Bakterielle Vielfalt in aller Munde |
Für das fein austarierte Gleichgewicht zwischen den Keimen spielt der Speichel eine wichtige Rolle. Die Drüsen in der Lippen-, Gaumen- und Wangenschleimhaut produzieren bei gesunden Menschen täglich bis zu 1,5 Liter Speichel. Dieser hat wichtige Aufgaben. Beim Kauen, Schlucken und Sprechen dient er als Gleitmittel und durch seine Spülfunktion befreit er den Mund grob von Speiseresten und schädlichen Keimen.
Gleichzeitig hält der Speichel die Mundschleimhaut feucht und benetzt die Zähne. Bicarbonat, Phosphat und Proteine können zahnschädigende Säuren neutralisieren, und die Mineralstoffe Fluorid, Calcium und Phosphat dienen der Remineralisierung der Zähne. Immunglobulin A und die Enzyme Lysozym, Laktoferrin und Laktoperoxidase sorgen für die Infektabwehr. Seine Amylasen helfen bei der Zerkleinerung von Kohlenhydraten.
»Aufgrund der Polymedikation ist Mundtrockenheit ein massives Problem in der älteren Bevölkerung und hat große Relevanz für die Entstehung von Karies«, weiß Hannig. In der Tat sind Medikamente die häufigste Ursache der Xerostomie, wie die Mundtrockenheit auch genannt wird. Bei mehr als 400 Arzneistoffen kann Mundtrockenheit als Nebenwirkung auftreten.
Arzneistoffe sind die Haupturheber für Mundtrockenheit. Vor allem, wenn die Arzneimittel dauerhaft eingenommen werden müssen, treten trockene Schleimhäute zutage. Werden Arzneimittel mit anticholinerger Haupt- oder Nebenwirkung miteinander kombiniert, addiert sich gar die anticholinerge Last und der Speichelfluss nimmt merklich ab. Kommt dann noch eine altersbedingte Reduktion der Speichelmenge hinzu, wird das Trockenheitsgefühl oft unerträglich.
An erster Stelle stehen Arzneistoffe, die über das zentrale oder periphere Nervensystem die Regulation der Speicheldrüsen beeinflussen, die also anticholinerg wirken. Dazu gehören vor allem Psychopharmaka wie Amitriptylin, Doxepin oder Venlafaxin, Antihistaminika wie Diphenhydramin oder Dimetinden, Antihypertonika wie Clonidin (übrigens auch in Glaukom-Augentropfen) und Moxonidin, Nifedipin, manche ACE-Hemmer und Betablocker.
Auch Bestrahlungen im Kopf-, Hals-, Mund- und Kieferbereich beeinträchtigen die Mundgesundheit. »Parallel zur strahleninduzierten Mukositis kann auch Speicheldrüsengeweben zerstört werden; die Ohr-, die Kiefer- und die Unterzungenspeicheldrüse sind häufig mit im Strahlenfeld. Wird das Gewebe irreversibel zerstört, ist die Speichelproduktion in Qualität und Quantität massiv beeinträchtigt. Das ist ein Problem, das weit über die Zeit der Bestrahlung hinausgeht und die Patienten über Jahrzehnte belastet.«
Sind Großteile des Speicheldrüsengewebes zerstört, entwickeln sich laut Hannig in der Mundhöhle besorgniserregende Krankheitsbilder. »Die Zähne erscheinen von innen her erweicht, eine Art gummiartige Konsistenz des Zahnbeins, der Zahnschmelz hält nicht mehr richtig auf dem Zahnbein, schert unter Kaubelastung ab, das weiche Zahnbein liegt frei. Was früher als Strahlenkaries bezeichnet wurde, sehen wir heute als kombiniertes Krankheitsbild aus Karies, Verminderung des Speichelflusses und Strahlenschaden an der Zahnhartsubstanz.«