Pharmazeutische Zeitung online
Was bislang zu kurz kam

Von Bierrobotern und betrunkenen Fruchtfliegen

18.12.2006  13:10 Uhr

Was bislang zu kurz kam

Von Bierrobotern und betrunkenen Fruchtfliegen

Von Daniel Rücker

 

Noch gut eine Woche, dann ist 2006 Geschichte. Zum Glück, werden viele Apotheker sagen, ein gutes Jahr war es wirklich nicht. An dieser Einschätzung ist die PZ vielleicht nicht ganz unschuldig ­ keine Ausgabe ohne schlechte Botschaften. Zum Jahresende nun ein kleiner Ausgleich: ein Rückblick, frei von AVWG, WSG, SPD und CDU.

 

Zuerst ein Blick auf das genauso wichtige wie unschöne und deshalb oft vernachlässigte Thema Hygiene. Hier scheint es um die Männer eher schlecht bestellt zu sein: Sie putzen sich zu wenig die Zähne und kaufen zu selten Unterhosen. Doch der Reihe nach: Nach einer Untersuchung reinigen sich fast 90 Prozent der Frauen zweimal täglich die Zähne. Bei den Männern sind es nur 75 Prozent.

 

Lange hat der männliche Teil der Redaktion über diese auf den ersten Blick schockierende Wahrheit gegrübelt. Dann haben wir jedoch erkannt, dass es sich hier nur um ein vermeintliches Defizit handelt. Männer haben einfach furchtbar viel zu tun. Da muss man effizient sein. Es gibt wirklich keinen Grund, Dinge zweimal anzufangen, die man auch in einem Rutsch erledigen kann. Ist es wirklich ein Vorteil, dass Frauen für dieselbe Sache doppelt so lange brauchen?

 

»Einmal« ist auch das Stichwort für das Thema Männer und Unterhosenkauf. Angeblich, so wurde uns zugetragen, kaufen deutsche Männer im Schnitt nur eine Unterhose pro Jahr. Das ist nicht viel, werden Sie sagen. Aber ist es zu wenig? Wenn man Unterwäsche pfleglich behandelt, dann hält sie lange. Vielleicht ist es einfach Sparsamkeit. Eine Unterhose ist womöglich teuer. Leider konnten wir diese Vermutung in der Redaktion nicht weiter verifizieren. Die Preisentwicklung von Herrenunterhosen nach der Euro-Einführung haben wir nicht weiter verfolgt. Wer weiß, was die Dinger heute kosten.

 

Andere Kleidungsstücke bergen hygienische Probleme offensichtlich immanent. Krawatten, getragen von einem Arzt, müssten nach einer Studie der British Medical Association (BMA) eigentlich waffenscheinpflichtig sein. Offensichtlich tragen die Mediziner jenseits des Kanals ihren Schlips gerne, wechseln ihn aber nur selten. Dafür fassen sie ihn häufig an. Deshalb bildet sich auf dem Binder im Laufe der Zeit eine Bakterienkultur, die die mikrobiologische Population der Klinik repräsentativ widerspiegelt. Für manche Patienten könne dieser Keimcocktail lebensbedrohlich sein, sagt die BMA und empfiehlt den Ärzten, auf das Tragen von Krawatten ganz zu verzichten. Star- und Arztschneider Timothy Everest fürchtet um seine Klientel und verrät in seiner Not einen absoluten Insider-Trick: Wer mehr als einen Schlips hat, kann diesen von Zeit zu Zeit waschen und trotzdem gut gekleidet in der Klinik erscheinen. Das muss man sich freilich erst einmal leisten können - als Arzt.

 

Von Sparsamkeit ist es nur ein kurzer Weg nach Schottland. Dort spielte sich vor wenigen Tagen ein Drama ab, dass uns sehr schnell und nah an das weite Feld der Beziehungen von Mann zu Frau und umgekehrt führt. Um es vorwegzunehmen, am Ende geht es wieder um das selbst für Stammtischwitze abgeschmackte Potenzmittel Viagra. Der Ausgangspunkt ist aber ein ungewöhnlicher. Akteure waren nämlich Männer, die sich das Rauchen abgewöhnen wollten. Denen verordneten Ärzte nicht Zyban, sondern Viagra. Die Sache flog auf, nachdem sich einiger Männer beschwerten. Eine weitaus größere Zahl hat sich womöglich nicht beschwert.

 

Natürlich haben wir in der Redaktion den anscheinend innovativen Therapieansatz diskutiert. Sollte hier substituiert werden? Sex statt Rauchen dient sicher der Gesundheit, ist aber im Büro oder im Restaurant oft mit praktischen Problemen verknüpft. Oder sind die Ärzte einfach ihren Assoziationen zum Begriff »Glimmstängel« gefolgt?

 

Die Wahrheit ist leider wieder einmal weitaus weniger interessant. Ein Computerfehler ist schuld. Die Ärzte hatten den richtigen Wirkstoff auf dem Bildschirm angeklickt, auf das Rezept wurde jedoch Viagra gedruckt. Da sage noch jemand, Programmierer hätten keinen Humor.

 

Auf bislang wenig beachtete Aspekte reproduktiven Verhaltens machte im Januar dieses Jahres das britische Wissenschaftsmagazin »New Scientist« aufmerksam. Nach einer dort veröffentlichten Untersuchung macht Sex vor Prüfungen oder Vorträgen locker und verbessert die Resultate. Mindestens eine Woche hält der Effekt, behauptet Studienleiter Stuart Brody, schränkt aber ein, dass nur der »echte Beischlaf« wirkt. Wir freuen uns über diese gute Nachricht und bewundern nun bei jedem Fortbildungskongress die lockeren und souveränen Vorträge mancher Referenten gleich aus mehreren Gründen.

 

Wenn es um die schönen Dinge des Lebens geht, dann gibt es jetzt nur noch eine denkbare Steigerung: Fußball. Und als absoluten Höhepunkt die Fußballweltmeisterschaft bei uns allen zu Hause. Den Titel, den uns Herr Klinsmann avisiert hatte, haben zwar die Falschen gewonnen. Dafür profitierten wir von zahlreichen Erkenntnissen, Ratschlägen und Vermutungen, die weniger bekannten Experten verschiedener Disziplinen den Weg in die Medien ebnete. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dass ein Fußballspiel im Hochsommer eine Grenzerfahrung ist. Nein, nicht für den Spieler. Der ist ja trainiert. Der grölende Fan im emotionalen Ausnahmezustand ist am Limit, denn »ein WM-Fußballspiel ist für viele Fans eine Extrembelastung, die sie sonst nicht haben«, zitierte dpa einen Professor für medizinische Klimatologie. Die Zuschauer müssten sich in der Hitze aufregen, aufspringen und laut schreien. Vor allem bei Nachmittagsspielen sei das für manchen Körper zu viel.

 

Wir haben schon lange vermutet, dass nicht die Spieler die wahren Helden des Fußballs sind, sondern die Zuschauer. Für wenig klug halten wir aber den Hinweis des Klimatologen, möglichst viel zu trinken. Der Fußballfan nimmt Wasser, um sich oder sein Auto zu waschen, wenn er Durst hat und Trinken empfohlen wird, bevorzugt er spaßigere Flüssigkeiten. Ob die tatsächlich dabei helfen, den zweiten Experten-Ratschlag zu befolgen, nämlich nicht so laut zu schreien, wird von den in allen Lebensfragen erfahrenen PZ-Redakteuren in Zweifel gezogen.

 

Alkohol, das wissen wir am besten, ist ohnehin keine Lösung. Auch nicht nach einem verlorenen WM-Halbfinale. Nachdem die Italiener Poldi, Schweini und Klinsi die Grenzen aufgezeigt hatten, war für uns die Selbsthilfegruppe der Anker in der Not. Ganz wie es ein Münchner Psychotherapeut empfahl, gingen wir daran, die Enttäuschung in der Fan-Gruppe aufzuarbeiten. Solche Traumen sind nämlich größer als der Einzelne in seiner physischen und psychischen Begrenztheit. Wir haben es dann auch geschafft. Seit Oktober erscheint die PZ wieder regelmäßig. Den Pharmacon Meran wird die PZ-Redaktion allerdings bis zur WM in Südafrika nur unter Protest besuchen.

 

Vorher müssen wir uns allerdings noch mit unseren Lebenspartnern aussöhnen. Wie Aachener Therapeuten berichteten, sind Frauen bei großen Fußballereignissen oft eifersüchtig. Die Männer teilten in solchen Zeiten Freud und Leid lieber mit ihren Freunden. Bei Frauen kämen dann Krisen aus früherer Zeit wieder ins Gedächtnis, oder so ähnlich. Die Aachener Therapeuten bieten an, streitende Paare während eines Spiels zu besuchen und ihr Verhalten zu analysieren. Freunde, realitätsferner geht‘s ja wohl nicht mehr! Welcher Fußballfan lädt sich jemanden nach Hause ein, der sich neben die ohnehin schon schmollende Partnerin setzt und nach einem Gegentor mit Kommentaren wie »Sie sollten Ihre Frau in Ihre Trauer einbeziehen«, oder »Vielleicht sollten Sie Ihrer Frau jetzt erklären, warum bei einem Rückpass die Abseitsregel nicht gilt«. Nein, so löst man keine Krisen. So macht man Gräben nur noch tiefer.

 

Noch mal kurz zurück zum Bier. Der heiße Sommer hat dessen Kurswert deutlich nach oben getrieben. Zur subjektiven Thermoregulation ist ja auch nichts besser geeignet als die gehopfte Gerstenbrause. Wer viel Bier trinkt, der bekommt freilich schnell ein Problem: Er muss häufig aus dem bequemen Sessel raus und zum Kühlschrank gehen. Gerade an heißen Tagen, kann dies schnell gefährlich werden.

 

Doch Rettung ist nicht fern. Wenn es irgendetwas an Qualität mit deutschem Bier aufnehmen kann dann ist es - Verzeihung, liebe Apotheker - deutsche Ingenieurskunst. Wenn diese auch noch gebündelt auftritt, dann muss etwas Gutes dabei entstehen. Zum Beispiel in Bremen. An der örtlichen Universität haben sich 248 angehende Ingenieure drei Monate lang zusammengerottet und Großes geschaffen: einen Roboter, der an heißen Tagen kühles Bier bringt. Da sage noch jemand, die Deutschen seien nicht innovativ. Leider sind sie aber zögerlich. Den Bierroboter werde es in den nächsten zehn Jahren noch nicht geben, heißt es. In Biergärten müssten bis auf Weiteres Menschen bedienen. Daran zweifeln wir nicht, denn schließlich muss erst noch programmiert werden, dass die Roboter die Gläser nur zu zwei Dritteln voll machen, sie halb voll bereits wieder abräumen, Aschenbecher erst bringen, wenn man aufgeraucht hat und muffig schauen, wenn der Kunde dafür auch noch zu wenig Trinkgeld gibt.

 

Wussten Sie eigentlich, dass Trunkenheit kein Privileg der Menschen ist? Natürlich wussten Sie das. Fast jeder kennt die Tierfilme, in denen Affen oder Elefanten vergorene Früchte fressen und sich dann benehmen als sei ihre Mannschaft gerade im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden. Wussten Sie aber auch, dass Fruchtfliegen sich die Ganglien ausschießen können? Bis auf die zelluläre Ebene reagieren sie genauso wie Menschen auf Alkohol, haben Wissenschaftler aus North Carolina festgestellt. Sie vertragen auch, genau wie wir Menschen, individuell unterschiedlich viel. Wir wollen das Freizeitverhalten von Drosophila und ihren Geschwistern an dieser Stelle weder kommentieren noch werten. Es kann uns ja auch egal sein, solange sie nicht angetrunken fliegen. Parallelen zwischen Menschen und Tieren haben auch Jeffry Mogil und sein Team von der McGill Universität in Montreal gesucht. Sie injizierten Mäusen eine schmerzauslösende Substanz und beobachteten, dass andere Mäuse, die ihre Artgenossen leiden sahen, Mitgefühl für diese entwickelten. Damit dürfte endgültig feststehen, dass sich Menschen und Mäuse deutlich voneinander unterscheiden. Das gilt übrigens auch für Schimpansen, denn die sollen nach Studien des Max-Planck-Instituts in Leipzig hilfsbereit sein. Und jetzt noch eine gute Meldung für alle Kölner Kokser. Wem die Droge zu teuer ist, der kann auch auf Rheinwasser umsteigen. Rund neun Tonnen Kokain fließen pro Jahr durch die Domstadt. Sie werden von den rund 40 Millionen Menschen geschnupft, deren Fäkalien in den größten deutschen Fluss geleitet werden. Damit erscheint auch der demonstrative Badegang des damaligen Umweltministers Klaus Töpfer in einem ganz anderen Licht. Für einen Spitzenpolitiker ist es allemal unverfänglicher, Bahnen zu schwimmen als Linien zu ziehen.

 

Kurz bevor 2006 sich verabschiedet, möchten wir Sie auch noch in der gebotenen Kürze mit den Ergebnissen einiger Studien vertraut machen, die wir bislang links liegen ließen. So fanden Wissenschaftler heraus, dass Kinder dick werden, wenn sie zu viele Hamburger und Pommes frites essen, dass die Intelligenz eines Menschen nicht von seinem Sternzeichen abhängt und dass Geld aus Menschen Gutes und Schlechtes herausholen kann. Wir staunen ob dieser überraschenden Erkenntnisse nicht schlecht und wünschen uns für 2007 Untersuchungen darüber, ob sich reiche Menschen mehr leisten können als Arme, ob Wasser immer den Berg hinab fließt und Autos nachts häufiger mit Licht fahren als tagsüber.

 

Nachdrücklich bestreiten müssen wir die Behauptung eines Freiburger Neurologen, Sport mache schlau. Der Mann schaut wohl keine Sportschau und keine Fußball-WM. Natürlich gibt es immer mal wieder einen Fußballer, der flüssig und in ganzen Sätzen spricht, der ein Repertoire von Fremdwörtern hat, auf das er sicher zurückgreifen kann. Für die Mehrheit gilt das jedoch leider nicht. Jetzt denken Sie einmal an einen durchschnittlichen Nationalspieler und wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt. Wenn der tatsächlich durch Sport schlauer geworden sein soll, dann möchte man sich nicht vorstellen, wie der Herr vorher mental aufgestellt war.

 

Zum Schluss kehren wir noch einmal thematisch zum Beginn dieses Textes zurück, und das soll auch die gute Meldung sein, die jedem Jahresrückblick zu einem versöhnlichen Ende verhilft. Der staatliche britische Gesundheitsdienst hat einen Ratgeber aufgelegt, in dem Experten Tipps für das richtige Verhalten auf der Kloschüssel geben. Neben der richtigen Atemtechnik vor Ort, wird auch die optimale Sitzposition für eine optimale Verrichtung dargestellt. Empfohlen wird, die Füße auf einen Schemel zu stellen, damit sie mehr Druck generieren können.

 

Sie halten das für vollkommenen Blödsinn? Da haben Sie Recht. Dennoch finden wir die Sache gut. Solange sich Gesundheitsbehörden um die optimale Darmentleerung der Versicherten bemühen, kommen sie nicht auf dumme Ideen. Es wäre besser, im Bundesgesundheitsministerium würde man sich Themen wie »die optimale Schlafhaltung«, »Expertentipps zum korrekten Naseputzen« oder »effektives Händesäubern mit und ohne Wasser« kümmern. Währenddessen würden die Beamten dort keinen Unsinn machen. Das GKV-WSG würde dann garantiert nicht vor 2020 fertig, und das AVWG hätte es nie gegeben. Oh, jetzt sind die bösen Worte doch gefallen, Verzeihung.

Mehr von Avoxa