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Schlafwandeln

Unbewusst durch die Nacht

09.12.2015  09:21 Uhr

Von Nicole Schuster / Es ist ein faszinierendes Phänomen: Schlafwandler schlafen, aber wirken und handeln, als seien sie wach. Am nächsten Morgen können sie sich an nichts mehr erinnern. Die nächtlichen Ausflüge sind allerdings nicht ungefährlich. Sicherheitsvorrichtungen dienen dem Selbst- und Fremdschutz. Spezialisierte Ärzte helfen bei der Therapie.

Schlafwandeln (Somnambulismus) hat viele Gesichter: Manche Schlafwandler ziehen nur vom Bett zu einer anderen Ruhestätte, andere machen sich am Kühlschrank zu schaffen und wundern sich, dass die Diät erfolglos bleibt, wieder andere setzen sich sogar ans Steuer ihres Autos. Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 1 bis 4 Prozent der Erwachsenen betroffen.

Bei Kindern kommt Schlafwandeln häufiger vor. Fast jedes dritte von ihnen soll wenigstens einmal eine Episode von Somnambulismus durchmachen. Bei den meisten hören die nächtlichen Ausflüge in der Pubertät auf. Diese kindliche Form gilt im Allgemeinen als unbedenklich und bedarf im Gegensatz zum Schlafwandeln, das erstmals oder wieder im Erwachsenenalter auftritt, meist keiner ärztlichen Abklärung.

 

»Beim Schlafwandeln handelt es sich um eine inkomplette Weckreaktion aus dem Tiefschlaf heraus«, sagt Dr. Hans-Günter Weeß, Psychologe, Somnologe und Leiter der schlafmedizinischen Abteilung am Pfalzklinikum in Klingenmünster, der Pharmazeutischen Zeitung. »Teile des Gehirns sind dabei aktiv, andere weiterhin im Schlafzustand.« Das zeigt eine Aufzeichnung der Hirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG). Bei diesem partiellen Erwachen arbeiten vor allem Areale, die für Bewegungen zuständig sind. Betroffene agieren scheinbar wie wach und haben auch die Augen geöffnet. »Je nachdem, welche Anteile aktiviert sind, sind die ausgeführten Handlungen komplexer oder einfacher«, so der Experte. Oft handelt es sich dabei um Tätigkeiten, die zur Alltagsroutine gehören. Einige Betroffene sprechen auch im Schlaf und können sogar auf Fragen antworten.

 

Schlafwandeln tritt typischerweise eine bis anderthalb Stunden nach dem Einschlafen auf, also hauptsächlich in der ersten Nachthälfte. Die zeitliche Dauer ist unterschiedlich und reicht von nur wenigen Sekunden beziehungsweise Minuten bis zu Zeitspannen von länger als einer Stunde.

 

Halb wach, halb schlafend

 

Als Ursache gehen einige Wissenschaftler von einer Art Schaltfehler im Gehirn aus, der dazu führt, dass es beim Übergang vom Tiefschlaf zum Leichtschlaf zu einem unvollständigen Erwachen kommt. Einer anderen Theorie zufolge sollen bestimmte Hirnareale nicht voll ausgereift sein. Das könnte auch erklären, warum Kinder besonders häufig schlafwandeln. Mit den Mondphasen hat das Phänomen wohl nichts zu tun, auch wenn früher bei Somnambulen von Mondsüchtigen die Rede war. Diese Bezeichnung gründete vermutlich auf der Beobachtung, dass sich Schlafwandler grundsätzlich Lichtquellen zuwenden, früher also vor allem dem Mond.

 

Die auslösenden Faktoren für das nächtliche Aufstehen können vielfältig sein. »Geräusche in der Schlafumgebung, fieberhafte Infekte, abendlicher Alkoholgenuss oder Schlafmangel können zu Somnambulismus führen«, sagt Weeß. Auch Medikamente kämen als mögliche Auslöser infrage, beispielsweise ist Schlafwandeln eine bekannte Nebenwirkung von Zolpidem. Bei Kindern ist Schlafwandeln oft mit Stress verbunden. Vermutlich auch daher, so mutmaßt der Experte, trete es vor allem im Kindergarten- und Grundschulalter auf. Mediziner gehen zudem von einer erblichen Vorbelastung aus.

 

Kuriose Entdeckungen

 

Am nächsten Morgen können sich Betroffene gewöhnlich nicht oder nur ganz vage in Form von Traumbildern an ihre nächtlichen Aktivitäten erinnern. Auch diese mehr oder weniger vollständige Amnesie liegt daran, dass nicht alle, sondern nur bestimmte Hirnteile beim Schlafwandeln aktiv sind. Beunruhigende, morgendliche Entdeckungen im eigenen Zuhause können die Folge sein. So weiß Weeß von Menschen, die nach dem Aufstehen bemerkten, dass bereits jemand gefrühstückt oder die Badewanne benutzt hat. Andere stellten fest, dass sie Straßenkleidung tragen, obwohl sie abends den Schlafanzug angezogen hatten. Die Betroffenen können bei solchen Erlebnissen am eigenen Verstand zweifeln oder glauben, Fremde seien bei ihnen eingedrungen. Erst durch die Diagnose des Somnambulismus werden die Zusammenhänge klar.

Der erste Ansprechpartner für Schlafwandler ist der Hausarzt. Er überweist bei Bedarf an entsprechende Spezialisten, etwa Neurologen oder Psych­iater. Zur Diagnose und Behandlung können Betroffene auch ein Schlaflabor oder ein schlafmedizinisches Zentrum aufsuchen. Dort wird der Schlaf im Rahmen einer Polysomnografie mit verschiedenen Verfahren überwacht, etwa EEG, Elektrokardiogramm, Elektrookulo­gramm und Elektromyogramm.

 

Schlafwandeln an sich ist zwar harmlos, Betroffene können aber unbewusst sich selbst und andere gefährden. Bei den rein mechanisch ablaufenden Handlungen besteht nämlich weder eine willentliche Kontrolle noch die Möglichkeit, auf äußere Einflüsse zu reagieren. Weeß kennt Kraftfahrer, die schlafend mit ihrem Lkw den Rastplatz verlassen und sich am nächsten Morgen auf einem Standstreifen oder einem anderen Parkplatz wiedergefunden haben. Manche Betroffene fühlen sich im Schlaf bedroht und suchen die Flucht, indem sie aus dem Fenster springen, andere stürzen bei ihren nächtlichen Wanderungen eine Treppe hinunter. Schlafwandeln kann auch Beziehungen bedrohen, etwa wenn Betroffene ihren Partner im Schlaf beschimpfen oder ihm sogar (sexuelle) Gewalt antun.

 

Um gefährlichen Folgen vorzubeugen, sollten Türen abgesperrt, Fenster verriegelt, Stolperfallen und scharfe Kanten entfernt und bei elektrischen Geräten die Sicherung herausgenommen werden. Das alles nützt aber nur, wenn der Somnambule nicht die Mittel kennt, um die Schutzvorrichtungen zu umgehen. »Eine verschlossene Tür hält den Schlafwandler nur ab, wenn er nicht weiß, wo der Schlüssel ist«, sagt Weeß.

 

Sicherheit an erster Stelle

 

Auslöser sollten – falls bekannt – abgestellt werden. Einigen Betroffenen reicht es dann schon, sich einen regelmäßigen Schlafrhythmus anzutrainieren oder Gewohnheiten wie abendlichen Alkoholkonsum abzuschalten. Andere müssen unter ärztlicher Überwachung ein möglicherweise auslösendes Medikament absetzen oder ausschleichen. Mediziner machen zudem gute Erfahrungen mit Autosuggestions-Methoden wie dem autogenen Training. Eine weitere Möglichkeit kann eine medikamentöse Therapie sein. »Diese ist mit bestimmten Benzodiazepinen wie Clonazepam möglich. Eine längerfristige Gabe dieser Arzneimittel ist aber umstritten, da das zu Abhängigkeiten führt«, erklärt Weeß.

 

Und was ist zu tun, wenn einem ein Schlafwandler begegnet? Aufwecken kann den Betroffenen erschrecken, muss es aber nicht. Oft ist es besser, den Somnambulen sanft ins Bett zurückzuführen, so Weeß. Angehörige sollten dabei stets bedenken: Die sprichwörtliche schlafwandlerische Sicherheit gibt es nicht. Im Gegenteil sind Schlafwandler stark gefährdet, sich oder auch andere zu verletzen. /

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