Ein Baum für tausend Tüten |
13.12.2016 15:37 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / »Wenn wir unseren Planeten weiter so mit Kunststoff vermüllen, wie wir das derzeit tun, ist das nicht nur umweltschädlich, sondern in hohem Maß unsozial.« Über Papier statt Plastik und mehr Nachhaltigkeit in der Apotheke sprach die PZ mit dem Unternehmer Daniel Birkhofer.
PZ: Sie haben das sogenannte Tütle in die Apotheken gebracht, eine braune Papiertüte, die aussieht wie alle anderen. Was ist das Besondere an Ihrer Tüte?
Birkhofer: Zunächst ist das Tütle eine Zwei-in-eins-Lösung, das heißt, sie ist Einkaufstüte und Biomülltüte in einem. Sie dient als Verpackung zum Beispiel für Arzneimittel und OTC-Produkte und kann dann zu Hause für den Biomüll weiterverwendet werden. Normale Papiertüten weichen dabei durch und reißen, das Tütle nicht, weil es aus einem stabilen Spezialpapier besteht.
Die Idee dafür entstand eher zufällig. 2013 beobachtete ich an einer Supermarktkasse, wie zehn Biomüllbeutel nach dem Bezahlen in eine Plastiktüte gepackt wurden. Da kauft man Papierbeutel und braucht eine Plastiktüte, um sie nach Hause zu tragen? Das wollte ich ändern.
Tüten und mehr: Bei Daniel Birkhofer (links) und Steffen Krötz von Apomore geht es rund ums umweltfreundliche Verpacken.
Foto: PZ/Müller
PZ: Was den ökologischen Fußabdruck betrifft, schneiden Umweltorganisationen zufolge Papiertüten aber nicht besser ab als Plastiktüten.
Birkhofer: Die allermeisten Papiertüten haben einen hohen Frischfaser-Anteil, auch wenn sie braun sind. Das heißt, es sind Bäume dafür gefällt worden. Außerdem wird während des Verarbeitungsprozesses sehr viel CO2 freigesetzt. Unter dem Strich sind diese Tüten deshalb nicht viel besser als Plastiktüten.
Unsere Tüte besteht zu 100 Prozent aus Altpapier. Dadurch spart man 60 bis 80 Prozent an Energie und Wasser bei der Herstellung ein. Das macht das Tütle aus ökologischer Sicht besser als eine Plastiktüte, aber noch nicht gut genug. Von der Papierherstellung über das Verarbeiten, Schneiden, Kleben, Bedrucken bis zum Transport zum Kunden haben wir den CO2-Ausstoß deshalb optimiert. Zum Beispiel durch kurze Wege, denn der größte Teil des Altpapiers kommt aus Deutschland. Auch die verarbeitenden Betriebe sind hier ansässig und verwenden zudem meistens Ökostrom.
PZ: Trotzdem fällt zum Beispiel beim Transport CO2 an.
Birkhofer: Das gleichen wir zu 100 Prozent aus, indem wir Bäume pflanzen lassen – zusammen mit der Umweltorganisation »Plant for the Planet«. Die wurde 2007 von einem Schüler aus Bayern ins Leben gerufen und ist heute eine weltweite Bewegung, die Kinder und Jugendliche zu Botschaftern für Klimagerechtigkeit ausbildet. Das effektivste Mittel gegen CO2 ist, außer es zu vermeiden, Bäume zu pflanzen. Bäume nehmen über ihre Blätter CO2 auf und entfernen es damit aus der Atmosphäre. »Plant for the Planet« nutzt eigene große Pflanzplantagen in Mexiko. Aufgrund des günstigeren Klimas und des fehlenden kalten Winters wachsen die Bäume wesentlich schneller und speichern im Laufe ihres Lebens rund das Doppelte bis Vierfache an CO2 im Vergleich zu den Bäumen in hiesigen Klimazonen.
Das zweite Thema neben dem CO2-Ausgleich ist das Thema nachwachsende Ressource. Unsere Tüten bestehen zwar aus Recyclingpapier, aber irgendwann war auch das einmal neues Papier, für das Bäume gefällt wurden. Holz ist zwar eine nachwachsende Ressource, aber nur, wenn man auch dafür sorgt, dass neue Bäume nachwachsen. Deshalb lassen wir für tausend verkaufte Tüten zusätzlich einen Baum pflanzen – unabhängig von der Baumpflanzaktion für den CO2-Ausgleich. Nach unserem Wissen ist das Tütle damit eines der ganz wenigen Klima-positiven Produkte.
Mehr als 46 000 Kinder sind bei Plant for the Planet als Botschafter aktiv und Teil eines weltweiten Netzwerks. Die Kinder halten Vorträge über die Klimakrise, organisieren Pflanzpartys und zeigen, dass jeder Verantwortung übernehmen und die Zukunft aktiv gestalten kann.
PZ: Sie raten Ihren Kunden, eine Gebühr für das Tütle zu verlangen. In Apotheken ist das nicht üblich.
Birkhofer: Aber hier tut sich etwas. Wir empfehlen, die Umstellung von Plastik auf das Tütle zu nutzen, um etwas für die Tüten zu verlangen. Der Kunde hat ja nicht nur eine Transportlösung für sein Medikament, sondern auch einen Serviceartikel. Eine gute Biomüll-Tüte kostet im Drogeriemarkt rund 23 Cent. Dann kann man für eine deutlich ökologischer hergestellte Tüte doch 10 Cent verlangen. Nachhaltigkeit, Gesundheit und Apotheke gehören zusammen. Unsere Tüte ist auch ein Marketinginstrument zum Thema Nachhaltigkeit, das Apotheken zur eigenen Profilierung nutzen können. Die meisten unserer Kunden machen in Schaufenstern, auf Flyern, Websites und in den sozialen Medien auch darauf aufmerksam. Und für viele ist das Tütle der Auslöser für weitere Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
Wir haben weit über 1000 Kunden aus dem Apotheken-Bereich, auch dank eines genossenschaftlichen Großhändlers, der mit im Boot ist. Zum Angebot gehören außer dem Tütle zum Beispiel Botendienst-Tüten, die ohne Metall-Tacker oder weiteres Material sicher verschlossen werden können, Rezept-Kopierpapier aus 100 Prozent Altpapier im A-6-Format oder mit Kartoffelstärke beschichtete Etiketten. Weil uns das Kunststoff-Paketband bei unseren eigenen Paketen gestört hat, haben wir auch das umweltfreundlichste Paketband entwickelt – alles rund ums Thema Verpackung.
Mit Produkten für die Apotheke hat es angefangen. Mittlerweile will auch die Messe Stuttgart mit uns Plastiktüten-frei werden und das Land Baden-Württemberg die wertvolle Ressource Bioabfall sammeln. Im Buchhandel sind wir stark vertreten, und sieben Vereine aus der Ersten und Zweiten Fußballbundesliga nutzen das Tütle für ihre Fanartikel. Produkte rund ums Tütle sind mittlerweile von Ungarn bis Finnland unterwegs.
PZ: Noch besser, als eine nachhaltig produzierte Tüte zu verkaufen wäre es aber, gar keine Tüten abzugeben.
Tüte mit Mehrwert: Transportmittel für Medikamente, Beutel für den Biomüll, Wimmelbild zum Ausmalen für Kinder.
Foto: Apomore
Birkhofer: Das ist richtig. Und wie bringt man jemanden dazu, auf eine Tüte zu verzichten? Über den Preis: Schon eine kleine Gebühr in Höhe von 10 Cent führt dazu, dass von heute auf morgen 30 bis 50 Prozent weniger Tüten verbraucht werden, nicht nur in Apotheken. Da es aber vielen Apotheken nach wie vor schwerfällt, Geld für Verpackungen zu verlangen, haben wir die sogenannte Baumsparkarte eingeführt. Hiermit wird der Kunde belohnt, wenn er auf eine Tüte verzichtet. Das heißt: Jedes Mal, wenn er in die Apotheke kommt und keine Tüte nimmt, erhält er einen Stempel. Bei zehn Stempeln wird für ihn ein Baum gepflanzt, und er erhält eine Urkunde von »Plant for the Planet«. Dadurch verkaufen wir zwar spürbar weniger Tüten, aber das Prinzip des Tütle wird authentischer. Denn besser als ein kleiner ökologischer Fußabdruck ist eben gar kein Fußabdruck. Da wir in einem Wachstumsmarkt unterwegs sind, können wir das kompensieren.
Das Tütle kostet mehr als eine Plastiktüte, viele Apotheken wollen diese Preishürde nicht nehmen. Es kostet aber nicht mehr, wenn man als Apotheke die Baumsparkarte abgibt und so nur noch die Hälfte der Tüten kaufen muss. Genau betrachtet sind wir auch nicht teuer. Wir geben nur die Kosten weiter, die tatsächlich entstehen. Und vererben die Probleme, die wir alle zusammen verursachen, nicht stillschweigend an die folgenden Generationen weiter. /