Bei Vergiftungen Ja, bei Durchfall Nein |
Annette Rößler |
17.08.2023 07:00 Uhr |
Medizinische Kohle wird in Wasser aufgeschwemmt und dann getrunken. Bei Vergiftungen kommen so hohe Dosen zum Einsatz, dass bei Verwendung von Kohletabletten enorme Mengen aufgelöst werden müssen. / Foto: Adobe Stock/dvulikaia
Aktivkohle oder auch medizinische Kohle (Carbo activatus beziehungsweise medicinalis) ist kein Rohstoff, der im Bergwerk abgebaut wird, sondern Kohle, deren innere Oberfläche durch chemische und/oder physikalische Verfahren stark porös gemacht und dadurch vergrößert – aktiviert – wurde. Prinzipiell kann Holz- oder Steinkohle zwar auch zu Aktivkohle verarbeitet werden. Für die Herstellung von medizinischer Kohle wird heute aber zumeist auf spezielle Weise verkohltes pflanzliches Material wie Holz, Torf, Kokosfasern oder Nussschalen, sogenannte Pflanzenkohle, verwendet.
An ihrer großen Oberfläche kann Aktivkohle Gase und Flüssigkeiten adsorbieren. Eine Kenngröße für das Adsorptionsvermögen von Aktivkohle ist die Iodzahl. Sie gibt an, wie viel mg Iod eine wässrige Lösung von 1 g Aktivkohle adsorbiert. Industriell wird Aktivkohle unter anderem zur Reinigung von Luft und Wasser oder auch zur Rückgewinnung von Lösungsmitteln eingesetzt, wobei ein großer Vorteil darin liegt, dass sie bei hohen Temperaturen regeneriert und dann wiederverwendet werden kann.
Medizinisch wird Aktivkohle genutzt, um verschluckte Giftstoffe im Magen-Darm-Trakt zu adsorbieren, aus dem Körper hinauszutransportieren und so Vergiftungen zu verhindern. Da die Adsorption an Aktivkohle reversibel ist, können sich die giftigen Substanzen allerdings auch wieder von ihr ablösen, wenn ihre Konzentration im Gastrointestinaltrakt, etwa durch Resorption, absinkt. Das ist natürlich nicht gewünscht. Bei Vergiftungen muss Aktivkohle daher ausreichend hoch dosiert und unter Umständen mehrfach gegeben werden.
Eine Leitlinie zur Anwendung von Aktivkohle bei Vergiftungen gibt es nicht. In einem Übersichtsartikel im »Deutschen Ärzteblatt« aus dem Jahr 2019 empfahl eine Autorengruppe um Dr. Tobias Zellner vom Klinikum rechts der Isar und Giftnotruf München folgende Dosierungen: für Kinder 0,5 bis 1 g pro kg Körpergewicht (KG), jedoch maximal 30 bis 50 g, für Erwachsene (ab 50 kg) 50 g. Diese Initialdosen können von repetitiven Gaben alle ein bis vier Stunden gefolgt werden, die dann niedriger dosiert werden (DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311).
50 g medizinische Kohle Pulver zur Herstellung einer Suspension sind laut § 15 Absatz 1 Apothekenbetriebsordnung in jeder Apotheke vorrätig zu halten. Theoretisch können bei Vergiftungen auch Aktivkohle-Tabletten (zum Beispiel Kohle-Compretten®) gegeben werden, allerdings müssen von den 250-mg-Tabletten 200 Stück eingesetzt werden, um auf die Dosis von 50 g zu kommen. Ob Pulver oder Tabletten: In jedem Fall muss Aktivkohle vor der Anwendung aufgeschwemmt werden, am besten in stillem Wasser. Diese Suspension muss der Patient trinken. Bei Aspirationsgefahr oder wiederholtem Erbrechen raten Zellner und Kollegen von der Gabe ab.