls sehr umfangreich aus. Einige Regelungen in dem Entwurf der EU-Kommission waren den zuständigen Ausschüsse deutlich zu detailliert, andere wiederum gingen ihnen nicht weit genug. Einige Bedenken hatten sie auch mit Blick auf den Apothekenmarkt. Die Mitglieder des Bundesrates haben heute die Ausschussempfehlungen angenommen. Diese Stellungnahme landet nun als nächstes auf dem Tisch der EU-Kommission.
Mit dem EU-Pharmapaket will die EU-Kommission die Arzneimittelversorgung krisen- und zukunftssicher gestalten, die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen und Lieferengpässe bekämpfen sowie Probleme des ungedeckten medizinischen Bedarfs angehen. Ziel ist es, einen nachhaltigen, widerstandsfähigen, fairen und wettbewerbsfähigen Arzneimittelsektor zu schaffen, der sich auch dem digitalen Wandel anpasst.
Grundsätzlich begrüßt der Bundesrat das Bestreben, die Versorgung von EU-Bürgern mit sicheren und erschwinglichen Arzneimitteln sicherzustellen sowie die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Arzneimittelhersteller zu unterstützen und die Zulassungsverfahren zu vereinfachen.
Was das Problem der Arzneimittellieferengpässe angeht, ist der Bundesrat allerdings unzufrieden mit dem EU-Entwurf und hält es für erforderlich, zeitnah das sogenannte Non-Paper »Improving the Security of Medicines Supply in Europe« umzusetzen. Insbesondere geht es ihm darum, bei versorgungskritischen Arzneimitteln und Wirkstoffen härter durchzugreifen, um weniger abhängig von anderen Staaten zu sein. Außerdem erachtet er für wichtig, die Versorgungssicherheit in Europa stärker zu fokussieren und nicht nur an den Preis zu denken.
Ein grundsätzliches Anliegen des Bundesrats bei der Bewältigung von Lieferengpässen ist es, dass die EU-Kommission die Komplexität der Verfahren nicht aus den Augen verliert. Gebe es zu viele Beteiligte, seien »übersichtliche und klar strukturierte Prozesse« dringend erforderlich. Zudem bittet er um Prüfung, ob das europäische Fälschungsabwehrsystem, in Deutschland Securpharm, zur Erkennung von Arzneimittelengpässen eingesetzt werden kann.
Was den Patentschutz angeht, wünscht sich der Bundesrat mehr Rechtssicherheit. Diese erhöht in seinen Augen die Standort-Attraktivität, weil die Unternehmen so besser planen können. Für das Engagement der Pharmaindustrie in Deutschland und Europa spielten nämlich die Marktexklusivität sowie der Unterlagenschutz eine bedeutende Rolle, heißt es in seiner Stellungnahme. Die generelle Verkürzung des Unterlagenschutzes um zwei Jahre ist daher aus Sicht des Bundesrats »das falsche politische Signal.« Ähnliche Risiken hatte auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) angemerkt.
Für ebenso ungeeignet erachtet er die Pläne, die Marktexklusivität für Orphan Drugs um ein Jahr zu kürzen. Der Bundesrat spricht sich daher dafür aus, den rechtlichen Datenschutz von acht Jahren beizubehalten. Allerdings sei in der Gesamtabwägung abzuwägen, ob ein verkürzter Unterlagenschutz tatsächlich die Kassen entlaste, weil so Generika schneller auf den Markt gelangen könnten. Von der geplanten Voucher-Lösung als Anreiz für die Antibiotika-Entwicklung zeigte er sich wenig begeistert, weil sie aufgrund der »derzeitigen sehr restriktiven Ausgestaltung nur eingeschränkt sinnvoll« sei. Dieses Thema ist den meisten Mitgliedstaaten ein Dorn im Auge.
Der Bundesrat befürchtet ebenfalls negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und die Qualität patientenindividuell hergestellter Arzneimittel. Denn laut EU-Plänen sollen Apotheken ärztlich verordnete Arzneimittel nur noch für die Versorgung von Krankenhäusern im Voraus herstellen dürfen. Nach Ansicht des Bundesrats führt das aber nicht zu mehr Sicherheit. Im Gegenteil zerstöre es eher »bewährte und flexible Versorgungsstrukturen«.
Sorgen bereitet dem Bundesrat außerdem, dass womöglich die Defekturherstellung in Apotheken gefährdet wird. Hintergrund ist eine Erweiterung der Definition des Begriffs Arzneimittel. Die Einschränkung, dass darunter nur industriell hergestellte Arzneimittel fallen, ist nämlich im Kommissionsvorschlag gestrichen. So besteht die Gefahr, dass die Ausnahmeregelung, die sogenannte »formula officinalis« (Herstellung in Apotheken auf Rezept) »tendenziell enger ausgelegt wird«. Gemeint ist, dass im Vergleich zum aktuellen deutschen Recht dafür sehr hohe Anforderungen gelten, die womöglich zu Versorgungslücken führen könnten. Die ABDA hatte diesen Aspekt ebenfalls bereits in ihrer Stellungnahme zum EU-Pharmapaket moniert.
Geht es nach dem Bundesrat, sollte die EU-Kommission auch sicherstellen, dass Apotheken bestimmte, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wie Antimykotika, antivirale Arzneimittel und Schmerzmittel weiterhin ohne Rezept abgegeben können. Dabei argumentiert er unter anderem damit, künftig Ressourcen sparen zu wollen. Andernfalls müsse ein Patient mit häufigen, aber nicht schwerwiegenden Erkrankungen immer erst einen Arzt aufsuchen. »Es sollte darauf hingewirkt werden, dass Apotheker und Ärzte bei rezeptfreien Arzneimitteln stärker auch auf die Umweltwirkungen achten«, lautet die Empfehlung. Auch lehnt er es ab, dass Arzneimittel nur deshalb der ärztlichen Verschreibungspflicht unterstellt werden sollen, weil diese einen antimikrobiell wirksamen Wirkstoff enthalten.
Der Nachhaltigkeitsgedanke ist ebenfalls Hintergrund der Bundesrats-Empfehlung, die Arzneimittel-Packungsbeilage in Papierform in dem EU-Reformpaket doch dem elektronischen Formats rechtlich gleichzustellen. Überlasse die EU dagegen den Mitgliedstaaten die Entscheidung, stehe das dem Umwelt- und Digitalisierungsgedanken entgegen.
Kritisch sieht der Bundesrat darüber hinaus die vorgesehene Neuorganisation der Europäischen Arzneimittelagentur – EMA. Ihre Ausschussarbeit zeichne sich durch hohe Professionalität aus. »Zur Beschleunigung von Zulassungsverfahren und zur Vermeidung von Bürokratie sollen die Arbeiten dieser Ausschüsse in den verbleibenden Hauptausschüssen für den Humanarzneimittelbereich weitergeführt werden«, rät er. Denn durch die geplante Einführung diverser Unterausschüsse befürchtet er weniger Transparenz und Effektivität.
Die Arzneimittelhersteller sehen in den Reformplänen aus Brüssel einen Rückschritt: »Das vorliegende Pharma-Paket verliert sich in Details und plant auf Schlüsselfeldern wie dem Schutz geistigen Eigentums sogar Verschlechterungen beim Status quo«, wie Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), in dieser Woche kommentierte. Das Vorhaben würde Unternehmen den Anreiz nehmen, in neue Arzneimittel in Europa zu investieren. Es gehe dabei um 55 Prozent weniger Investitionen in den nächsten 15 Jahren, betonte er mit Verweis auf Zahlen des europäischen Pharmaverbands (EFPIA). Und bis 2040 werde der Sektor Forschung und Entwicklung sogar noch ein weiteres Drittel verlieren, hebt der vfa hervor.
Demnach sind Deutschland, Belgien und Frankreich von der Entwicklung am stärksten betroffenen. Steutel: »Europa sollte die Chance einer umfassenden Neuregulierung im Pharmasektor nicht verspielen und jetzt ein klares Signal aussenden, dass es zur globalen Aufholjagd entschlossen ist.« Darüber hinaus warnte er die Bundesregierung davor, sich nicht von Brüssel ihre Industriestrategie durchkreuzen zu lassen.