Polysaccharid- oder Konjugatvakzine? |
13.12.2011 15:41 Uhr |
Von Sven Siebenand, Frankfurt am Main / Eine Pneumokokken-Impfung ist nicht nur etwas für die ganz Kleinen. Auch Menschen über 50 Jahre sollten sich über die Prävention von Pneumokokken-Erkrankungen Gedanken machen. Mit der Zulassungserweiterung von Prevenar 13 gibt es nun einen zweiten, vom ersten grundlegend verschiedenen Impfstoff für diese Altersgruppe. Wer bekommt nun was?
Einer WHO-Schätzung zufolge sterben weltweit jährlich etwa 1,6 Millionen Menschen an einer Pneumokokken-Erkrankung. Besonders gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder, aber auch immunsupprimierte oder ältere Menschen. Als Erreger einer ambulant erworbenen Lungenentzündung (community-acquired pneumonia, CAP) identifizieren Forscher am häufigsten Pneumokokken, genauer gesagt Streptococcus pneumoniae (siehe Kasten). »CAP ist vor allem eine Erkrankung des älteren Patienten und oft ein desaströses Ereignis«, sagte Professor Dr. Mathias W. Pletz auf einer Presseveranstaltung von Pfizer Pharma in Frankfurt am Main. Der Mediziner vom Universitätsklinikum Jena wies darauf hin, dass sich viele ältere Patienten von der Infektion nicht mehr vollständig erholen und im Anschluss oft sogar pflegebedürftig werden.
Pneumokokken-Erkrankungen stehen auf Platz eins der weltweit durch Impfungen vermeidbaren Todesursachen.
Foto: Fotolia/Simone Rößling
In vielen Fällen wäre das vermeidbar. Denn es gibt Schutzimpfungen. Dennoch stehen Pneumokokken-Erkrankungen auf Platz eins der weltweit durch Impfungen vermeidbaren Todesursachen. Seit Jahren wird nicht nur bei jungen Patienten, sondern auch bei Über-60-Jährigen zu einer Standardimpfung gegen Pneumokokken geraten. Für Letztere empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) derzeit eine einmalige Impfung (und eine Auffrischimpfung für bestimmte Indikationen) mit einem Polysaccharidimpfstoff (in Deutschland Pneumovax®23). Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Empfehlung ins Wanken gerät. Denn kürzlich hat die Europäische Kommission den Pneumokokken-Konjugatimpfstoff Prevenar®13 auch für Erwachsene ab 50 Jahren zugelassen. Die Indikation umfasst die Prävention invasiver Pneumokokken-Erkrankungen durch die im Impfstoff enthaltenen 13 Serotypen. Die Entscheidung, die Zulassung auszuweiten, stützt sich auf die Auswertung von Daten zur klinischen Immunogenität und Sicherheit bei mehr als 6000 Erwachsenen ab 50 Jahren.
Konjugatimpfstoff und Polysaccharidimpfstoff: Was ist der Unterschied? Bei konjugierten Impfstoffen sind die verschiedenen Kapselpolysaccharide jeweils an Trägerproteine gebunden. Im Falle von Prevenar13 ist dies CRM197, eine nicht-toxische Variante des Diphtherietoxins. Dieser Kniff macht es möglich, dass sowohl eine B- als auch eine T-Zell-Antwort induziert wird und sich damit ein immunologisches Gedächtnis ausbildet. Der Polysaccharidimpfstoff induziert dagegen nur eine Reaktion der B-Zellen. Da es sich um eine T-Zell-unabhängige Antwort handelt, wird kein »immunologisches Gedächtnis« durch Aktivierung von T-Zellen gebildet. Pletz: »Bei Kleinkindern unter zwei Jahren wird mit diesem Impfstoff, wahrscheinlich aufgrund des noch unreifen Immunsystems, keine ausreichende Immunantwort erreicht, sodass er bei ihnen aufgrund mangelnder Wirksamkeit nicht zugelassen ist.«
Keine Kassenleistung
In dieser Altersgruppe stellt sich die Frage »Wer bekommt was?« also nicht. Für ältere Menschen gab Professor Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover auf der Veranstaltung folgende Ratschläge. Bei bisher ungeimpften Über-50-Jährigen bevorzugt der Mediziner den Konjugatimpfstoff. Allerdings müsse man die Patienten auf die momentane Erstattungssituation hinweisen. Die Kasse übernimmt die Kosten bisher nicht. Für alle ab 60 Jahre ist der Polysaccharidimpfstoff dagegen Kassenleistung. Sollte sich der Patient aus finanziellen Gründen deshalb für diesen entscheiden, ist dies dem Mediziner zufolge immer noch besser, als gar keine Impfung.
Für Personen, die bereits mit dem Polysaccharidimpfstoff geimpft sind, macht die Injektion der Konjugatvakzine keinen Sinn. Hier könne man, so Welte, in fünf bis acht Jahren noch mal überlegen, damit nachzuimpfen. Hintergrund dieser Einschätzung ist die sogenannte Hyporesponsiveness. Darunter versteht man eine verminderte Immunantwort bei wiederholter Impfung (Boosterung). Laut Pletz ist dies auch eine Ursache, weshalb die STIKO von einer generellen Empfehlung für die Wiederholungs-Impfung mit der Polysaccharidvakzine im Jahr 2009 abgerückt ist. Pletz Ratschlag: Ungeachtet des vorbestehenden Pneumokokken-Impfstatus sollte, wenn die Anwendung des Polysaccharidimpfstoffes vorgesehen ist, zuerst Prevenar13 gegeben werden. Denn es hat sich gezeigt, dass die Immunantwort auf eine Impfung mit dem Polysaccharidimpfstoff nach einer vorherigen Impfung mit der Konjugatvakzine signifikant größer war als nach einer Vorimpfung mit dem Polysaccharidimpfstoff. /
Die als Pneumokokken bezeichneten gram-positiven Bakterien können nicht-invasive mukosale und invasive Erkrankungen auslösen. Zur ersten Gruppe gehören zum Beispiel Pneumonie, Otitis media und Sinusitis. Die Erkrankungen werden als invasiv bezeichnet, wenn sich die Bakterien im Körper dort ausbreiten, wo sie normalerweise nicht zu finden sind, zum Beispiel im Blut oder in der Rückenmarksflüssigkeit. Diese Form ist zwar seltener als die nicht-invasive Variante, verläuft in der Regel aber schwerer und führt zu einer erheblichen Morbidität und Mortalität in der älteren Bevölkerung. Zu den invasiven Pneumokokkenerkrankungen zählen unter anderem die bakteriämische Pneumonie, Meningitis und Sepsis.